Geschichtsverein

Noch mehr Licht in Heppenheims dunkle Vergangenheit bringen

Themen wie die Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit und das Versuchslager „Paprika“ will der Verein stärker ausleuchten / Zweitägiger Workshop

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Claudia Stehle/ü
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Auf dem ehemaligen Gelände der Psychiatrie in Heppenheim wird an die Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkrieges erinnert. Siliva Pascale und Orlando Materassi, Nachfahren italienischer Kriegsgefangener, legen Blumen am Mahnmal nieder. © Dagmar Jährling

Heppenheim. Mit der Vergangenheit Heppenheims in der Zeit des Nationalsozialismus befasste sich der Heppenheimer Geschichtsverein am Donnerstag und Freitag. Der Verein will sich dafür einsetzen, dass diese Aspekte stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken.

„Wir müssen weiter Denkmäler und Erinnerungstafeln anbringen, unsere Pressearbeit zum Thema verstärken, mit Schulen und Studierenden Projekte bearbeiten, uns stärker vernetzen und kooperieren und auch den internationalen Austausch in Zusammenhang mit Versöhnung und der Vermittlung des Nazi-Terrors suchen“, stellte Professor Karl Härter als Vorsitzender des Geschichtsvereins beim Workshop am Freitag fest.

Dachauer Außenlager

Vielen Heppenheimern sei auch heute nicht so ganz klar, dass es in ihrer Stadt Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit gegeben habe, dass es hier sogar ein Außenlager der KZ Dachau und später Natzweiler/Struthof gegeben habe und auch Kriegsgefangene unterschiedlicher Nationalitäten untergebracht waren.

„Die Nazis breiteten die Zwangsarbeit wie ein Netz über ganz Deutschland aus“, stellte Härter fest. So arbeiteten 572 Zwangsarbeiter aus unterschiedlichen Ländern im Tonwerk, lebten viele Juden im KZ-Außenlager, die landwirtschaftliche Arbeit im sogenannten Paprika-Gelände verrichteten, waren ab 1941 bis Kriegsende bis zu 1100 Kriegsgefangene auf dem Gebiet der Psychiatrie untergebracht.

Den Tod in Kauf genommen

„Alle – ob Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge – lebten unter unmenschlichen Bedingungen, ihr Tod wurde in Kauf genommen, ihre Todesursachen vertuscht“, stellte Härter fest und berichtete darüber, dass bei den US-Kriegsgefangenen in Heppenheim die Zeit dort auf dem Gelände und in den Räumen der Psychiatrie als „Hospital Hell“ bezeichnet wurde. Er verwies zudem darauf, dass während der Nazi-Herrschaft 134 jüdische Familien aus Heppenheim vertrieben und getölmetet wurden und man ihre Synagoge zerstörte.

Über das KZ-Außenlager und die Arbeit der Häftlinge im landwirtschaftlichen Versuchslager „Paprika“ berichtete Dagmar Jährling. Dass es dieses Lager gegeben habe, sei den Heppenheimern bekannt gewesen. Es habe aus unbeheizten Holzbaracken für die Häftlinge sowie aus Steingebäuden bestanden, die erst vor Kurzem abgerissen worden seien. Als Zeitzeugen dafür führte sie Ernest Gillen (1921-2004) an, einen späteren Konsul von Luxemburg, der zum Lager Skizzen erstellt hat.

Es sei eine Art Versuchslager gewesen, in dem man unter anderem daran arbeitete, ob man Vitamin C aus Gladiolen gewinnen könne, berichtete Jährling. Die Gärtnerei sei eigentlich für die Versorgung der Patienten in der Psychiatrie angelegt worden und habe nach Kriegsende für diesen Zweck weitergearbeitet.

Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"

„Die Lagerinsassen mussten hier für SS-Betriebe arbeiten wie die Trockenkonservenfabrik Trokofa, die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH und die Deutsche Versuchsanstalt“, berichtete Jährling. Sie hat bei ihren Recherchen herausgefunden, dass hier eine spezielle Paprikasorte „Bergstraße“ gezüchtet und der Anbau von Gewürzpaprika aus Heppenheim über Deutschland verbreitet wurde, ebenso wie der professionelle Majoran-Anbau. Auch zum KZ-Außenlager gebe es noch viele offene Fragen, die man klären sollte. Heppenheim war, so sagt sie, eine Miniatur-Plantage im KZ-Bereich.

Zum Workshop waren als Gäste aus Italien Silvia Pascale und Orlando Materassi gekommen als Nachfahren italienischer Kriegsgefangener, die bei diesem Treffen Einblicke in ihre Recherchen boten. Franz Beiwinkel stellte das Tagebuch des amerikanischen Kriegsgefangenen Lea Warren Merril vor, zu dessen Familie er vor einigen Jahren bei deren Besuch in Heppenheim durch Zufall Kontakt aufgenommen hat und denen er die Psychiatrie als Ort der Gefangenschaft ihres Verwandten vorstellte.

Projekte der Geschichtswerkstatt

„Eigentlich war die Heppenheimer Psychiatrie ein Vorzeigekrankenhaus, doch schon im Ersten Weltkrieg sind hier Patienten verhungert“, so Beiwinkel, der auch das sogenannte T4-Vernichtungsprogramm der Nazis anführte, durch das Patienten aus Heppenheim in Hadamar ermordet wurden und damit Platz für die Nutzung des Krankenhauses als Kriegslazarett geschaffen wurde.

Luca Hechler stellte in einem weiteren Vortrag die Projekte der Geschichtswerkstatt Bensheim in Zusammenarbeit mit dem Schuldorf Bergstraße (Seeheim-Jugenheim) zu Zwangsarbeit und Lager vor.

Bereits am Vortag hatten die Gastgeber mit ihren italienischen Gästen die Orte in der Stadt besichtigt, in denen während der Nazi-Herrschaft Zwangsarbeit geleistet sowie Kriegsgefangene und jüdische Häftlinge eingesperrt waren. Claudia Stehle/ü

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