Justiz

Plädoyers zur Messerattacke in Mannheim: Verteidiger fordert lebenslange Haftstrafe

Im Prozess um die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz zeichnet der Verteidiger des Angeklagten am Donnerstag in seinem Plädoyer das Bild eines „Verirrten“, der in die Fänge eines radikalen Einflüsterers geriet.

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Agnes Polewka
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Der Angeklagte Sulaiman A. zu Beginn des Verfahrens Mitte Februar. © Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Axel Küster, einer der Verteidiger von Sulaiman A., dem mutmaßlichen Messerattentäter vom Mannheimer Marktplatz, beginnt sein Plädoyer am Donnerstag mit einem Zitat des renommierten Psychiaters Norbert Leygraf: „Islamismus und Jihad bieten sich angesichts der weiten Verbreitung entsprechenden Propagandamaterials im Internet heutzutage als weitere, wenn auch zuweilen besonders schicksalsträchtige Möglichkeit an, sich im Prozess des Erwachsenwerdens auf dem Weg ins rechte Leben zu verirren.“

Dann zeichnet Küster 46 Minuten lang den Weg seines Mandanten im Sinne eines Verirrten nach. Er beschreibt, wie Sulaiman A. im Frühjahr 2024, nur kurze Zeit vor dem Attentat auf dem Mannheimer Marktplatz, begann, mit „OR“ zu chatten, einem radikalen Einflüsterer, dessen Identität die Ermittler bis heute nicht klären konnten.

Dauer der Radikalisierung wichtig für Härte der Strafe

„Er hat den Angeklagten ermutigt, Gewalttaten zu begehen, er hat OR als Autorität angesehen“, sagt Küster. Einen Monat vor der Tat habe Sulaiman A. beschlossen, dass er eine Tat begehen wollte. Wie und was genau er tun wollte, das habe er aber nicht selbst entscheiden wollen, dazu habe er „OR“ gebraucht, der ihn „examinierte“. Küster vergleicht die Manipulation durch „OR“ mit dem Phänomen sogenannter „Schockanrufe“. „Da fragt man sich auch: Wie kann so etwas passieren?“

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dpa
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Die Dauer der Radikalisierung spielte im Laufe des Prozesses immer wieder eine Rolle, nicht zuletzt deshalb, weil sie wichtig für die Prognose ist, ob von Sulaiman A. auch in Zukunft eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht. Und die ist entscheidend dafür, wie hart die Strafe für den Angeklagten am Ende ausfällt.

Der rechtliche Rahmen, in dem sich die zu erwartende Strafe bewegt

Nach deutschem Strafrecht kommt bei Mord ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht. Entgegen dem Wortlaut „lebenslang“ kann aber bereits nach 15 Jahren ein Antrag zur Aussetzung der Strafe zur Bewährung gestellt werden, dies ist allerdings kein Automatismus. In Extremfällen kann die Haftzeit sich über fünf Jahrzehnte erstrecken, grundsätzlich ist sie für einen unbegrenzten Zeitraum angelegt.

Eine vorzeitige Haftentlassung zur Bewährung nach 15 Jahren gilt als nahezu ausgeschlossen, wenn ein Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt. Ein anderes Gericht legt dann fest, wie viele weitere Jahre vergehen müssen, ehe ein Verurteilter den Antrag zur Aussetzung seiner Strafe zur Bewährung stellen kann.

Unabhängig davon kann die lebenslange Freiheitsstrafe mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung kombiniert werden, die nicht an die Schuld des Verurteilten, sondern an dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit anknüpft. Während die Sicherungsverwahrung im Falle von zeitlich begrenzten Haftstrafen bedeutet, dass ein Verurteilter nach dem regulären Ende in Gefangenschaft bleibt, aber komfortablere Haftbedingungen bekommt, ist dies bei lebenslangen Haftstrafen komplizierter. Dann gilt: Wird der Verurteilte auf Bewährung in die Freiheit entlassen, wird die Sicherungsverwahrung vereinfacht gesagt umgewandelt. Der Verurteilte kommt frei, wird aber intensiver und gegebenenfalls auch länger überwacht.

