Interview

Wie Lernen auch ohne Druck gelingen kann

Lernexperte Jürgen Möller macht auf seiner Tour auch Halt in Bensheim. Der ehemalige Lehrer im Interview über Fehler im Bildungssystem– und warum Vokabeln lernen auf dem Trampolin sinnvoll sein kann.

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"Einen Abend, der dich und deine ganze Familie weiterbringt" verspricht das Live-Event mit Jürgen Möller. © Foto: Nicklas Walther / Akademie

Bergstraße. An schlechte Nachrichten aus dem Bildungsbereich haben wir uns gewöhnt – ob Pisa-Studie, Lehrkräftemangel, marode Schulgebäude, Bildungsungleichheit oder Unterrichtsausfall. Aber an den täglichen Kampf am heimischen Esstisch rund um Hausaufgaben, Vokabeltests und Strafarbeiten werden sich Eltern wohl nie gewöhnen. Der ehemalige Gymnasiallehrer Jürgen Möller aus Köln tourt zurzeit mit einem Live-Event durch Deutschland - und tritt am 28. Oktober in Bensheim auf. Die Veranstaltung im Parktheater ist allerdings ausverkauft. Aus jahrelanger Erfahrung kennt er die typischen Stolpersteine im Schulalltag – und weiß, was Familien wirklich hilft.

Vor ausverkauften Hallen gibt er Eltern Nachhilfe im Nachhilfegeben – für eine entspannte Schulzeit und ein gelasseneres Familienleben. Denn, so betont der „Bildungsaktivist“: „Jedes Kind hat das Recht auf eine glückliche Schulzeit.“ Wir haben uns mit dem zweifachen Vater unterhalten.

Herr Möller, Sie sind Lehrer, Lerntrainer und selbst ernannter Bildungsaktivist. Wie sind Sie zu diesen unterschiedlichen Tätigkeiten gekommen, und was treibt Sie an, sich für Bildungsfragen so stark zu engagieren?

Ich habe viele Jahre an Schulen erlebt, wie Kinder ihr Potenzial nicht ausschöpfen – nicht, weil sie zu wenig können, sondern weil das System ihnen nicht zeigt, wie man eigentlich lernt. Das hat mich angetrieben: Ich wollte nicht länger zuschauen, sondern Wege finden, Kinder wieder neugierig, motiviert und selbstbewusst lernen zu lassen. Daraus entstand mein Weg als Lerntrainer und Bildungsaktivist. Mein Ziel ist es, Kindern eine glückliche Schulzeit zu ermöglichen – und Eltern zu zeigen, dass Lernen auch ohne Druck gelingen kann.

Was bedeutet es für Sie, als Bildungsaktivist zu arbeiten, und wie definieren Sie den Begriff „Bildungsaktivismus“?

Bildungsaktivismus bedeutet für mich, den Status quo nicht einfach hinzunehmen. Ich brenne für eine Pädagogik, die Kinder nicht klein denkt, sondern Mut macht und Vertrauen schenkt. Hierfür nutze ich Erkenntnisse aus Wissenschaft, Forschung und Praxis, um das Lernen für Kinder neu erlebbar zu machen. Wir brauchen eine laute Stimme für die Kinder, die sich jeden Tag an ein Schulsystem anpassen sollen – statt dass das System sich an die Kinder anpasst. Aktivismus heißt für mich: Missstände klar benennen, mutig neue Wege aufzeigen und Eltern wie Lehrkräfte dazu inspirieren, Kindern Freude und Leichtigkeit im Lernen zurückzugeben.

Die Welt von morgen entsteht in den Köpfen und Herzen unserer Kinder. Wenn Kinder wissen, wie Lernen funktioniert, werden sie motivierter, selbstständiger und entwickeln ein starkes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Das ist keine Theorie – unzählige Studien bestätigen das. Schon nach der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 hat die OECD empfohlen, dass Kinder das Lernen lernen müssen. Leider ist seitdem wenig passiert.

Was motiviert Sie dazu, mit einem Live-Event durch Deutschland zu touren?

Ich glaube fest daran: Veränderung entsteht nicht in Aktenordnern, sondern in Herzen. Wenn ich in den direkten Austausch mit Eltern und Lehrern gehe, entsteht eine Energie, die kein Fachartikel erzeugen kann. Viele Eltern spüren zwar, dass Schule nicht optimal läuft, wissen aber nicht, wie sie konkret helfen können. In den Live-Events gebe ich ihnen sofort umsetzbare Strategien – und die Erfahrung, dass sie nicht allein sind. Ein Beispiel: Wenn Eltern verstehen, dass sich ein Kind Vokabeln leichter merkt, wenn es diese mit Bildern verknüpft oder in kleine Geschichten einbaut, wird Lernen plötzlich zu einem kreativen Spiel – und nicht mehr zur mühsamen Quälerei. Solche Aha-Momente schaffen Hoffnung und Freude.

Welche Themen sprechen Sie auf Ihrer Tour mit den Eltern an – und warum?

Wir sprechen über Motivation, Konzentration, smarte Lernmethoden und den Umgang mit Druck und Prüfungsangst. Das sind Themen, die in keiner Schulstunde vorkommen – obwohl sie oft über Erfolg oder Frust in der Schule entscheiden. Eltern erfahren, wie sie ihre Kinder stärken, ohne sie zu überfordern. Gerade im Alltag erleben viele Familien: Hausaufgaben werden zur Dauerbaustelle, Lernen endet im Streit. Genau hier setzen wir an. Wir zeigen, dass Lernen nicht anstrengender sein muss als nötig. Lernforschung bietet heute großartige Möglichkeiten: Strategien wie das sogenannte „aktive Abrufen“ oder Karteikarten-Systeme sorgen für schnellere Erfolgserlebnisse. Und über Erfolgserlebnisse kommt die Freude am Lernen zurück.

