Justiz

Messerattacke Mannheim: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Ende des Prozesses

Am 16. September soll im Prozess um die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz ein Urteil gegen den Angeklagten Sulaiman A. fallen. Welche Strafe erwartet ihn? Wie wurde die Tat juristisch aufgearbeitet? Und welche Fragen sind offengeblieben?

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Der Prozess findet vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim statt. Ein Urteil in dem Prozess um das Messerattentat soll am 16. September fallen. © picture alliance/dpa

Stuttgart. Mitte September soll eins der wichtigsten Verfahren in der Geschichte der Mannheimer Verbrechen zu Ende gehen: der Prozess um das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz. Die wichtigsten Informationen zum Verlauf des Verfahrens, zu offenen Fragen und dazu, welche Strafe dem Angeklagten droht.

Zum Gegenstand der Verhandlung: Was passierte am 31. Mai 2024 auf dem Mannheimer Marktplatz?

Bei Vorbereitungen zu einer Kundgebung des rechtspopulistischen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“ griff ein Mann – offenbar gezielt – den Chef des rechtspopulistischen Vereins, Michael Stürzenberger, mit einem Messer an. Er stach mehrere Male auf ihn sowie Mitstreiter und herbeigeeilte Passanten ein. Den Polizisten Rouven Laur, der in das Tatgeschehen eingriff, verletzte er so schwer am Kopf, dass der 29-Jährige wenig später starb. Der Schuss eines Polizisten stoppte den Mann schließlich. Weil die „Bürgerbewegung Pax Europa“ ihre Kundgebung via Live-Stream ins Netz übertrug, kursierte schon bald ein Video von der Tat, das zigfach in den sozialen Medien geklickt, angesehen und geteilt wurde.

Wie lautete die Anklage?

Die Bundesanwaltschaft hat Anklage wegen Mordes, fünffachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung erhoben. Es gebe Hinweise darauf, dass der Angeklagte mit dem „Islamischen Staat“ – kurz IS – sympathisiere und dass er dessen Ideologie teile, so die Anklagebehörde. Und: Spätestens Anfang Mai 2024 entschloss sich der Mann dazu, in Deutschland einen Anschlag auf „vermeintlich Ungläubige“ zu begehen.

Warum führte die Bundesanwaltschaft die Anklage?

Bereits wenige Tage nach der Tat zog die oberste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen zur Tat an sich. Dies passiert nur in schwerwiegenden Fällen, die den Staatsschutz beeinträchtigen, die die innere und äußere Sicherheit gefährden könnten. Die oberste deutsche Anklagebehörde geht bei dem tödlichen Messerangriff in Mannheim von einer Straftat aus, die „geeignet ist, die innere Sicherheit in Deutschland“ zu gefährden, sagte eine Sprecherin der Behörde.

Wie lange wird noch verhandelt?

Der Prozess gegen den Angeklagten Sulaiman A. hat Mitte Februar begonnen, ursprünglich waren in dem Verfahren über 50 Termine angesetzt, nach aktuellem Plan könnte das Urteil am 16. September, am 36. Prozesstag fallen. Am 15. September soll Sulaiman A. um 11.30 Uhr das letzte Wort erteilt werden, die Urteilsverkündung ist für Dienstag, 16. September, 9 Uhr, vorgesehen.

Welche Strafen haben die Verfahrensbeteiligten gefordert?

Die Bundesanwaltschaft hat für eine lebenslange Haftstrafe sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld plädiert, die meisten Nebenkläger haben sich außerdem für den die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder ihren Vorbehalt ausgesprochen. Die Verteidiger forderten eine lebenslange Haftstrafe.

In welchem Rahmen bewegt sich die zu erwartende Strafe?

Bei Mord kennt unsere Rechtssprechung nur eine Strafe: die lebenslange Haftstrafe. Entgegen dem Wortlaut „lebenslang“ kann aber schon nach 15 Jahren ein Antrag zur Aussetzung der Strafe zur Bewährung gestellt werden, allerdings ist das kein Automatismus.

Eine vorzeitige Haftentlassung zur Bewährung nach 15 Jahren gilt als nahezu ausgeschlossen, wenn ein Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt. Unabhängig davon kann die lebenslange Freiheitsstrafe mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung kombiniert werden, die eben nicht an die Schuld des Verurteilten, sondern an dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit anknüpft. Während die Sicherungsverwahrung im Fall von zeitlich begrenzten Haftstrafen bedeutet, dass ein Verurteilter auch nach der regulären Haftzeit zunächst nicht frei kommt, ist dies bei lebenslanger Haft komplizierter, weil die Freilassung zur Bewährung auch die Aufhebung der Sicherungsverwahrung bedeuten kann.

Welche Zeugen und Sachverständige hat der Senat während der Beweisaufnahme gehört?

Neben der genauen Rekonstruktion des Tatgeschehens sowie der Vorbereitung der Tat und der Radikalisierung des Angeklagten lag der Fokus des Staatsschutzsenats darauf, die Folgen der Tat sichtbar zu machen – die lebensverändernde Bedeutung für Einzelne, für die Polizei und die gesamtgesellschaftliche Relevanz.

