Bensheim. Neun Monate nach der tödlichen Messerattacke in Bensheim ist am Landgericht Darmstadt das Urteil gefallen. Wahid H., 37 Jahre alt und afghanischer Staatsbürger, wurde am Dienstag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Schwurgerichtskammer stellte das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe fest, sah aber keine besondere Schwere der Schuld.
Die Staatsanwaltschaft sprach von einem Femizid – der schwersten Form von Gewalt gegen Frauen. „In Deutschland wird fast jeden Tag eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet.“ Auch in diesem Fall habe der Täter nicht akzeptieren können, dass die Geschädigte ein selbstbestimmtes Leben führen wollte.
Die Ehe sei von Beginn an von Gewalt geprägt gewesen. H. habe seine Frau geschlagen, gewürgt und kontrolliert, sich stets als Oberhaupt verstanden. Schon nach der Hochzeit habe er ihr vorgeschrieben, wie sie zu leben habe – vom Tragen eines Schleiers bis hin zu Regeln im Umgang mit Verwandten. Jede Abweichung habe er als Angriff empfunden.
Nach der Flucht der Familie nach Deutschland 2021 habe sich daran wenig geändert. Trotz neuem Umfeld habe H. an seinen Vorstellungen festgehalten und seiner früheren Frau immer wieder gedroht, wenn sie eigene Wege ging.
Die Umstände der Tatnacht wertete die Staatsanwaltschaft als gezielt herbeigeführt: H. sei zur Wohnung gegangen, obwohl er wusste, dass die Kinder dort schliefen. Chatnachrichten belegten, dass seine Ex-Frau ihn nicht empfangen wollte. Er habe Streit provoziert und auch dann nicht abgelassen, als die 34-Jährige und ihre Tochter um Gnade baten. Mit „Vernichtungswillen“ habe er mehrfach zugestochen, vor allem in den Hals.
„Kinder haben Mutter und Vater verloren“
Die Nebenklage, die die Interessen der Kinder vertrat, schloss sich der Staatsanwaltschaft an. „Die Kinder haben nicht nur ihre Mutter verloren, sondern auch ihren Vater, der nun im Gefängnis sitzt“, sagte Rechtsanwalt Klaus Kaczmaryk. „Diese Kinder werden ihr Leben lang mit den Folgen dieser Tat umgehen müssen.“
Besonders schwer wiege, dass die Tochter den Mord miterlebt hat. Sie berichtete von Albträumen und davon, dass sie ihren Vater nicht mehr sehen wolle. Auch der Sohn habe angegeben, in der Vergangenheit vom Vater geschlagen worden zu sein. Die Angst der Kinder sei groß gewesen, sodass Kontakte nur begleitet stattfinden durften. Für die Nebenklage war klar: Die Tat habe nicht nur das Leben der Mutter zerstört, sondern auch die Kindheit der beiden.
Die Verteidigung plädierte dagegen auf Totschlag. Ihr Mandant habe die Tat nicht geplant und in einer emotionalen Ausnahmesituation gehandelt. Er sei verzweifelt gewesen, unfähig mit dem Zerbrechen seiner Familie umzugehen. Auch habe die Getötete selbst zeitweise Nähe gesucht und über eine Rückkehr nachgedacht. „Das ist kein Bild eines Mannes, der allein von Besitzdenken getrieben ist“, argumentierte Verteidigerin Inga Berg.
Bei seinem letzten Wort klagte Wahid H. über Ungerechtigkeit und Übersetzungsfehler. „Ungerecht ist, was mit mir geschieht“, sagte er. Wieder einmal stellte er sich als Opfer dar. Schließlich räumte er nach einer Beratung mit seiner Anwältin ein: „Meine Frau ist durch meine Hand gestorben, was geschehen ist, bereue ich zutiefst.“ Eine Entschuldigung bei seiner Tochter blieb jedoch aus.
Täter-Opfer-Beziehung und Brutalität
Richter Volker Wagner folgte im Wesentlichen der Anklage und nahm sich in seiner Begründung Zeit, das Muster der Beziehung zu beschreiben. Bereits kurz nach der Hochzeit habe H. Gewalt ausgeübt. Die Geschädigte sei in der Ehe gefangen gewesen und habe wegen der Kinder kaum einen Ausweg gefunden. „Diese Täter-Opfer-Beziehung hat sich wie ein roter Faden durch ihr gemeinsames Leben gezogen“, so Wagner. Er erinnerte daran, dass die 34-Jährige mehrfach versucht habe, sich zu emanzipieren. Sie habe sich scheiden lassen und sich eine eigene Wohnung gemeinsam mit den Kindern gesucht. All das habe H. als Angriff auf seine Rolle verstanden. „Er wollte nicht akzeptieren, dass sie ein eigenständiges Leben führt, weil er dadurch seine Macht als Mann in Frage gestellt sah.“
Immer wieder habe H. versucht, seine Gewalttaten kleinzureden und sich selbst in die Opferrolle zu stellen – als jemand, der wegen Kultur und Religion nicht anders handeln könne. „Doch tatsächlich stellte er sein Besitzdenken über das Lebensrecht seiner Ex-Frau.“ Der Angeklagte habe die Emanzipation der Geschädigten nicht ertragen, habe seine Autorität schwinden sehen und „als einzigen Ausweg die Tötung gewählt“.
Die Tat selbst sei von „enormer Brutalität“ gekennzeichnet gewesen. Am Abend des 4. Dezember 2024 sei H. gegen den Willen der 34-Jährigen in die Wohnung in Bensheim gelangt. Während die Kinder anwesend waren, habe er nach einem Streit Messer aus der Küche genommen, mehrfach auf seine frühere Frau eingestochen und ihr schließlich die Kehle durchgeschnitten. H. habe nicht aufgehört, obwohl seine Ex-Frau und Tochter flehten. „Er hat weiter zugestochen, bis sie starb, und das vor den Augen seiner Tochter.“
Er habe auch nicht gezögert, das Kind zur Seite zu stoßen, um sein Vorhaben fortzusetzen. „Wer so handelt, handelt mit Vernichtungswillen“, sagte Wagner.
Geständnis erst nach der Beweisaufnahme
Besonders hob der Richter hervor, dass H. erst am Ende des Verfahrens zugab, dass seine Ex-Frau durch seine Hand starb. „Er hat immer wieder versucht, sich selbst zu entlasten, und erst nach Abschluss der Beweisaufnahme ein Minimum an Verantwortung übernommen.“
Hinweise auf eine psychische Erkrankung gebe es nicht, vielmehr habe der Angeklagte gezielt und entschlossen gehandelt. Seine Ex-Frau habe geglaubt, er wolle mit ihr reden – dass er sie töten würde, habe sie nicht erwartet. „Er hat die Geschädigte getötet, weil er seine Herrschaft sichern wollte.“, sagte Wagner.
Bei der Urteilsverkündung blieb H. regungslos, ohne jede sichtbare Regung. Keine Geste, kein Wort, kein Zeichen von Reue – so nahm er das Urteil entgegen. Während der Vorsitzende Richter Wagner die lebenslange Freiheitsstrafe begründete, blickte er starr nach vorne. Die einzige Gefühlsregung an diesem Tag zeigte er, als der Staatsanwalt eine Sure aus dem Koran zitierte, in der Töten als größte Sünde im Islam bezeichnet wird. Da wirkte H. für einen kurzen Moment betroffen.
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