Stuttgart. Vor mehr als drei Monaten hat der Prozess gegen Sulaiman A. begonnen, den mutmaßlichen Attentäter vom Mannheimer Marktplatz. Er muss sich wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Staatsschutzsenat in Stuttgart-Stammheim verantworten.
Was ist bislang über Tat und Täter bekannt geworden? Wie haben die Opfer die Tat erlebt? Was haben die Ermittlungen zum Attentat und zum Angeklagten ergeben? Eine Übersicht über die bislang wichtigsten Erkenntnisse des Prozesses.
Stand im Prozess zu Messerattentat: Mutmaßlicher Täter von Mannheim gestand Tat
Der Angeklagte: Sulaiman A. hat sich Ende März erstmals zur Tat geäußert und vor Gericht darüber gesprochen. Er hat ein Geständnis abgelegt und eingeräumt, dass er Michael Stürzenberger töten wollte. Als er bemerkte, dass dieser die Stiche offenbar überlebt hatte, nahm er den Polizisten Rouven Laur ins Visier und fasste den Entschluss: „Heute muss jemand sterben.“ Auch die Stiche auf die anderen Opfer gestand der Angeklagte. In seinem stundenlangen Verhör beschrieb er seine Radikalisierung, die über das Internet erfolgt sein soll.
Er gab an, dass er 2023 und 2024 über den Gaza-Konflikt verzweifelt sei und Halt in seiner Religion, dem Islam, gesucht habe. Auf Telegram nahm er eigenen Angaben nach Unterricht bei einem Gelehrten und abonnierte weitere Kanäle, auf einem davon lernte er den Chat-Partner „OR“ kennen, der maßgeblich an A.s Radikalisierung beteiligt gewesen sein soll. Darauf deuten auch die Ermittlungsergebnisse – vor allem ausgewertete Chats – hin. Die Identität von OR gilt bis heute als ungeklärt.
Das ist im Mai 2024 beim Attentat auf dem Marktplatz in Mannheim genau passiert
Die Tat: Durch die Videoaufnahmen vom Tatgeschehen, die am 31. Mai 2024 zigfach in sozialen Medien geteilt wurden, lässt sich das Verbrechen detailgetreu rekonstruieren. Demnach dauerte das eigentliche Tatgeschehen nur 25 Sekunden. Zunächst ging der Attentäter auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger los, verletzte ihn und weitere Männer, die ihm zu Hilfe eilten. Dann bekamen ihn zwei Männer zu fassen – ein Passant griff ein und der Täter kam frei. Darauf verletzte der Attentäter die beiden Männer, die ihn zuvor festhielten und ging danach hinterrücks auf den Polizisten Rouven Laur los, verletzte ihn tödlich. Der Schuss eines Polizeibeamten stoppte den Messerattentäter schließlich.
Auch im Verhandlungssaal war das Video bereits zu sehen, in voller Länge und in Zeitlupe. hat der Vorsitzende des Senats immer wieder Bildausschnitte daraus auf die Leinwände projizieren lassen – etwa, um die Opfer nach ihrer genauen Position zu fragen, oder während der Befragung des Polizisten, der auf Sulaiman A. schoss. Wegen der Menschenmenge auf dem Platz sei es schwierig gewesen, eine Position zu finden, aus der heraus er schießen konnte, sagte der Polizist in Stuttgart-Stammheim. „Es war nicht die erstbeste Gelegenheit zu schießen, es war die erste.“
Der Kameramann, der das Video gedreht hatte, erschien an einem der bisherigen Verhandlungstage ebenfalls vor Gericht, berief sich allerdings auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Der Grund: Ihm drohen Ermittlungen, da er den Attentäter, der durch den Schuss verletzt auf dem Boden lag, getreten haben soll. Auch soll er Ersthelfenden zugerufen haben, sie sollen den Mann sterben lassen.
Ein Jahr nach Messerattacke in Mannheim: So geht es den Opfern
Die Opfer: Bis auf ein Opfer, sind bereits alle Menschen, die bei dem Attentat verletzt worden sind, von den Richtern und der Richterin des Senats befragt worden. Sie haben zum Teil beträchtliche Verletzungen erlitten, bis heute wirkt sich das Attentat auf ihr Leben aus. Der bekannte Islamkritiker Michael Stürzenberger hat sich völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Neben ihm wurden drei weitere Mitglieder des rechtspopulistischen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) verletzt, der an diesem Tag eine Kundgebung auf dem Marktplatz plante. Die Tat ereignete sich während der Vorbereitungen dazu.
