Bergstrasse. An den Folgen des Rauchens sterben allein in Deutschland jedes Jahr etwa 127.000 Menschen. Das sind über 40-mal so viele wie im Straßenverkehr und 60-mal so viele wie durch Heroin oder andere illegale Drogen. Hinzu kommen verschiedene Erkrankungen und Gesundheitsbeschwerden als Folgeerscheinungen. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 25 Jahren ist der Anteil der Raucher in den vergangenen Jahren zwar langfristig gesunken, jedoch stagniert diese Tendenz seit 2014. Ab 2022 ist nun wieder ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen, wie mehrere Studien melden. Unter den 14- bis 17-Jährigen habe sich der Anteil der Raucher nahezu verdoppelt
Eine gewichtige Ursache dafür sind nicht die klassischen Zigaretten, sondern Wasserpfeifen (Shishas) und elektronische Inhalationsprodukte wie zum Beispiel E-Zigaretten und E-Shishas, die unter Jüngeren immer beliebter werden. Anlässlich des diesjährigen Weltnichtrauchertags am 31. Mai hat die Kreisverwaltung in Kooperation mit der Jugend- und Suchtberatung Prisma der Arbeiterwohlfahrt ein spezielles Präventionsangebot organisiert: „Mehr Dampf, bitte!“ war in der vergangenen Woche in den 7. Klassen der Auerbacher Schillerschule zu Gast, um auf die Risiken und Gefahren des Rauchens aufmerksam zu machen. In Workshops wurden Themen wie Konsumgründe, Abhängigkeit und Rauchverhalten interaktiv erarbeitet und konkrete Handlungsoptionen diskutiert.
„Individuelles Suchtverhalten entsteh in jungen Jahren“, so Landrat Christian Engelhardt im Klassenzimmer, wo auch zwei Schülerinnen über ihre Erfahrungen in dem Projekt berichtet haben. „Ich würde nie mit dem Rauchen anfangen, das ist unnötig und sinnlos. Man gibt Geld aus, um den Körper zu schädigen“, sagte Emily Schäfer. Auch Ida Kliss hält es für dringend geboten, über das Thema zu sprechen und die Motive des Rauchens gemeinsam zu erörtern. „Wenn man weiß, was in einer Zigarette drin ist, denkt man noch einmal genau darüber nach, ob man anfängt oder es lieber sein lässt.“
Gar nicht erst anfangen: das entspricht der Zielsetzung von Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Sie ist Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention betont: Nicht zu rauchen ist der beste Schutz gegen Lungenkrebs. Das Inhalieren von Tabakrauch sei das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko überhaupt. Und es sei zudem kinderleicht: man muss sich nur entscheiden, etwas nicht zu tun. Rauchen habe keinerlei Sinn und Zweck, so die Expertin. Die Langzeitfolgen des Tabakkonsums seien verheerend, denn das Rauchen von Zigaretten schädige nahezu alle Organe des Körpers. Rund 80 Prozent der Lungenkrebsfälle sind darauf zurückzuführen. Für COPD, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, ist Rauchen die bedeutendste Ursache überhaupt. Zudem haben Raucher ein doppelt so hohes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und für Schlaganfälle. Von den jährlichen Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland würden rund 20 Prozent (zirka 85.000) durch Rauchen verursacht.
Auch die derzeit so beliebte E-Zigarette ist laut Katrin Schaller keinesfalls harmlos. Darin wird eine meist nikotinhaltige, aromatisierte Flüssigkeit elektronisch erhitzt. Das dabei entstehende Aerosol wird inhaliert. Der Tabak in den Sticks ist stark verarbeitet und mit Glyzerin versetzt. Auch, wenn diese Aerosole meistens eine deutlich geringere Menge an Schadstoffen als Tabakrauch aufweisen, können einzelne Substanzen unter bestimmten Bedingungen ähnlich hohe oder sogar höhere Konzentrationen erreichen. Das bedeutet, sie gefährden die Gesundheit und machen ebenfalls abhängig. Sogenannte Vapes (Vaporisator: Verdampfer) mit verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Bubble Gum oder Fruchtaromen gaukelten außerdem vor, dass es sich hierbei um ein ungefährliches Genussmittel handelt. Bei Sishas sieht es noch problematischer aus. Auch hier wirke die Aromatisierung verharmlosend, doch auch die Wasserpfeife transportiert etliche Schadstoffe und besitze ein hohes Suchtpotenzial.
„Aufklärung ist gut, aber eine Eindämmung der Werbung ist besser“, so die Biologin, die vehement dazu auffordert, die Marketing-Spielräume für die Tabak- und E-Zigaretten-Industrie massiv zu beschneiden. Zwar dürfen branchentypische Werbeikonen wie das HB-Männchen und der Marlboro-Cowboy schon seit den 70er Jahren nicht mehr über deutsche Bildschirme wackeln, doch die Tabakindustrie bedient sich seither verschiedener Marketingstrategien, die nicht in den Bereich klassischer Werbung fallen. Etwa die Werbung am Verkaufsort in Form von auffälligen Displays, das Verteilen von Merchandise-Produkten, das Organisieren von Veranstaltungen oder die persönliche Kommunikation über E-Mails und in Social-Media-Kanälen. „Die Manipulation ist weiterhin sehr hoch“, warnte Schaller in Auerbach. Gerade junge Menschen seien hier einem hohen Verführungspotenzial ausgesetzt. Ein Verbot offensiver Werbung sei notwendig, da es eine Kausalität zwischen Tabakwerbung und erhöhtem Tabakkonsum gibt, sagt sie. Man müsse diese Produkte unattraktiv machen, um die Nachfrage zu drosseln.
Adrian Steier-Bertz von Prisma (Team Lampertheim) hält die Kooperation mit Schulen für entscheidend, um im Dialog mit Jugendlichen auf dieses komplexe Thema aufmerksam zu machen und darüber ins Gespräch zu kommen. „Wir wollen dazu beitragen, dass die Raucherzahlen weiter sinken“, so der Sozialarbeiter und systemische Coach. Der Anstieg durch E-Zigaretten sei ein Rückschlag innerhalb einer sehr positiven Entwicklung.
Schulleiterin Sylvia Meier weist darauf hin, dass man im Gegensatz zu Tabakrauch E-Zigaretten kaum riechen könne. Dies mache Kontrollen auf dem Schulgelände äußerst schwierig. Zudem seien die Inhalatoren dermaßen klein, dass sie in der Hand nicht sichtbar sein. Auch der Dampf sei nicht sichtbar. Es gäbe daher kaum eine Chance für Pädagogen, um bei Konsum intervenieren zu können.
Neben Landrat und Schulleitung war auch Nadja Niestroj vom Kreis-Gesundheitsamt bei dem Termin in der Grund-, haupt- und Realschule dabei, die dem Thema Sucht und Suchtprävention in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit widmen möchte.
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