Bergstraße. Die meisten Schlecker-Filialen haben längst dichtgemacht, das Thema Schlecker-Frauen taugte eine Zeit lang zum Aufreger in öffentlichen Debatten. Jetzt beginnt für die Mitarbeiter der insolventen Drogeriekette der Alltag - arbeitslos und auf Jobsuche.
Beate Hartnagel aus Lorsch hat zehn Jahre für Schlecker gearbeitet. Anfang Juli wurde die 53-Jährige bei den Arbeitsvermittlern von Neue Wege vorstellig, es folgte die Ernüchterung: "Man muss erst Hartz IV beziehen, um an Programmen von Neue Wege wie der Einstiegsoffensive oder ,50 Plus' teilnehmen zu können." Beate Hartnagels Arbeitslosengeld I liegt 160 Euro über der Grenze für eine Aufstockung mit ALG II - damit ist Neue Wege nicht für die Betreuung der ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterin zuständig, wie Betriebsleiter Stefan Rechmann bestätigt. Für Beate Hartnagel führt der Weg jetzt über das Jobcenter der Arbeitsagentur.
Wie ihr geht es dem Großteil der rund 30 Schlecker-Mitarbeiter, die im Kreis Bergstraße einen neuen Job suchen. Nur zwei ehemalige Geringverdiener der Drogeriekette werden direkt von Neue Wege betreut. Die anderen beziehen ALG I ohne Aufstockung und werden von der Agentur für Arbeit betreut, wie Stefan Rechmann erklärt. "Die direkte Vermittlung über den Arbeitgeberservice ist für die Schlecker-Mitarbeiter sowohl bei Neue Wege als auch bei der Agentur für Arbeit die erste Option. Dort haben die Arbeitsuchenden die besten Chancen, weil sie ja direkt aus dem Beruf kommen." Zudem greife auch für ALG -I-Empfänger über die Agentur für Arbeit ein Programmangebot mit Bewerbungstraining, Coaching oder "50 Plus"-Maßnahmen, wie Judith Sturm von der Pressestelle der Agentur für Arbeit Darmstadt betont.
ALG I reicht nicht
15 Monate wird Beate Hartnagel ALG I beziehen. Was dabei monatlich auf ihr Konto fließt, sei zu wenig für die anfallenden Ausgaben: Die Zinsen für die Hypothek auf dem Haus wollen bezahlt sein, Geld für Zahnersatz braucht die Lorscherin in der nächsten Zeit ebenfalls. "Wenn ich ein Jahr lang nur mit ALG I auskommen soll, bin ich danach am Ende", sagt sie. "Wie soll ich mich bewerben, wenn ich kein Geld für den Friseur oder geeignete Kleidung für ein Bewerbungsgespräch habe?" An den Mitarbeitern von Neue Wege und der Agentur für Arbeit liege es nicht, wie Beate Hartnagel betont: "Die sind alle sehr nett, aber die machen die Gesetze ja auch nicht."
Warten, bis sie im nächsten Jahr in Hartz IV rutscht, will Beate Hartnagel nicht. Von einer Freundin hat sie sich Tipps für Bewerbungsschreiben geholt, auf Stellenangebote des Jobcenters bewirbt sie sich bereits. "Meistens wird aber für die Produktion gesucht - was sollen die mit einer Verkäuferin?", fragt Beate Hartnagel. Von den guten Vermittlungsaussichten, die die Bundesagentur für Arbeit den entlassenen Schlecker-Mitarbeitern bescheinigt, spürt die Lorscherin wenig. "Das Problem ist, dass auf einen Schlag viele Arbeitsuchende aus der gleichen Branche und mit ähnlichen Qualifikationen vermittelt werden müssen", bestätigt Judith Sturm. "Aber die Situation im Rhein-Main-Neckar-Gebiet sieht noch relativ gut aus, es gibt offene Stellen im Einzelhandel." Wer mobil sei und in mehreren Branchen suche, habe gute Karten. Auch wenn der Altersdurchschnitt der Schlecker-Mitarbeiter bei 35 bis 40 Jahren liege, sieht Sturm für "50 Plus"-Bewerber im Einzelhandel weniger Nachteile als in anderen Branchen.
Ziel ist ein Vollzeitjob
Beate Hartnagel hat für alle Fälle schon selbst den Telefonhörer in die Hand genommen und sich nach Stellen erkundigt. Ihre frühere Chefin sei durch Eigeninitiative in einen 25-Stunden-Job gerutscht. Sie selbst hat eine Einladung zum Bewerbungsgespräch für eine Stelle in der Kosmetikproduktion. "Mein Ziel ist aber ein Vollzeitjob. Mit zwei bis drei Nebenjobs oder so vielen Schichten, dass ich bei rund acht Euro Stundenlohn auf 800 Euro im Monat komme, das schaffe ich nicht lange."
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-nach-dem-schlecker-aus-folgt-das-warten-_arid,366589.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lorsch.html