Bergstraße. Ab August 2026 haben alle Kinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung. In den Folgejahren wird der Anspruch auf die Klassenstufen 2 bis 4 erweitert, so dass ab dem Schuljahr 2029/2030 allen Kindern der ersten bis vierten Klasse ein bedarfsunabhängiger Anspruch auf Ganztagsförderung im Umfang von acht Zeitstunden an fünf Tagen in der Woche zusteht. Die Unterrichtszeiten werden angerechnet. Der Rechtsanspruch gilt auch in den Ferien, dabei können Länder eine Schließzeit von maximal vier Wochen regeln. Eine Pflicht, das Angebot in Anspruch zu nehmen, gibt es nicht.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht dieses Ziel „massiv gefährdet“, wie es in einer Mitteilung heißt. Es gebe viel zu tun in diesem Bereich, weshalb der Name der Kampagne des GEW-Landesverbands Hessen entsprechend auch „Baustelle Ganztag“ laute. Die Skepsis der Gewerkschafter nähre sich aus der Tatsache, dass schon jetzt der Bedarf nicht gedeckt werden könne. So mache das Deutsche Jugendinstitut den Bedarf aktuell bei 78 Prozent der Eltern von Kindern im Grundschulalter, das Angebot aber nur bei 72 Prozent fest. Auf Nachfrage der Redaktion beim Kreis Bergstraße, der für die Umsetzung des Anspruchs auf Ganztagesförderung an den Grundschulen zuständig ist, inwiefern diese Befürchtungen der GEW zutreffen, heißt es, dass an den Schulen, die im Pakt für den Ganztag (PfG) Betreuung anbieten, keine Warteliste gebe, d.h. es gebe keinen Bedarf, der nicht gedeckt sei. 4.881 Grundschulkinder sind im Schuljahr 24/25 für die Ganztagesförderung angemeldet. Die Betreuungsquote lag den Angaben nach im vergangenen Schuljahr, je nach Träger, zwischen 42 und 63 Prozent.
Vorgaben werden bis zum nächsten Schuljahr erfüllt werden
Die Frage ist, ob der Kreis Bergstraße dieses Ganztagsangebot pünktlich zum Start im kommenden Jahr komplett den Vorgaben entsprechend umzusetzen kann. Die Nachfrage ergab, dass aktuell bereits alle 48 Grundschulen eine solche Förderung anbieten und bis spätestens zum Schuljahr 2026/27 alle Betreuungsmodelle an den Grundschulen dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab der ersten Klasse entsprechen werden. Im Moment gibt es den Angaben nach an 44 Schulen an fünf Tagen pro Woche eine Betreuung bis 16.30 oder 17 Uhr, an drei Schulen geht die Betreuungszeit bis 16 Uhr und an einer Schule wird die Betreuung bedarfsbedingt bis 15 Uhr angeboten.
Ein weiterer Kritikpunkt der GEW ist, dass die Betreuung in häufigen Fällen von prekär beschäftigtem Personal durchgeführt werde. Das geschehe durch die Umwandlung der für den Ganztag vorgesehenen Stellen in finanzielle Mittel. So werde dann keine beim Land angestellte Lehrkraft oder Erzieherin eingesetzt, sondern ein fixer Betrag je umgewandelter Stelle ausgezahlt, für den etwa Honorarkräfte engagiert würden. So komme bei der Umsetzung des Ganztags ein Flickenteppich aus freien Trägern, kommunalen Gesellschaften und Fördervereinen zustande. Tarifverträge, betriebliche Mitbestimmung und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse seien dabei kein Regelfall. Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft sei es eine Notwendigkeit, die im Ganztag beschäftigten Personen direkt beim Land Hessen anzustellen. Nur so sei es möglich, eine qualitative Steuerung des Ganztags zu ermöglichen. Gegenwärtig könne niemand so recht sagen, wie viel Personal mit welchem Stundenumfang und mit welcher Qualifikation zu welchen Bedingungen im Ganztag arbeite. Dies seien keine guten Voraussetzungen für hochwertige Bildung. Es sei nötig, den Ganztag mit gut qualifiziertem pädagogischem Personal durchzuführen.
