Punk-Rock - "Pennywise" aus dem kalifornischen Hermosa Beach im "Schlachthof" Wiesbaden

Rauf auf den Dachboden und das alte Skateboard gesucht

Von 
Sascha Lotz
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Jim Lindberg, Sänger der Band "Pennywise", beim Auftritt im "Schlachthof" Wiesbaden. © Sascha Lotz

Wiesbaden. "Falsch". Das steht zumindest auf dem Stempel, den die Konzertbesucher an der Pforte des Wiesbadener "Schlachthofs" liebevoll auf den Handrücken gedrückt bekamen. Doch so falsch war die Entscheidung gar nicht, die Europa-Tournee von "Pennywise" und "Good Riddance" zu besuchen. Jedenfalls dann nicht, wenn man ein Kind der Neunziger ist - und vorausgesetzt, Dr. Alban und Haddaway zieren nicht die Wohnzimmerregale, in denen sich die alte Plattensammlung befindet. Mit "Scheisse Minnelli" hatten die beiden Bands aus Kalifornien zudem einen deutschen Support, der zu Beginn eine Stunde lang Old-School-Hardcore in modernem Gewand produziert.

Nach kurzer Umbaupause startet dann "Good Riddance" und die Halle füllt sich zunehmend. Der von Pop-Punk durchzogene Hardcore, wie ihn die Band selbst betitelt, klingt etwas breiig, erweckt aber den starken Drang, den Dachboden nach seinem seit Jahren verschollenen Skateboard zu durchforsten. Schaut man sich in der Menge um, dann merkt man schnell, welcher Band die meisten Anhänger zugehörig sind. Unzählige Enddreißiger in Saggy-Pants und "Pennywise"-T-Shirts fühlen sich für den Abend in einen Sommer der Neunziger zurückversetzt, als die kalifornische Punkband aus Hermosa Beach aus den dunklen Gemächern hinter der Bühne hervortritt und direkt mit "Every Single Day" einen Knaller aus dem 1995-er Album "About Time" raushaut.

"Old shit, or new shit?", fragt Gitarrist Fletcher Dragge nach dem ersten Lied - und in der Menge ist man sich einig: "Old shit!" Und so kommt es. Drückender Melodic-Hardcore aus den Alben von "A Word from the Wise" (1989) bis "Land oft he Free" (2001) gibt es vordringlich auf die Ohren. Auch hier ist der Sound etwas matschig, dank des Line Ups der Kalifornier schiebt es aber gewaltig. Bassist Randy Bradbury kommt mit gleich zwei 8x10er Ampeg Boxen samt Top daher und sorgt somit für einen perligen und ordentlich knallenden, für Punk-Rock typischen, Bass-Sound.

Differenziert und druckvoll

Fletcher Dragge an der Gitarre hat zwei Mesa-Fullstacks mit einen Dual- und einem Triple-Rectifier als Backline, die dermaßen zerren, dass sich der Klang schon leicht in die Sparte Metall entwickelt. Mit dem alten Marshall-Sound hat das nur noch wenig zu tun, macht sich aber positiv bemerkbar. Fletchers Finger fegen in Höchstgeschwindigkeit übers Griffbrett. Punkrock besteht zwar überwiegend aus Power-Chords, jedoch sieht man die Finger des Hünen nie auf einem Akkord rasten. Jeder Ton ist dabei differenziert und druckvoll zu vernehmen. Auch die Soli wirken äußerst brillant.

Die Felle des Schlagzeugs müssen einiges aushalten. Byron McMackin holt weit aus und drischt deftig auf sein Rhythmus-Gerät ein. Ein solides und druckvolles Grundgerüst schiebt gewaltig nach vorne. Jim Lindberg, der zwischen 2009 und 2012 die Band verlassen hatte und in dieser Zeit von "Ignite"-Sänger Zoltán Téglás ersetzt wurde, hat sich glücklicher Weise wieder in der Band etabliert. Zu charaktervoll ist Lindbergs Stimme, denn "Pennywise" wirkte in diesem Zeitraum wie eine andere Band. Die Fans teilen wohl diese Ansicht, so klar kam ihr Statement: "Old shit!"

Nicht erwachsen geworden

Wie auch die anderen Musiker ist der Frontmann ein wenig in die Jahre gekommen, aber nicht erwachsener. In weiter Hose mit Mesh-Cap auf seinem Haupt beugt er sich über die erste Reihe und schreit in sein Mikrofon. Man versteht zwar kaum ein Wort, das ist aber völlig egal - die Fans kennen den Text und grölen impulsiv mit. "Society", so schreien Fans aus den ersten Reihen. "Können wir noch Society?", fragt Jim seinen Gitarristen. Der blickt sich kurz um und als hätten sie jeden Tag nichts anderes gespielt läuft auch noch der Song aus ihrem "Full Circle"-Album von 1997.

Mit über drei Millionen verkauften Alben ist "Pennywise" eine der erfolgreichsten, unabhängigen Punkbands. Die Texte sind oft politisch, meist anspruchsvoll und gesellschaftskritisch. In "Perfekt People" erklärt Jim, dass alle Menschen gleich sind ("we all look the same", singt er im Refrain). Die nächste Ansage folgt: "To all people who think, they're better than you!"

Die Menge tobt, als die Old-School-Punker nach einer knappen Stunde ihr letztes Lied anstimmen. Spätestens jetzt hat man beschlossen, sein altes Skateboard samt der löchrigen Airwalks in den unendlichen Weiten des Dachbodens ausfindig zu machen. Bis zum nächsten Morgen jedenfalls.

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