Was mir bei den Shows wichtig ist: Spaß und Leichtigkeit. Es wird viel gelacht – und die Eltern spüren: Wir sind nicht allein mit unseren kleinen, manchmal großen Herausforderungen im schulischen Alltag.

Was sind die größten Herausforderungen für Eltern beim Thema Lernen?

Der größte Stolperstein ist der Druck. Viele Eltern meinen es gut, setzen aber durch ständige Kontrolle oder Vergleiche das Vertrauen ihrer Kinder aufs Spiel. Kinder lernen am besten in einer Atmosphäre von Sicherheit und Zutrauen. Ein Praxisbeispiel: Statt nach der Note zu fragen, könnten Eltern fragen: „Was hast du heute Neues gelernt?“, oder „Was war spannend für dich?“ – so verschiebt sich der Fokus vom Ergebnis auf den Prozess. Und genau da entsteht Motivation.

Wie können Eltern und Lehrer besser zusammenarbeiten?

Beide Seiten haben oft das gleiche Ziel: glückliche und erfolgreiche Kinder – aber sie sprechen zu wenig miteinander. Lehrer können Eltern Tipps geben, wie das Lernen zu Hause stressfreier wird. Eltern wiederum können Lehrern Rückmeldung geben, wie ihr Kind außerhalb der Schule lernt. Diese Brücke schafft Vertrauen – und das ist die Basis für erfolgreiches Lernen.

Digitale Medien: Chance oder Risiko?

Beides. Digitale Medien bieten fantastische Möglichkeiten – von Lernvideos bis zu interaktiven Übungen. Aber: Die Ablenkungsfalle ist groß. Medien müssen bewusst als Werkzeug eingesetzt werden, nicht als Dauerbeschallung. Ein Tipp für Eltern: feste Absprachen. Zum Beispiel: „Zuerst 20 Minuten Lern-App, danach 10 Minuten Freizeit-App.“ Wenn Kinder spüren, dass digitale Medien nicht grundsätzlich verboten, sondern sinnvoll eingesetzt werden, entsteht kein Machtkampf – sondern ein gesunder Umgang.

Wo besteht im deutschen Bildungssystem der größte Handlungsbedarf?

Wir haben ein Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert für Kinder des 21. Jahrhunderts. Es braucht weniger Stofffülle, dafür mehr Fokus auf Lernkompetenz, Motivation und individuelle Stärken. Auch die Lehrerbildung muss sich ändern: Es reicht nicht, zu wissen, was Kinder lernen sollen – wir müssen wissen, wie sie lernen. Meine Arbeit zielt auf zwei Ebenen: einerseits kämpfe ich für die Transformation des Schulsystems, andererseits unterstütze ich die Kinder, die jetzt in der Schule sind – denn die großen Reformen kommen für sie zu spät.

Was müssen Kinder für die Zukunft können – und wie können Eltern und Schulen das fördern?

Neben den Grundkompetenzen zählen: Lernkompetenz, Kreativität, Teamfähigkeit, Resilienz. Schulen und Eltern können das fördern, indem sie Kindern Verantwortung übertragen, ihnen eigene Lösungen zutrauen und Fragen wichtiger machen als Antworten.

Welche Lernmethoden sind besonders effektiv?

Methoden, die gehirnfreundlich sind: Visualisierungen, Geschichten, Bewegung, Wiederholungen in kleinen Portionen. Diese Masterfähigkeiten stelle ich in meinen Vorträgen vor. Auch zu Hause können Eltern kreativ sein: Englisch-Vokabeln beim Trampolinspringen lernen oder Matheaufgaben in kleine Geschichten verpacken – das macht Lernen nachhaltiger und leichter.

Wie wichtig sind emotionale und soziale Kompetenzen beim Lernen?

Sehr wichtig. Ein Kind, das sich sicher und wertgeschätzt fühlt, kann besser lernen. Lehrer fördern das durch ein respektvolles Miteinander, Teamarbeit und Raum für Gespräche. Eltern können das Selbstbewusstsein durch gemeinsames Spielen, Gespräche über Gefühle und das Feiern kleiner Erfolge stärken.

Die Top-Tipps für Eltern?

Fragen Sie nicht nach Noten, sondern nach spannenden Lernerfahrungen. Kurze, feste Lernrituale sind besser als endlose Sitzungen. Loben Sie den Einsatz, nicht nur das Ergebnis.

Wie gelingt mehr Selbstständigkeit ohne Druck?

Indem Eltern Verantwortung in kleinen Schritten übertragen. Das Kind entscheidet, wann es lernt – aber die Eltern geben den Rahmen vor. Eltern sollten Co-Piloten sein: präsent, aber nicht steuernd. So lernen Kinder Selbstregulation – und genau darum geht es beim „Lernen lernen“.

Was sind häufige Fehler beim schulischen Lernen zu Hause?

Kinder mit der eigenen Schulerfahrung zu vergleichen. Schule ist heute anders. Auch dauerhafte Nachhilfe kann problematisch sein – Kinder brauchen die Chance, eigene Strategien zu entwickeln. Eltern sind am besten Begleiter, nicht Antreiber.

Ihr Wunsch an die Bildungspolitik?

Mut zur echten Veränderung: Weg vom reinen Pauken, hin zu Lernkompetenz, Persönlichkeitsentwicklung und Freude am Lernen. Wenn wir das schaffen, haben wir nicht nur bessere Schüler – sondern glücklichere Kinder. Und das sollte unser aller Ziel sein. Denn jedes Kind hat das Recht auf eine glückliche Schulzeit.

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