Fastnachtsumzug - Sturmtief konnte Zuschauern und Teilnehmern beim großen Heppenheimer Gaudiwurm nichts anhaben / Polizei schätzt 50 000 bis 60 000 Besucher

Klare Sache: Stimmung besiegt Wetter

Von 
Gerlinde Scharf
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Heppenheim. Hepprumer Straßenfastnacht helau! Sturmtief Xanthippe, das sich an der Bergstraße Gott sei Dank nur als relativ laues Lüftchen entpuppte, das sich ab und an zu einer steifen Brise hochschaukelte, konnte am Sonntag dem närrischen Lindwurm nichts anhaben. Mitgebrachte Pessimisten-Regenschirme wurden allenfalls als Auffangbecken für babbische Gutseln, zuckersüßes Popcorn und Eis am Stil umfunktioniert. Bei zweistelligen, fast frühlingshaften Temperaturen, musste keiner frieren. Und am Straßenrand wurden nicht nur Clowns, Sheriffs, Prinzessinnen und allerlei Getier auf zwei Beinen gesichtet, sondern sogar „der Wendler“ samt seiner Lolita Laura Müller.

„Die Stadt ist voll“

Die Kreisstadt empfing einmal mehr die Narren und Närrinnen, die teils von weither angereist waren, um die unweigerlich letzten Tage der diesjährigen Kampagne voll auszukosten mit ausgelassener Feierlaune und einem vierfarbenbunten Fastnachtsumzug. „Die Stadt ist voll“, freuten sich denn auch Mitglieder des Zugkomitees wenige Minuten vor dem musikalischen Startschuss mit dem Musikzug Seeheim. Für die Sicherheit in unsicheren Zeiten war gesorgt, so gut es eben geht: Die Bundespolizei war vor Ort und fuhr Kontrollen in einigen Seitenstraßen.

Musikzug in Bäckerjacken

50 000 bis 60 000 gut gelaunte Menschen – so die spätere offizielle Schätzung der Polizei – säumten die Straßen, als sich überpünktlich bereits kurz vor 14.11 Uhr exakt 111 Festwagen, Fußgruppen und Musikzüge von der Weststadt aus in Richtung Innen- und Altstadt in Bewegung setzten. Allen voran die kessen Vogelbecher, das Zugkomitee mit Zugmarschall Norbert Weiser, wenig später gefolgt vom Schirmherrn Hans-Peter Rauen alias Hans-Peter der Brotteig-Kneter, Obermeister der Bergsträßer Bäckerinnung. Und der hatte nicht nur sich selbst und seine treue Gefolgschaft in Bäckerjacken gesteckt, sondern obendrein den kompletten Musikzug Starkenburg Heppenheim.

Galionsfigur mit Seitensprung

Dass es sich bei der stets gutgelaunten, properen Galionsfigur der Kampagne 2019/20 um einen waschechten Bensemer handelt, nehmen diejenigen, die ihn abgeworben und für die Narretei eingefangen haben, möglicherweise relaxter als seine Mitbürger. Eine Premiere jedenfalls war der nachbarliche Seitensprung nicht. Schließlich sind aus Bensheim schon der früherer Rathaus-Chef Thorsten Herrmann „der Bensemer“, Sparkassendirektor Eric Tjarks „der Batzenwächter“ und Jürgen Streit „der Mann im Mond“ – der seiner Küchencrew am Sonntag freigegeben und sie gleich auf zwei Festwagen beordert hatte – fremd gegangen. Allerdings nur für eine kurze Zeit, ehe sie wieder reumütig in „ihre Stadt“ zurückkehrten und um Aufnahme baten.

Der Landrat und sein Vorgänger

Kurz vor dem närrischen Finale ruhte sich auch das Zugkomitee nicht etwa auf seinen Lorbeeren aus, sondern trat unter anderem als tanzende Vampire, als „UmweltSAUber“ mit unverblümten Fingerzeig auf den Abgasskandal und in einem schwankenden Narrenschiff samt Piratenbesetzung auf. Auf dem Gildewagen verteilten gar ein amtierender Landrat (Engelhardt) und ein Ex (Wilkes) großzügig und ohne Leere-Kassen-Jammerei Wohltaten (Süßes und Saures) ans Narrenvolk.

Keine Babys mehr aus Bensem

Dass die immer wieder hoch kochenden Frotzeleien zwischen Hepprum und Bensem in Wirklichkeit lediglich ein zarter Liebesbeweis nach dem Motto „Was sich liebt, das neckt sich“ sind, bewies einmal mehr die starke Beteiligung aus der Nachbarstadt. Auch oder gerade, weil Heppenheim (Kreiskrankenhaus und Stadt) durchaus süffisant mit Schadenfreude und unverhohlener Häme thematisierte, dass der Slogan „Geboren in Bensheim“ seit dem Vorjahr der Vergangenheit angehört: „Die Koaschler rodde sich bald selber aus, die Kinner kumme jetzt all in Hepprum raus.“ Und „Bensemer Babies sind in Hepprum willkommen.“

Die Bensheimer Karnevalgesellschaft BKG ließ sich von derlei Sticheleien jedenfalls nicht ins Bockshorn jagen. Präsident Hans Bang verkniff sich gar den Bensemer Schlachtuf „Ejo“ und schmetterte ungeniert „Hepprum helau“ ins Mikrofon.

