Nachbetrachtung

Messerattentäter vom Mannheimer Marktplatz kommt in hessische Haftanstalt

Im Rahmen einer Live-Aufzeichnung des Pocasts „Verbrechen im Quadrat“ blicken die beiden Strafverteidiger des zu lebenslanger Haft verurteilten Sulaiman A. auf das Verfahren

Von 
Sebastian Koch
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Sulaiman A. während dem Prozess in Stuttgart-Stammheim. Seine Strafe wird der zu lebenslänglich verurteilte Mörder in einer hessischen Haftanstalt absitzen, da er zum Tatzeitpunkt in Heppenheim wohnte. © Marijan Murat/dpa

Mannheim/Heppenheim.. Sulaiman A., der bei dem Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz am 31. Mai 2024 Rouven Laur getötet und fünf weitere Menschen teils schwer verletzt hat, soll in einer hessischen Haftanstalt seine Strafe absitzen. Der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim hatte ihn Mitte September wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Auch stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Das Urteil ist rechtskräftig. Aktuell ist der aus Afghanistan stammende Sulaiman A noch in Stammheim inhaftiert. Seine Strafe werde er aber in einer der hessischen Justizvollzugsanstalten Butzbach oder Schwalmstadt absitzen. Grund dafür ist, dass Sulaiman A. seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Tat wie berichtet in Heppenheim hatte. Das berichteten jetzt die beiden Anwälte von Sulaiman A. bei einer Live-Aufzeichnung der Podcastfolge von „Verbrechen im Quadrat“ in Mannheim Mehmet Okur und Axel Küster, die beiden Strafverteidiger von Sulaiman A.

Blick durch ein vergittertes Fenster in einer Zelle der Sicherungsverwahrung auf die Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt. © picture alliance / dpa

Noch am Abend der Tat hat Okur das Mandat für Sulaiman A. übernommen. Der Strafverteidiger erinnert sich an die Stunden des 31. Mai 2024: Gesicherte Fakten gab es kaum. Nur ein Video, das die Tat zeigt. Und dann war da die Verantwortung, die Okur von Berufs wegen nun einmal spürt. „Ich verteidige nicht die Tat, sondern den Täter.“

Er zieht Küster hinzu. Beide kennen sich. Beide wissen: Alleine ist ein Staatsschutzverfahren kaum zu bewältigen. Sie berichten von gemischten Reaktionen im Umfeld. Persönliche Anfeindungen habe es zwar kaum gegeben. Dennoch, sagt Küster, sei er vor dem Mandat auch gewarnt worden. Damit könne man sich schnell Ärger einhandeln. Er erzählt zudem von einer „Zweiklassengesellschaft“, mit der man als Strafverteidiger immer wieder konfrontiert sei – auch wenn es nur um gerichtsnahe Parkplätze gehe. Die seien schließlich für „wichtige Leute“, hätten sie zu hören bekommen. Die Anekdote ist unspektakulär, aber auch eindringlich: Rechtsstaat heißt, dass jeder das Recht auf einen Verteidiger hat – aber eben offenbar nicht, dass die überall beliebt sind.

Sulaiman A. soll sprechen, um Reue zu zeigen

Doch das bleibt eine Randnotiz an einem Abend, der sich um größere Fragen dreht. Im Mittelpunkt steht das Urteil. Sulaiman A. habe die lebenslange Haft akzeptiert, erzählen Okur und Küster. Dazu gehöre auch die Feststellung der besonderen Schwere seiner Schuld, die eine vorzeitige Haftentlassung fast ausschließt. „Er ist mit dem Urteil zufrieden.“ A. ist ohne Sicherungsverwahrung davongekommen, anders als etwa der Attentäter von Solingen.

Juristisch nüchtern, aber in der Diskussion zentral, markiert Küster, worum es der Verteidigung ging: Um die Frage, ob der Staat einen Menschen nach verbüßter Strafe weiterhin inhaftieren darf, weil von ihm ein Risiko ausgeht. Dass das Gericht diesen Schritt nicht gegangen ist, dass A. nach 15 Jahre hoffen darf, auf Bewährung entlassen zu werden, werten Küster und Okur als Erfolg. Mehrfach betonen sie, die Schwere der Tat damit nicht zu relativieren. Dass am Ende eine lebenslange Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld stehe, sei eben wegen der Schwere der Tat absehbar gewesen.

Wie also baut man eine Verteidigung auf, wenn „seit Tag 1“ – so Küster – klar ist, worauf das Urteil hinausläuft? Schweigen wäre eine Option gewesen. In diesem Fall aber sollte Sulaiman A. sprechen. Aus Sicht der Verteidigung sei es geboten gewesen, Reue hörbar zu machen, die innere Entwicklung sichtbar. Küster schildert einen Moment aus der Haft: Als Sulaiman A. erfährt, dass Laur verstorben ist, habe er „die Augen aufgerissen“, bestürzt reagiert. Der Verzicht auf eine Revision, das Akzeptieren der lebenslangen Haft – für Okur und Küster Indizien, Sulaiman A.s Reue ernst zu nehmen. Hätte er nicht bereut, hätte das am Strafmaß nichts geändert, sagt Okur. Warum also hätte Sulaiman A. Reue vorspielen sollen? „Der Angeklagte hat die Tat bereut und bereit sie bis heute“, sagt sein Verteidiger.

