Politik

Neuer Regionalplan droht Wachstum an der Bergstraße zu behindern

Der neue Regionalplan sieht deutlich weniger Entwicklungsflächen vor als der letzte Plan von 2010. Kommunen können ab 29. September ihre Einsprüche vortragen.

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Angela Schrödelsecker
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Neubaugebiete können an der Bergstraße nur da entstehen, wo sie auch im Einklang mit dem Regionalplan für Südhessen steht. © picture alliance/dpa

Bergstraße. Wenn eine Kommune Flächen für Wohnen oder Gewerbe schaffen möchte, legt das die jeweilige Gemeindevertretung oder die Stadtverordnetenversammlung in einem entsprechenden Bebauungsplan oder in einem Flächennutzungsplan fest. Aber: Das Vorhaben muss auch mit dem Regionalplan vereinbar sein. „Der Regionalplan macht für den gesamten südhessischen Raum Vorgaben für die Flächenplanung. Das heißt, die Kommune hat zwar kommunale Selbstverwaltung, aber der Rahmen wird vom Regionalplan gesetzt,“ erklärt der Bergsträßer Landrat Christian Engelhardt im BA-Interview.

Dieser Regionalplan wird gerade neu aufgelegt und Engelhardt macht deutlich, dass der Kreis Bergstraße einiges an Flächen in Zukunft brauchen wird: „Wir sind eine wachsende Region mit relativ wenig Wachstumsfläche. In den letzten Jahren sind rund 4.500 Menschen zu uns gekommen, was etwa zwei Mal der Einwohnerzahl von Abtsteinach entspricht. Das sind zum einen Flüchtlinge, wir sind aber auch Zuzugsgebiet. Oftmals kommen Menschen vielleicht auch gar nicht, weil sie hier keinen Wohnraum finden. Ich habe regelmäßig mit Personen zu tun, die hier einen Arbeitsplatz gefunden haben, aber keinen Wohnraum. Deshalb pendeln sie weite Strecken. Die Frage nach Wohnraum ist auch ein zentraler Aspekt von Wirtschaftsförderung.“

Bei den Gewerbeflächen, so Engelhardt, sei der Bedarf ebenfalls hoch. Hier hätten die Unternehmen zudem oft die Erwartungshaltung, dass sie sich schnell weiterentwickeln können. Wenn das eine Region nicht anbieten kann, dann gingen die Firmen woanders hin. „Wir müssen Flächen für genau diese Fälle vorhalten,“ so Engelhardt.

Kreis Bergstraße erhält „dramatisch wenig Entwicklungsraum“

Der aktuelle Regionalplan für Südhessen ist seit rund 15 Jahren gültig und die Neuauflage, die bereits von der Regionalversammlung abgesegnet wurde, wird ab dem 29. September offengelegt. Und darin werden deutlich weniger Entwicklungsflächen ausgewiesen als noch 2010. Im Plan von 2010 waren in ganz Südhessen noch 7.250 Hektar (4.200 Hektar für Siedlung/Wohnen und 3.050 Hektar für Industrie und Gewerbe) vorgesehen. Im neuen Entwurf sind es nur noch 5.420 Hektar (3.600 Hektar für Siedlung/Wohnen und 1.820 Hektar für Industrie und Gewerbe). Der Kreis Bergstraße ist von dieser Reduzierung der Flächen ganz besonders betroffen. 2010 waren noch 348 Hektar für Industrie und Gewerbe vorgesehen, jetzt sind es im neuen Entwurf nur noch 110 Hektar. Für Wohnflächen waren im letzten Regionalplan 363 Hektar geplant, nun sind es nur 207 Hektar. „Dieser Entwurf sieht leider dramatisch wenig Entwicklungsraum für unseren Kreis im Vergleich zu anderen Regionen in Südhessen vor,“ fasst Engelhardt das Problem zusammen.

Maximale Siedlungsflächen

Den Kommunen werden im Regionalplan ein maximaler Siedlungsflächenbedarf für Wohnen und Gewerbe zugewiesen.

Ob diese Flächen auch tatsächlich verfügbar sind, sagt diese Bedarfsermittlung nicht aus.

Bensheim gilt als Entlastungskommune für den Rhein-Neckar-Raum und dürfte maximal 22 Hektar für Wohnen und 20 Hektar für Gewerbe ausweisen.

Zwingenberg gilt ebenfalls als eine solche Entlastungskommune und dürfte maximal 10 Hektar für Wohnen und 5 Hektar für Gewerbe ausweisen.

Heppenheim bekommt 12 Hektar für Wohnen und 6 Hektar für Gewerbe zugestanden. Die Stadt sieht sich allerdings auch als Entlastungskommune und wünscht sich dementsprechend mehr Flächen.