Die Guggemusiker Raobdigalle machten ebenfalls lautstark und mit Pauken und Trompeten von sich hören. Der Automobilclub Bensheim hatte gar eine Hoheit, die amtierende Blütenkönigin Josefine Queißer, ins Rennen geschickt, und die Zeller Kerwejugend feierte ganz einfach sich selbst.

Die Lebenshilfe Bergstraße ließ sich – was Hoheiten anbelangt – ebenfalls nicht lumpen und zeigte sich mit einem charmanten Prinzenpaar. Den Vogel aber schoss die Deutsche Weinprinzessin Carolin Hillenbrand ab, die ihrem „Volk“ aus luftiger Höhe – strahlend, wie man es von ihr kennt – zuwinkte.

Generalprobe für die Lorscher

Mit summa summarum an die hundert Garde- und Ballettmädchen, Musketieren, Offizieren, Nachwuchsnarren und Prunkwagen boten die Närrischen Drei aus Lorsch eine beeindruckende Kulisse und strahlten närrische Lebensfreude aus. Sozusagen als eine Art von Generalprobe konnten sie sich schon mal für ihren Fastnachtsumzug am Dienstag warmlaufen. Aber Lorsch hatte noch mehr zu bieten: Die Rock’n Rabbits beispielsweise, die sich selbst gegen ein Rudel Wölfe erfolgreich zur Wehr setzten.

Aber natürlich gebührten der Gastgeberstadt und ihren Stadtteilen bei der Freiluftparty der meiste Ruhm und die größte Aufmerksamkeit. Viele kleine und große Vereine, Familienbetriebe und Musikgruppen hatten sich mächtig ins Zeug gelegt und zogen als „Königliche Hutzelschweizer“, als körpergestählte Fitness-Gurus, liebenswerte und pumperlgesunde Weintrinker, als fingerfertige Hutmacher oder aber als Bienenschwarm mit Jung und Alt durch die Gassen.

Im närrischen Wunderland

Die Fasnachtsgesellschaft Bottschlorum hievte Frontfrau Anke im „närrischen Wunderland“ auf den Thron und schickte ihr bunt schillernde Kakadus zur Seite. Die Starkenburgia-Fußballer zeigten sich jung und frisch trotz ihrer 120 Jahre, und die Jungwinzer setzten sich selbst das Krönchen auf und behaupteten ungeniert: „Wir sind Prinzen.“ Endlich mal wieder einen Weltmeister-Titel erhofft sich der Erste Sebastian Vettel-Fanclub von seinem Idol. Es versteht sich von selbst, dass die Fans des Formel 1-Piloten ihren „Bembelbomber“ zur Schau stellten und diesen sicher durch die jubelnde Menge chauffierten.

Wer war noch alles dabei? Die Habafa und der Liederkranz aus Hambach, die Proseccoschneggchen vom SV Erbach, die Jungbauern und der Turnverein aus Sonderbach, Schwimmclub und Frauenbund aus Heppenheim, die Jugendfeuerwehr und und und . . .

Natürlich ließen sich die Teilnehmer am Fastnachtsumzug nicht lumpen und bombardierten die Zuschauer nicht nur mit Naschereien, sondern auch mit Taschentücher-Päckchen, Gutscheinen und mit Frühlingsblüher aus dem Garten. Und was taten die Zaungäste, um Hunger und vor allem Durst vorzubeugen? Entweder sie bedienten sich an den zahlreichen Verpflegungs- und Ausschankstationen. Oder aber sie trugen zumindest die flüssigen Launemacher in der Flasche oder in der Dose griffbereit im Beutel mit sich.

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Fastnachtsumzug in Heppenheim

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Freie Autorin Seit vielen Jahren "im Geschäft", zunächst als Redakteurin beim "Darmstädter Echo", dann als freie Mitarbeiterin beim Bergsträßer Anzeiger und Südhessen Morgen. Spezialgebiet: Gerichtsreportagen; ansonsten alles was in einer Lokalredaktion anfällt: Vereine, kulturelle Veranstaltungen, Porträts. Mich interessieren Menschen und wie sie "ticken", woher sie kommen, was sie erreiche haben - oder auch nicht-, wohin sie wollen, ihre Vorlieben, Erfolge, Misserfolge, Wünschte etc.

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