„Sulaiman A. hat in den Gesprächen mit dem Sachverständigen gezeigt, dass er verstehen wollte, warum die Tat passiert ist“

Sollte sich Sulaiman A. innerhalb kürzester Zeit radikalisiert haben, dann gilt er – vereinfacht gesagt – als ungefährlicher. Während Sulaiman A. während des Verfahrens seine Entwicklung als „Turboradikalisierung“ beschrieb, fanden Ermittler auf seinen technischen Geräten auch radikale Inhalte, die viel weiter zurückreichen. Dazu sagt Küster: „Nach Auffassung der Verteidigung ist das Lesen radikaler Inhalte nicht ohne Weiteres damit gleichzusetzen, dass man selbst radikalisiert ist.“ Dies gelte für Sulaiman A. insbesondere auch deshalb, weil es Pläne und Perspektiven für sein Leben gab. 2023 machte er seinen Realschulabschluss, mit sehr guten Noten. Und privat, da rückte die weitere Familienplanung in den Vordergrund. Sulaiman A. und seine Frau beschlossen, ein zweites Kind bekommen zu wollen.

Axel Küster (rechts) hielt am Donnerstag sein Plädoyer. Am Freitag ist der Schlussvortrag seines Kollegen Mehmet Okur geplant. © picture alliance/dpa

„Sulaiman A. hat in den Gesprächen mit dem Sachverständigen gezeigt, dass er verstehen wollte, warum die Tat passiert ist“, sagt Küster. Sulaiman A. sei kein Mensch, der manipuliert, auch der psychiatrische Sachverständige Johannes Fuß sei nicht davon ausgegangen, dass A. die Unwahrheit sage. A. habe sich stundenlang zu der Tat geäußert, sie gestanden und bereue sie aufrichtig.

„Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Tatplan auf die Tötung mehrerer Personen ausgerichtet war und auch die Tötung eines Polizisten geplant war. Diese Auffassung wird von der Verteidigung nicht geteilt“, sagt Küster. Auf dem Video sei deutlich zu erkennen, dass das originäre Ziel des Angriffs – „so traurig das auch ist“ – Michael Stürzenberger gewesen sei. Auch habe Sulaiman A. zunächst gewartet, bis die Polizisten sich entfernt hätten. „Ich bin natürlich niemand, der so eine Tat ausführt, ich glaube aber nicht, dass sie planbar ist.“

Wenn Sulaiman A. tatsächlich möglichst viele Menschen töten wollte, „muss die Frage erlaubt sein, ob das Messer dann das richtige Tatwerkzeug gewesen ist“, sagt Küster. Oder, ob Sulaiman A. nicht mit einem Fahrzeug – wie in Magdeburg – viel größeren Schaden hätte anrichten können.

Und so fordert Axel Küster am Ende seines Plädoyers die lebenslange Haftstrafe für seinen Mandanten, ohne die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und ohne den Vorbehalt oder die Anordnung der Sicherungsverwahrung, das „schärfste Schwert des Gesetzes“. Auf dieses „schärfste Schwert“ will Sulaiman A.s zweiter Verteidiger, Mehmet Okur, am Freitag näher eingehen.

Der Angeklagte Sulaiman A. muss sich seit Mitte Februar vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim verantworten. Der Generalbundesanwalt wirft ihm Mord, versuchten Mord in fünf Fällen sowie gefährliche Körperverletzung vor. Der Messerangriff ereignete sich während einer Kundgebung des rechtspopulistischen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“, das eigentlich Angriffsziel des Attentäters war der bekannte Islamkritiker Michael Stürzenberger. Neben Stürzenberger wurden vier weitere Menschen teils schwer verletzt. Der Polizist Rouven Laur erlag wenige Tage später seinen schweren Verletzungen.

Die Bundesanwaltschaft hat eine lebenslange Haftstrafe sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragt, während die Mehrheit der Nebenkläger die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder ihren Vorbehalt forderte.

Redaktion

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