Lorsch darf maximal auf 12 Hektar Wohnraum und 5 Hektar Gewerbeflächen schaffen.

Einhausen darf auf maximal 6 Hektar Wohnflächen und 3 Hektar Gewerbeflächen bebauen.

Lautertal und Lindenfels dürfen jeweils 5 Hektar für Wohnen und 3 Hektar für Gewerbe nutzen.

Ein 2019 erarbeitetes Entwicklungskonzept (REK) durch Albert Speer und Partner ergab deutlich mehr Flächenpotenziale. Laut REK sei der Kreis ein Impuls- und Siedlungsschwerpunkt. Hier waren statt der jetzigen 110 Hektar 280 Hektar Gewerbeflächen an der Bergstraße vorgesehen. asch

Als einen Grund für diesen Rückgang benennt der Landrat die Einrichtung von Vorrang- und Vorbehaltsgebiete für besondere Klimafunktionen, die erstmalig in dem Plan ausgewiesen werden: „Es wurde angenommen, dass der gesamte Odenwald eine Quelle frischer Luft ist und diese Luft würde nach unten fließen - genau da entlang, wo eigentlich ein Wachstumsraum ist, bei uns an der Bergstraße.“ Diese Klima-Zonen basieren auf einer Vorgabe des Landesentwicklungsplans Hessen, der wiederum eine einheitliche hessische Klimaanalyse vorsah. Diese „Frischluftschneisen“ seien in Südhessen mit Hilfe eines Gutachtens dann konkret erarbeitet worden und liegen meistens sehr dicht an der Bebauung. Das macht es Kommunen schwierig, neue Flächen direkt an bereits bebautes Gebiet auszuweisen und: Es bleiben ganz grundsätzlich wegen dieser Zonen nur noch wenige Flächen übrig.

Kreis hat einen Anwalt für die Kommunen eingeschaltet

Engelhardt betont, dass es ihm nicht darum geht, dass die Kommunen „auf Teufel komm raus“ bauen und Gewerbegebiete schaffen: „Es geht mir darum, dass die Kommunen die Möglichkeit dazu haben und nicht durch einen Regionalplan die nächsten zehn Jahre, oder wie lange der Plan dann auch immer gelten wird, behindert werden. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass die Städte und Gemeinden möglichst weitblickend Flächenbedarfe formulieren. Dafür haben wir auch extra einen Anwalt damit beauftragt, die Kommunen zu begleiten.“ Denn: Der Plan wurde von der Regionalversammlung zwar durchgewunken. Aber: Bis zum Ende der Offenlegung am 28. November können die Städte und Kommunen noch Flächenbedarfe vorzutragen. Einwendungen sind bis zum 15. Dezember möglich. Das sei, wie Engelhardt betont, ein wichtiger Schritt, um die kommunale Selbstverwaltung zu erhalten: „Wenn ein Vorranggebiet für Klimaschutz ausgewiesen ist, wird es fast unmöglich, dort noch zu bauen. Bei einem Vorbehaltsgebiet für Klimaschutz muss man für ein Baugebiet ein Gutachten einholen. Das schafft eine zusätzliche Hürde und Bürokratie. Das halte ich in einer Zeit, in der wir alles einfacher machen wollen, zum Teil für zu weitgreifend.“ Es dürfe auch nicht Aufgabe der Kommune sein, eine hochauflösende Klimaanalyse zu erstellen.

Beispiel Heppenheim: Wenn man auf die vorläufige Karte des Regionalplan-Entwurfs schaut, sieht man, dass komplett um die Stadt herum ein Vorrang- und Vorbehaltsgebiet für besondere Klimafunktionen vorgesehen ist. Heppenheim könnte sich also kein neues Baugebiet direkt an der existierende Bebauung anschließen - auch wenn sie ein Kontingent an Flächen zugesprochen bekommen, existiert das quasi nur noch in der Theorie. Ein Gebiet für Wohnraum ist übrigens gar nicht ausgewiesen und die einzige mögliche Gewerbefläche im Norden mit einer Größe von 11 Hektar, westlich der A5, wäre nach der aktuellen Planung nicht - oder nur mit Gutachten - bebaubar. Zudem gebe ich es hier noch eine Hochspannungsleitung, die die Fläche auch noch mal einschränkt.

