Südhessen. Der gute alte Wetterfrosch hat längst ausgedient, auf den hundertjährigen Kalender ist auch kein Verlass mehr. Wetter und Klima spielen immer häufiger verrückt, stellen vor allem Landwirte, Forstwirte und Winzer vor immer größere Herausforderungen. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist so abhängig von Klima und Wetter. Als Beispiele seien Starkregenereignisse, Überschwemmungen, Trockenperioden, ein früheres Austreiben der Pflanzen – mit verheerenden Folgen bei späten Bodenfrösten –, steigende Temperaturen und trockenere Böden genannt.
Kein Wunder also, dass auch ein fachmännischer Blick auf die Entwicklung des Klimas zu den Programmpunkten der Landwirtschaftlichen Woche Südhessen zählt, die noch bis Donnerstag in Gernsheim stattfindet. Mit Dr. Udo Busch sprach der Leiter der Abteilung Agrarmeteorologie des Deutschen Wetterdienstes zu den versammelten Landwirten und den Vertretern der Politik. „Klimaschutz und Klimaanpassung – Ein Thema der Agrarmeteorologie“ überschrieb der Meteorologe seinen Vortrag.
Klimaschwankungen: Problematisch sind die Geschwindigkeit und Stärke der Änderung
Die Agrarmeteorologie ist ein Teilgebiet der Meteorologie. Sie wird definiert als Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Atmosphäre, Vegetation und Boden. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es wissenschaftlichen Aufzeichnungen, die die Klimaveränderungen ganz deutlich zeigen. Die Beachtung der agrarmeteorologischen Rahmenbedingungen ist eine notwendige Voraussetzung für die umweltschonende und nachhaltige Erzeugung gesunder Lebensmittel.
„Klimaschwankungen gibt es schon immer“, sagte Busch. Das sei normal. Problematisch sei jedoch die Geschwindigkeit und Stärke der aktuellen Änderung. Das sei so bisher nicht beobachtet worden. Die Erwärmung in Deutschland betrage um 1,9 Grad im Jahresmittel seit 1881 und liege damit sogar etwas über dem globalen Trend. Die zehn wärmsten Jahre wurden in den vergangenen 24 Jahren notiert.
Auch die Niederschlagsmenge verändert sich: Im Sommer wird deutschlandweit eine leichte stetige Abnahme deutlich, im Winter dagegen eine leichte Zunahme. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass es in der nördlichen Hälfte mehr regnet, im Süden eine Abnahme der Niederschlagsmenge festzustellen ist. Auch in Hessen wird die Jahresniederschlagsmenge seit den 1960er-Jahren sukzessive weniger. Im Zuge dessen nimmt die Bodenfeuchte ab: Man spricht hier von einer Zunahme der „Drying Stripes“. In Südhessen gibt es rund 40 bis 50 Tage an unterdurchschnittlicher Bodenfeuchte in der Hauptvegetationszeit, das seien fast doppelt so viele Tage wie noch in den 1960er-Jahren.
Durch die Erwärmung der durchschnittlichen Jahrestemperatur verlängert sich die Vegetationsdauer. Blattaustrieb und Blüte beginnen früher, dennoch gibt es immer wieder Spätfröste bis in den Mai hinein – mit hohen Schäden für Landwirte und Winzer.
Deutlicher Rückgang des Niederschlags im Sommer in Südhessen
Wo geht die Reise hin? „Die mittlere Temperatur wird in Abhängigkeit vom menschlichen CO2-Ausstoß weiter steigen“, erklärte der Agrarmeteorologe. Zu rechnen sei mit zwei bis drei Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts. Derzeit liege die Jahresmitteltemperatur bei 11 Grad, bis Ende des Jahrhunderts können es 14 Grad werden.
Tagesmaximaltemperaturen von 45 Grad sind für Südhessen in Zukunft nicht unwahrscheinlich, die Zahl der Tage mit über 30 Grad werde zunehmen. Im Sommer werde der Niederschlag weiter abnehmen, im Winter zu. In Zahlen bedeutet das: Der Deutsche Wetterdienst beobachtet in Deutschland im Winter eine Niederschlagszunahme um 25 bis 30 Prozent, im Sommer eine geringe Abnahme um circa fünf Prozent. In Südhessen sei der Rückgang des Sommerniederschlages noch einmal deutlicher. Das Risiko von Starkregen und Dürre steige. Frosttage nehmen dagegen ab.
Länger andauernde Trockenperioden im Sommer würden zu Hitzestress bei den Pflanzen führen und Ertragsreduzierungen verursachen, so der Meteorologe. Starkregenereignisse könnten zu Bodenerosion führen. Der Deutsche Wetterdienst, so der Referent, biete Witterungsvorhersagen für zwei bis fünf Wochen und Klimaprognosen für die nächsten sechs Monate an, hier seien Tendenzen zu erkennen. Nachlesen kann man das alles kostenlos auf der Homepage des Wetterdienstes. Dort findet man auch die agrarmeteorologischen Vorhersagen für Landwirte.
„Klimawandel ändert nichts an der Wechselhaftigkeit des Wetters“, unterstrich Busch abschließend. Eine Empfehlung für besondere Sorten und Kulturen bleibe daher schwierig. Auf eine entsprechende Publikumsfrage antwortete er: „Deutschland wird auch in 100 Jahren noch ein Land sein, in dem man Landwirtschaft gut betreiben kann. Es wird ein begünstigter Standort bleiben. Das Klima wird sich ändern“, aber mit geeigneten Anpassungen sei die Landwirtschaft auch in Zukunft gesichert. Doch: „Es wird anders werden.“ Anders sehe es tatsächlich in einigen Mittelmeerregionen aus. Auf lange Sicht werde die Situation so gesehen für die hiesigen Landwirte sogar besser.
Ein weiterer Redebeitrag sprach davon, dass man in der Region zwar in einer Gunstlage lebe, dass das Problem hier allerdings die „unersättliche Gier nach Flächen“ sei. Das größte Problem sei die zunehmende Versiegelung. „An das Thema will niemand ran. Wir verbauen die besten Gunstlagen.“ awa/ü
Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Deutschen Wetterdienstes.
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