Bürstadt. Ein kleine Versammlung sitzt tiefenentspannt auf dem Grasweg: Zehn kugelige Fellknäuel, die von Weitem wie große Erdschollen aussehen. Jagdpächter Gerhard Held entdeckt sie auf den ersten Blick. „Da sind die Nutrias“, sagt er und findet die muntere Horde kein bisschen niedlich. Im Gegenteil, der Bürstädter hat den kleinen Nagern den Kampf angesagt.
Am Mühlgraben südlich von Bobstadt fühlen sich die Einwanderer aus Südamerika besonders wohl. „Hier finden sie ideale Bedingungen“, erläutert Gerhard Held. Und tatsächlich witscht eine kleine Nutria wie auf Zehenspitzen und mit eingezogenem Bauch quer durchs Wasser – und ist plötzlich verschwunden. Wohin, ist nicht zu erkennen. Ein riesiger Brombeerbusch verdeckt den Hang.
Nutrias: Nager zu Wasser
- Nutrias oder auch Sumpfbiber gibt es fast überall in Deutschland.
- Ursprünglich stammen die Nager aus Südamerika, in Europa wurden sie nur auf Pelzfarmen gehalten
- Die Nutria wird oft mit der Bisamratte verwechselt, die aus Nordamerika stammt und etwas kleiner ist. Mit der Ratte ist sie nur entfernt verwandt
- Gejagt werden dürfen die Tiere nur bis zur Brut- und Setzzeit, also bis 28. Februar. Das gilt auch für dieses Schaltjahr.
So in etwa sieht es am ganzen Bachlauf bis rüber zur B 44 aus. Alles ist dicht zugewuchert, schön ruhig und kuschelig für Enten, Singvögel – und eben die nagenden Wasserbewohner. „Das Gebüsch muss weg.“ Darüber ist sich Held mit Henry Riechmann, Naturschutzbeauftragter der Stadt Bürstadt, einig.
„Nicht alles auf einmal, aber so nach und nach“, nickt Riechmann. Schließlich will er den anderen Tieren auf jeden Fall einen Rückzugsort lassen. Bei den Nutrias kennt aber auch er wenig Gnade. Nicht nur, weil sie im Sommer einen mittleren Kahlfraß auf den Äckern zwischen Bobstadt und Bürstadt veranstaltet haben. Sie stellen auch ein echtes Problem für die Verkehrssicherheit dar.
Pfade der Nutrias laufen quer über die Felder
Ein Stück weiter in Richtung Hofheim ist das deutlich zu sehen. Alle paar Meter führen kleine Pfade steil abwärts zum Mühlgraben. „Sehen Sie, da ist ein Loch. Das ist der Eingang zum Bau. Und daneben gleich noch eins.“ Held schüttelt den Kopf. „Das Ufer ist komplett unterhöhlt.“
Vom Weg aus ist von den unterirdischen Bauarbeiten nichts zu erkennen. Wer hier mit schwerem Gerät unterwegs ist, droht einzubrechen. „In Bobstadt ist das schon passiert“, erinnert Held an einen Unfall im Sommer, der gerade noch glimpflich ausgegangen ist. Aber auch Fußgänger könnten hier abrutschen und ein Stück tiefer landen – und sich dabei erheblich verletzen.
Quer über die angrenzenden Felder führen die schmalen Pfade der Nutrias – zwischen dem frisch gesäten Winterweizen deutlich zu erkennen. Wie viele Exemplare auf Bürstädter Gemarkung leben, weiß keiner. Fest steht allerdings, dass sie sich explosionsartig vermehrt haben.
Und dass sie ordentlich Schäden auf den Feldern anrichten. Ob Rüben oder Mais – wählerisch sind die Nager nicht. Auf vier Äckern haben sich die pelzigen Schädlinge über zehn bis zwölf Meter durchgefressen.
Grund genug für eine Sondergenehmigung: Im Sommer ist eigentlich Schonzeit, dennoch durften 36 Jungtiere geschossen werden, die keinen Nachwuchs zu versorgen hatten. Allerdings ließen die Schüsse mitten in der warmen Jahreszeit die Anwohner hochschrecken. „Ruckzuck war die Polizei da“, berichtet der passionierte Jäger. Angesichts der Sondergenehmigung zogen die Beamten aber schnell wieder ab.
Noch bis 28. Februar haben die Jagdpächter nun freie Bahn, dann dürfen auch Elterntiere erlegt werden. Deshalb ist Held zurzeit regelmäßig mit dem Feldstecher, bei Eis und Schnee auch mit der Wärmebildkamera unterwegs. „Ich versuche herauszufinden, wo sie sich aufhalten“, erläutert der Bürstädter. Viel Zeit nehme das in Anspruch.
Anfangen können die Jäger mit ihrer Beute allerdings nichts. Das Fleisch sei zwar durchaus schmackhaft. Allerdings werden die Nager gerne mit Bisamratten verwechselt. Und Ratten wolle eben keiner essen. Auch das Fell sei kaum zu verwerten, obwohl Nutria-Pelze lange sehr geschätzt wurden.
Inzwischen verzichten die meisten Menschen auf echte Pelze. Also bleibt den Jägern kaum etwas anderes übrig, als die geschossenen Tiere zu vergraben. „Oder sie dienen als Köder für die Füchse“, erläutert Held. Die kleinen Räuber haben sich ebenfalls stark vermehrt und dürfen – oder besser müssen – geschossen werden.
Vor allem der Mühlgraben ist bei den Nutrias besonders beliebt
Für den Umweltbeauftragten Riechmann ist nun keine Frage, was zu tun ist: Brombeeren und auch das dichte Schilf entlang der Entwässerungsgräben müssen zurückgeschnitten werden. Vor allem am Mühlgraben, bei den Nutrias besonders beliebt. „Hier wird das Wasser aus der Kläranlage eingeleitet“, erläutert er. Wenn im Sommer viele kleine Bäche austrocknen, sind die Bedingungen hier noch ganz gut für alle Tiere, die auf Wasser angewiesen sind. Im Rathaus will er jetzt genau besprechen, wie es weiter geht in Sachen Grabenpflege.
Dass streckenweise auch wertvolle heimische Hölzer gestutzt werden müssen, ist für den Biologen kein Problem. „Wir müssen auch hier in die Natur eingreifen, damit nicht eine einzelne Art überhandnimmt.“ Vielfalt ist gefragt. Für die Nutrias gilt das nicht. Als Schädlinge haben sie hier einfach nichts zu suchen.
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