Zu wenig Wohnraum führe zu steigenden Miet-Preisen und ein Mangel an Gewerbeflächen könne für eine Stadt oder eine Gemeinde durchaus auch bedrohlich sein, so Engelhardt. Die Städte finanzieren sich zum einen aus der Grundsteuer, aber auch durch die Gewerbesteuer: „Wir konnten Unternehmen in der Vergangenheit wenigstens im Kreis halten. Suziki zog von Heppenheim nach Bensheim beispielsweise. Das ist derzeit nicht mehr möglich, da wir nichts mehr an Flächen haben.“

Ein weiterer Kritikpunkt an der aktuellen Bedarfsplanung sieht Engelhardt zudem in der Ermittlung der Bedarfe, da seiner Meinung nach auch zu wenig berücksichtigt werde, dass nicht nur Druck auf den Wohnungsmarkt aus dem Rhein-Main-Gebiet komme, sondern auch aus der Rhein-Neckar-Region. Als Beispiel führt die Fachbereichsleiterin Kreisentwicklung, Claudia Bolte, an, dass insbesondere Lampertheim eine hohe Nachfrage aus Mannheim und Umgebung habe. Ein Drittel der Interessenten an Baugrundstücken kämen von außerhalb Hessens. Auch die Abteilungsleiterin Grundsatz und Kreisentwicklung, Corinna Simeth, betont mit Blick auf eine Karte, die die Potenzialflächen veranschaulicht, wie zentral alles auf Frankfurt und die Region drumherum ausgerichtet sei.

Nicht jede ausgewiesene Fläche ist auch nutzbar

Engelhardt führt aus, dass das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) wahrscheinlich argumentieren würde, dass man viele Flächen, die man 2010 im letzten Regionalplan ausgewiesen bekam, gar nicht genutzt habe - genau genommen wurden knapp 50 Prozent der Wohnflächen bebaut und rund 60 Prozent der Gewerbeflächen genutzt: „Aber es geht gar nicht darum, alle Flächen zu bebauen, sondern die Entwicklungsmöglichkeiten zu haben. Zudem ist nicht jede ausgewiesene Fläche bebaubar, wenn sie zum Beispiel im Privatbesitz ist oder aus Artenschutzgründen nicht mehr bebaut werden darf. Das sind Fragen, mit denen sich der Regionalplan nicht auseinandersetzt.“ Und Bolte ergänzt: „Wir wissen von den Kommunen, dass ihnen viele der Flächen gar nicht zugänglich waren und damit nicht entwickelt werden konnten.“ Und deshalb seien auch die Stellungnahmen der Kommunen bei der Offenlegung so wichtig, merkt Simeth an. So gebe es noch die Möglichkeit, Flächen zu tauschen. Auch Herabstufungen von Klimavorranggebieten zu Klimavorbehaltsgebieten soll auf Antrag der Kommunen möglich gemacht werden.

Bei einer Befragung des Kreises zum Regionalplan bei den 22 Kommunen haben sich 18 Kommunen zurückgemeldet. Sechs haben mitgeteilt, dass die zugrunde gelegten Kontingente für die Siedlungsflächen grundsätzlich ihren Planungsabsichten entsprechen. Elf dagegen teilten mit, dass in mindestens einem Bereich (Wohnen oder Industrie/Gewerbe), die Kontingente zu gering seien.

Naturschutzverbände stellen sich gegen neue Flächen

Kritik an der Haltung Engelhardts kommt unter anderem von Jörg Nitsch, Vorsitzender des BUND Hessen: „Wer für mehr Bau- und Gewerbegebiete einen weiterhin ungebremsten Flächenverbrauch über den Klimaschutz stellt, spielt mit der Zukunft unserer Kinder.“ Bereits die in den Planungen vorgesehenen Flächenausweisungen überschritten, wie es heißt, das tolerierbare Maß. Der BUND Hessen fordert eine Reduktion des Flächenverbrauchs auf maximal 1 Hektar pro Tag und schnellstmöglich auf Netto-Null – das heißt: eine weitere Versiegelung darf nur erfolgen, wenn an anderer Stelle in gleichem Umfang entsiegelt wird. Das ist auch eine Forderung des Nabu-Kreisverbands Bergstraße. Diese Maßnahme sei ein zentraler Beitrag zum Schutz von Böden, zur Sicherung der Ernährung und zum Erhalt der Biodiversität.

Dem erteilt Engelhardt eine Absage: „Das wird in unserer Region nicht funktionieren, da wir eben eine Wachstumsregion sind. Aber vielleicht sollte man etwas großräumiger denken. Es gibt ja auch Regionen in Deutschland, da gehen die Bevölkerungszahlen zurück.“ Zudem merkt der Landrat an, dass sich Klimaschutz und Bauen nicht unbedingt ausschließen müssten. Es sei die Frage, wie man baue und wie man auch Grünflächen und naturnahe Bereiche schaffe. Man könne zum Beispiel vorgeben, dass Dächer begrünt werden: „Wachstum und Natur müssen kein Widerspruch sein. Es ist die Frage, wie ich wachse.“

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