Insgesamt wurden über 60 Zeugen und 15 Sachverständige gehört. Darunter waren neben den Opfern der Tat auch zahlreiche Polizeibeamte, die am Tattag auf dem Marktplatz im Einsatz waren. Außerdem waren unter anderem der Präsident des Landeskriminalamts, Andreas Stenger, und die Mannheimer Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer Zeugen in dem Verfahren. Im Zeugenstand hörten die Prozessbeobachterinnen und -beobachter bewegende Berichte der Ersthelfenden und der Ärzte, die am Universitätsklinikum um das Leben von Rouven Laur kämpften. Auch zahlreiche Zeuginnen und Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten wurden gehört – unter anderem die Ehefrau und der Schwager von Sulaiman A.

Mehrere Islamwissenschaftler halfen dem Gericht dabei, die Chats, die auf den elektronischen Geräten des Angeklagten gefunden wurden, auszuwerten, um die Radikalisierung bestmöglich nachzuzeichnen.

Der Senat war und ist– wie in Fällen dieser Art üblich – mit fünf Berufsrichtern besetzt. Die Schwurgerichtskammern in „normalen“ Strafverfahren bestehen aus drei Berufsrichterinnen und -richtern sowie zwei Schöffen.

Was hat der Angeklagte gesagt?

Der Angeklagte hat sich zu Beginn des Verfahrens stundenlang zu seiner Biografie und an einem anderen Prozesstag auch mehrere Stunden lang zur Tat geäußert, er hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er selbst gab an, die Tat zu bereuen und sich innerhalb kürzester Zeit im Internet radikalisiert zu haben.

Welche Fragen sind offengeblieben?

Der Prozess konnte einige offene Punkte nicht klären, zum Beispiel welche Daten und Chats Sulaiman A. auf seinem „Haupthandy“ gespeichert hatte. Der Angeklagte gab an, das Handy in Zeitungspapier eingewickelt und es in einen Altpapiercontainer geworfen zu haben, bevor er von Heppenheim, wo er wohnte, nach Mannheim fuhr. Zu den Gründen dafür gab er an, er habe gedacht, das Handy könne später belegen, dass er während der Tat zu Hause gewesen sei. Die Ermittler konnten das Telefon nie ausfindig machen, gleiches gilt für die SIM-Karte, die Sulaiman A. zuvor entnommen und auf dem Marktplatz zerbrochen haben soll.

Vor der Tat versuchte Sulaiman A., seinen Telegram-Account zu löschen, das funktionierte aber nicht, weil er die SIM-Karte da schon herausgenommen hatte. Technikern des Landeskriminalamts gelang es später, das alte Gerät, das er an diesem Tag dabei hatte, zu klonen. So verschafften sie sich Zugriff auf den Telegram-Account und gelangten an Chats und Daten.

Offen blieb auch, wer aus welchen Gründen den Google-Account des Angeklagten löschte. Ein Ermittler gab während des Prozesses an, dass jemand dies – eingeloggt im W-LAN der Schwiegereltern des Angeklagten – kurz nach dem Verbrechen tat, zu dieser Zeit soll sich die Ehefrau von Sulaiman A. in der Wohnung ihrer Eltern aufgehalten haben.

Einer der wichtigsten Zeuge des Prozesses ist im Laufe des Verfahrens nicht gehört worden: ein Passant, der in das Tatgeschehen eingriff und dem Attentäter so zur Befreiung verhalf. Bundesanwaltschaft und Senat gehen von einer Fehleinschätzung mit fatalen Folgen aus. Während des Verfahrens war zunächst von einer psychischen Erkrankung des Zeugen die Rede, dann wollte der Senat ihm ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht einräumen und ihn deshalb gar nicht erst vor Gericht erscheinen lassen. Einen Beweisantrag des Anwalts der Schwestern von Rouven Laur, der darauf abzielte, diesen Zeugen doch noch zu hören, lehnte der Senat ab.

Über die Rolle des Zeugen ist vielfach spekuliert worden, insbesondere, nachdem das ZDF Rechercheergebnisse veröffentliche, die andeuteten, dass Russland hinter den Terroranschlägen in Deutschland stecken könnte – um Deutschland vor wichtigen Wahlen zu destabilisieren. Der Vorsitzende des Senats teilte im Laufe des Verfahrens mit: Die Sicherheitsbehörden halten die Daten für „nicht valide“.

Auch offen blieb das Motiv für den Mord an Rouven Laur: Ging Sulaiman A. gezielt auf ihn los, weil er Polizist war? Oder war dies eine „spontane Tathandlung“, wie es die Verteidiger in ihren Plädoyers skizzierten?

Welche Sicherheitsvorkehrungen erwarten die Besucher an den letzten beiden Prozesstagen?

Die Verfügung des Vorsitzenden Richters sieht vor, dass keinerlei Gegenstände, die zur Demonstration, die geworfen, gesprüht oder mit deren Hilfe geschlagen werden könnte, mit in den Gerichtssaal genommen werden dürfen. Gleiches gilt für Schreibgeräte, Taschen, Telefon- und Funkgeräte, Laptops und Tablets. Auch Geräte, mit deren Hilfe Ton- oder Bildaufnahmen gefertigt werden können, sind verboten. Neben einer Durchsuchung (Abtasten der Kleidung, unter anderem mit einem Metallsuchgerät) müssen sich Besucher darauf einstellen, dass ihre Ausweise kontrolliert und eingescannt werden. Auch im Sitzungssaal gelten strenge Regeln. So sind Kontaktaufnahmen zum Angeklagten untersagt, wer den Saal für länger als 15 Minuten verlässt, verliert seinen Platz. Sobald alle Plätze belegt sind, werden keine weiteren Zuschauer mehr eingelassen.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke