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Ein Appell für bessere Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte

Landesverbands-Vorsitzender Thilo Hartmann appelliert bei Vortrag in Bensheim für bessere Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte

Von 
red
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GEW-Landesvorsitzender Thilo Hartmann bei einem Vortrag in Bensheim. © GEW

Bergstraße. Lehrkräftemangel, überfordertes Personal, sinkende Bildungsqualität. Das ist die durch Studien belegte Realität an deutschen Schulen. Für Thilo Hartmann, dem Vorsitzenden des hessischen Landesverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist dies jedoch kein unabwendbares Schicksal. In seinem Vortrag „Es ist Zeit für mehr Zeit – mit guten Arbeitsbedingungen gute Bildungsbedingungen schaffen“, den er auf Einladung der GEW Bergstraße in Bensheim hielt, zeigte Hartmann Möglichkeiten auf, wie Abhilfe geschaffen werden kann.

Der Gewerkschafter zeigte sich verwundert darüber, dass offenbar nicht frühzeitig auf die Zahlen geschaut werde, die sich aus der Geburtenstatistik ergeben. Daran könne man recht gut die Zahl der künftigen Schüler ausmachen. Allein daran könne man erkennen, dass es für den Bedarf zu wenige Lehrkräfte gebe. Und da seien Kinder und Jugendliche, die als Geflüchtete ins Land kommen, noch gar nicht mitgerechnet.

Mehr als 1000 Stellen unbesetzt

Aussagen seitens des Kultusministeriums, dass es noch nie so viele Lehrerstellen gegeben habe, seien an sich nicht falsch. „Das Problem ist nur, dass eine Stelle keinen Unterricht erteilt, denn dafür braucht man immer noch Lehrkräfte“, unterstrich Hartmann. Derzeit seien mehr als 1000 Stellen in Hessen unbesetzt. Der Unterricht werde häufig von Personen erteilt, die ihre Tätigkeit ohne Lehrerausbildung ausführen. Freie Stellen würden häufig kapitalisiert. Die Schulen bekämen das Geld, mit dem die Stelle hinterlegt ist, um Honorarkräfte einzustellen.

Die Folgen des Lehrkräftemangels seien Unterrichtsausfall – auch in verdeckter Form, wenn etwa eine Lehrkraft parallel mehrere Lerngruppen mitbetreuen muss – und Qualitätsverlust, der vor allem diejenigen treffe, die mangels finanzieller Möglichkeiten die Lücke nicht beispielsweise mit Nachhilfe schließen können.

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Letztlich steige zudem die Arbeitsbelastung des Personals stark an. Laut einer Studie, die in Frankfurt erhoben wurde, würden nur 35 Prozent der Arbeitszeit für die unterrichtliche Tätigkeit aufgewendet – Tendenz fallend. Das Kerngeschäft der Lehrkräfte werde also immer mehr zur Nebensache.

Die Überlastung habe Folgen: Ein hoher Krankenstand, die Spitzenposition im Burnout-Index sowie die höchste Frühpensionierungsrate aller Beamtenberufe sei kein Zufall. Besorgniserregend sei zudem, dass bereits zehn Prozent der unter 30-jährigen Lehrkräfte, also relative Berufsanfänger, bereits über einen vorzeitigen Ruhestand nachdenken.

An Attraktivität eingebüßt

Der Beruf habe seine einstige Attraktivität eingebüßt, wie stark sinkende Studierendenzahlen für die Lehrberufe sowie die Tatsache zeige, dass von 100 Studienanfängern nur 60 ein Referendariat beginnen würden. Die Vorschläge der Kultusministerkonferenz zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels seien lediglich die weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Dies führe ausschließlich zur weiteren Verschärfung des Problems.

Kurzfristig könne mit Maßnahmen wie der Erhöhung der Schuldeputate, der Reduzierung der Vertretungsstunden, der Abschaffung von Vergleichsarbeiten, die sofortige Umsetzung der A13-Besoldung, Einstellungsangebote für alle Personen auf der Rangliste sowie dem Startchancenprogramm, wogegen sich Bundesfinanzminister Lindner noch sperrt, Abhilfe geschaffen werden.

Langfristig sei eine Reduzierung der Klassengrößen und eine Senkung der Pflichtstundenzahl unumgänglich. „Der Beruf muss wieder attraktiver gemacht werden. Das werde ich nicht erreichen mit einer Pflichtstundenzahl, die so hoch ist wie schon vor 120 Jahren“, stellte Hartmann klar. Auch der Puffer bei der Lehrerversorgung müsse auf mindestens 110 Prozent angehoben werden: „Die jetzigen 104 Prozent reichen noch nicht einmal für die Kompensation der Krankheitsfälle.“

Ebenso müsse über die Möglichkeit der Weiterbildung für Vertretungslehrkräfte, neue Wege beim Lehramtsstudium und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse nachgedacht werden. red

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