Die Nebenklage zweifelt daran auch nach Prozessende. Neben Wolfram Schädler und Julia Mende, die die Familie Laur vertreten, sind Sophia Brinkmann, die einen Zeugen vertritt, und Peter Dürr gekommen. Letzterer spricht für Michael Stürzenberger, den A. eigentlich hatte töten wollen. Bis heute hätte er den bekannten und höchst umstrittenen Islamkritiker nicht um Entschuldigung gebeten, merkt Dürr an. Das zeuge nicht von Reue.

So harmonisch Anwälte und Nebenkläger vor und nach der Diskussion zusammenstehen, so kontrovers geht es auf der Bühne zu. Die Interpretation von Sulaiman A.s Satz in seiner Aussage – „Heute muss jemand sterben“ – sorgt für eine Debatte, der kurz vergessen lässt, dass der Prozess eigentlich abgeschlossen, das Urteil rechtskräftig ist.

Für die Verteidigung ist die Aussage weniger eine Absicht als ein missglückter Ausdruck, den der Afghane in seiner Muttersprache so nie gesagt hätte. Der Satz solle stattdessen vom Bemühen zeugen, Verantwortung für eine Tötung zu übernehmen, ohne daraus eine gezielte Polizistenjagd abzuleiten. Vielleicht wäre der Satz mit einem Dolmetscher nie gefallen. Abgesprochen jedenfalls, das offenbaren Küster und Okur, sei er nicht gewesen. Es sei aber eine bewusste Entscheidung gewesen, Sulaiman A. auf Deutsch sprechen zu lassen. Sprachkenntnisse zeugen schließlich gemeinhin von gelungener Integration.

Wer einen solchen Satz viele Monate nach der Tat sagt, markiere damit eine ideologische Entschlossenheit, halten die Nebenkläger dagegen. Auch Schädler habe dieser Satz „beschäftigt“. Jene Worte seien ein Rätsel, das nicht gelöst werden könne, das aber für die Gefährlichkeit von Sulaiman A. spräche. „Heute muss jemand sterben‘, heißt doch: Ich habe einen Auftrag“, sagt Schädler. Okur verweist darauf, dass es einen Angeklagten vor und einen nach der Tat gebe. Die Verteidigung hatte im Prozess eine Turbo-Radikalisierung von Sulaiman A. gesehen, die nicht langfristig nachhallen würde. Anklage und Nebenkläger haben hingegen eine lange anhaltende Radikalisierung befürchtet.

Aufgelöst wird dieser Streit nicht, kann er auch nicht werden. Dabei steht er aber exemplarisch für die Debatte: Die ist kein schriller Schlagabtausch, sondern ein mit Worten und Argumenten geführtes Ringen um Bedeutungen und Konsequenzen, um Willen und Wirklichkeit.

Was bleibt? Eine Verteidigungsperspektive, die nicht gefallen will, sondern erklären. Dass sie in der Minderheit sind, seien sie gewohnt, sagt Küster. Okur und er insistieren auf einem unpopulären, aber fundamentalen Satz: Der Rechtsstaat misst sich nicht am Beifall, sondern daran, dass auch der, der sich außerhalb der Ordnung gestellt hat, innerhalb der Ordnung behandelt wird.

Ein Zellentrakt in der JVA in Butzbach. © picture alliance/dpa

Hat der Rechtsstaat also funktioniert? Schädler bejaht das. Das Urteil sei gerecht und juristisch überzeugend, die Beweiswürdigung solide, die besondere Schwere der Schuld vertretbar, der Verzicht auf Sicherungsverwahrung begründet. Dürr ordnet hingegen eher nüchtern ein, dass Rechtsprechung nicht „Gerechtigkeitsprechung“ heiße. Das Urteil sei erwartbar gewesen – für die Betroffenen bleiben die Tat und deren Folgen aber eine Zumutung. Sophia Brinkmann nennt das Ergebnis in der Tendenz erwartbar, verweist aber auch auf Fragen, die der Senat nicht hat beantworten können. Julia Mende macht die Perspektive der Angehörigen stark: Für die sei „Gerechtigkeit“ als Begriff schwer haltbar, auch wenn das Gericht ein Mordurteil gesprochen hat; die Lücke eines verlorenen Lebens lasse sich nicht schließen.

Und die Verteidiger? Küster betont, das Verfahren sei kein Selbstläufer gewesen. Dass keine Sicherungsverwahrung verhängt wurde, wertet er als Erfolg – nicht als Rabatt für den Angeklagten, sondern als Orientierung am Gesetz. Das erklärt auch Okur. „Man muss fairerweise sagen, dass das Urteil mit dem Gesetz übereinstimmt.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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