Außerdem wurde ein Mann schwer verletzt, der an diesem Tag zufällig auf dem Marktplatz war und der versuchte, den Attentäter zu stoppen. Gemeinsam mit einem BPE-Mitglied bekam er den Täter kurz zu fassen. Bis heute leidet er unter den Verletzungen, die Tat belastet ihn nach eigenen Angaben auch psychisch sehr. In der Befragung der BPE-Opfer spielten Überzeugungen und Ziele des Vereins eine große Rolle, auch konfrontierte der Senatsvorsitzende Stürzenberger mit Gerichtsurteilen und Verfassungsschutzberichten.
Messerattentat auf Marktplatz jährt sich: So äußert sich Mannheimer Polizei vor Gericht
Die Polizisten: Anfang Mai hat der Senat einige der Kolleginnen und Kollegen von Rouven Laur befragt, die am 31. Mai mit auf dem Mannheimer Marktplatz waren. In bewegenden Sätzen haben die jungen Beamten beschrieben, wie sie zum Einsatz auf den Marktplatz fuhren und sich die Tat noch während ihrer Vorbereitungen ereignete. Eine Beamtin zeigte sich schwer traumatisiert, das Attentat wirkt im Leben der Befragten bis heute nach. Der Polizist, der den Schuss abgab, beschrieb, wie belastend die vielen Angriffe und Hass-Kommentare in sozialen Medien für seine Kolleginnen und Kollegen gewesen seien.
Die Ermittlungen wegen Schusswaffengebrauchs gegen den Polizisten, der geschossen hatte, wurden nach zwei Monaten eingestellt. „Der Schuss musste sein, ich habe keine Gewissensbisse oder Ähnliches“, sagte er.
Ermittlungen gegen mutmaßlichen Täter: Aktueller Stand im Prozess zu Messerattentat
Die Ermittlungen: Bislang wurden mehrere Ermittler vor Gericht gehört, die mit der Tat befasst waren. Dazu gehörten etwa ein IT-Forensiker, der die technischen Geräte des Angeklagten auswertete und sich insbesondere mit dessen Telegram-Account beschäftigte. Andere Ermittler sprachen über die Chats und die darin enthaltenen Audio-Dateien. Mehrere Islamwissenschaftler interpretierten den Inhalt der Chats, die die Radikalisierung des Angeklagten nachzeichnen, für das Gericht.
Zuletzt lud der Senat einen Physiker, der beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg beschäftigt ist, und die Schutzweste von Rouven Laur untersucht hat. Dieser unterstrich, dass das Messer mit massiver Wucht in den Körper von Rouven Laur fuhr, bevor es ihn im Kopf- und Halsbereich traf.
Messerattentat von Mannheim: Zeugenaussagen und Spur nach Russland
Ein wichtiger Zeuge: Der Passant, der in das Tatgeschehen eingriff, und dem Attentäter so zu Befreiung verhalf – die Bundesanwaltschaft geht von einer tragischen Verwechslung aus –, beruft sich nach Angaben seiner Anwältin auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Deshalb will ihn der Senat gar nicht erst laden – dagegen wehren sich die Nebenkläger, die kein pauschales Auskunftsverweigerungsrecht zulassen wollen, zumal die Mannheimer Staatsanwaltschaft nach umfassender Prüfung keine Ermittlungen eingeleitet hat. Eine finale Entscheidung des Senats steht noch aus.
Russische Spuren: Im Frühjahr sorgte eine ZDF-Recherche für Aufsehen. Der Bericht kreiste um digitale Spuren, die nach Russland wiesen. Während des Prozesses forderte der Senatsvorsitzende sämtliche Erkenntnisse, die dazu vorliegen, beim Landeskriminalamt und beim Bundesnachrichtendienst an. Einige Wochen später teilte der Vorsitzende Herbert Anderer knapp mit: Laut den Experten der Behörden seien die Rechercheergebnisse nicht valide genug.
Psychiatrisches Sachverständigengutachten: Der Angeklagte hat über seine Verteidiger zugestimmt, sich vom Psychiatrischen Sachverständigen Johannes Fuß „explorieren“ zu lassen, sein Gutachten wird für Mitte August erwartet. Nach der Sommerpause, die bis Mitte September dauern soll, könnten dann die Schlussvorträge und das Urteil folgen. Der Prozess ist bis Ende Oktober terminiert, ein Urteil könnte aber bereits früher fallen.
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