Ausbildung zum Fachpädagogen für Ganztagsbildung
Dazu heißt es vom Kreis Bergstraße: „Während in einigen Regionen Hessens keine verbindlichen Vorgaben zur Qualifikation und Anzahl der Betreuungspersonen bestehen und den einzelnen Dienstleistern somit Gestaltungsraum und Freiheiten eingeräumt werden, setzt der Kreis Bergstraße als Schulträger klare Standards für die Betreuung im Rahmen des Pakts für den Ganztag. Im Kreis Bergstraße gelten folgende Vorgaben für das Personalkonzept pro Gruppe (maximal 25 Kinder): Bis zu 2 Betreuungspersonen pro Gruppe und davon mindestens eine pädagogische Fachkraft bzw. eine hierfür gezielt qualifizierte Kraft. Diese Maßnahmen gewährleisten eine qualitativ hochwertige Betreuung und unterstützen pädagogisch die Entwicklung der Kinder im Ganztagsangebot.“ Im Kreis Bergstraße gebe es in der Grundschulbetreuung keine prekären Beschäftigungsverhältnisse: „Zudem haben wir, um ausreichend Nachwuchs an Fachkräften zu sichern, als erster hessischer Schulträger in unserem Kreis ein Angebot zur Ausbildung zum Fachpädagogen für Ganztagsbildung geschaffen.“ Im April haben wieder neun Fachpädagogen, die gemeinsam mit der Akademie für Ganztagspädagogik weitergebildet wurden, ihr Zertifikat für die Ganztagsbildung erhalten.
Im Kreis Bergstraße gebe es an Grundschulen auch keinen „Flickenteppich“, wie die GEW behaupte. Der PfG werde gemeinsam von Schulleitung und einem Ganztagsträger organisiert, wobei jeweils die Schulleitung federführend sei. Die Trägerschaften werden in einem öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben und an einen Dienstleister vergeben: einen Förderverein oder einen freien Träger. Letztere sind jeweils erfahrene Träger. Die Qualität des Konzepts trägt bei der Ausschreibung jeweils eine höhere Gewichtung als der Preis. Im Schuljahr 23/24 waren es sechs freie Träger, vier Fördervereine sowie fünf Kommunen, die die Trägerschaft an den Betreuungsangeboten an Grundschulen innehatten.
Die GEW mahnt auch an, dass angestrebt werden müsse, dass die Ganztagsschulen ein Angebot machen müssen, das Unterricht, Entspannung, Bewegung und Betreuung miteinander vernetze. Es sei bei Weitem nicht ausreichend, im Hessischen Schulgesetz den „Pakt für den Nachmittag“ durch den „Pakt für den Ganztag“ zu ersetzen. Dazu sagt der Kreis: „ Es ist faktisch kein „Ersetzen“ der Programme „Pakt für den Nachmittag“, sondern eine Umbenennung in „Pakt für den Ganztag“. Das Rhythmisieren und Verzahnen werde bereits von den Schulen im Kreis Bergstraße, die im Pakt für den Ganztag arbeiten, umgesetzt. Es gebe auch personell keine scharfe Trennung zwischen Schule und Nachmittagsbetreuung. Das pädagogische Konzept wird von der Schule erstellt und gemeinsam mit dem Träger umgesetzt. Da die Schule einen Teil der Landesressourcen in Form von Lehrerstellen erhält, bringt sie auch Lehrkräfte in das Programm ein. Der Träger wiederum stellt die Betreuungskräfte zur Verfügung: „Unserer Erfahrung nach klappt die Zusammenarbeit in der Regel vor Ort sehr gut.“
Diskussion um die passenden Räume für den Ganztag
Die GEW gibt an, dass an den Schulen neben dem entsprechend qualifizierten Personal auch die Räumlichkeiten benötigt werden. So seien Bereiche für Bewegung, Spiel und kreatives Gestalten ebenso erforderlich Gruppenarbeitsräume und Ruheräume, eine Bibliothek, Mediathek und Computerräume – und dies barrierefrei. Der Kreis gibt an, dass folgende Räume angeboten werden: zwei zusätzliche Betreuungsräume, Bibliothek, Turnhalle, Foyer/Aula, Flure, sofern das Brandschutzkonzept es zulässt, vorhandene Differenzierungs- und Fachräume, multifunktional ausgestattete Klassenräume, Schulhof und das Außengelände. Der Kreis übernimmt für die Kosten für die Herrichtung und Bewirtschaftung der Räumlichkeiten sowie der Möblierung. Allein der Personalaufwand für die Betreuungsangebote an den Grundschulen liegt 2024 den Angaben nach bei 3,7 Millionen Euro.
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