Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim

100 Jahre alte Kaufläden und Puppenküchen in Mannheim

In der neuen Ausstellung „Kinderträume“ im Zeughaus gibt es viele spannende Einblicke in Spielen, Lernen und Leben um 1900

Von 
Peter W. Ragge
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In der neuen Ausstellung „Kinderträume“ der Reiss-Engelhorn-Museen gibt es 100 Puppenküchen und Kinderkaufläden sowie viele weitere Exponate zu sehen. © REM

Mannheim. Der Tipp kam aus dem Kollegenkreis. So erfuhr Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen (REM), von der riesigen Privatsammlung der Familie Lupus. „Ich war sofort fasziniert“, erzählt Rosendahl jetzt – und wie ihm wird es sicher sehr vielen Besuchern gehen, die ab Sonntag fasziniert vor den rund 100 historischen Puppenküchen und Kaufläden aus der Privatsammlung stehen werden.

Bislang in einem Keller „irgendwo in Süddeutschland“ gelagert, wie die REM mit Rücksicht auf die Leihgeber-Familie vorsichtig formulieren, sind sie jetzt sehr liebevoll arrangiert und interessant im geschichtlichen Zusammenhang mit weiteren Exponaten inszeniert. Da werden bei der Oma-und-Opa-Generation viele Erinnerungen wach, doch Spaß macht die Ausstellung quer durch alle Generationen.

Dinge, die es heute nicht mehr gibt

Es sind, so Rosendahl, „locker über 10 000 Objekte“ und damit „die Ausstellung mit den meisten Objekten, die wir je hatten“, wie er hervorhebt. Aber das liegt eben daran, dass die Puppenküchen und Kaufläden alle komplett eingerichtet sind, oft mit bis zu 200 Teilen. Bis in wunderschöne winzige Details haben Kuratorin Eva-Maria Günther sowie die REM-Restauratoren alles so drapiert, wie es einst war. Da fällt der Blick des Betrachters auf Dinge, welche die jüngere Generation heute gar nicht mehr kennt – Bettpfannen etwa. In den Puppenküchen gibt es viele winzige Exponate aller Art aus Zinn, Messing, Kupfer und Porzellan, blau-weiße Delfter Kollektionen im Kleinformat ebenso wie bemaltes Porzellan mit Goldrand, dazu zahlreiche Töpfe, Kannen, Krüge, Backformen für Guglhupf oder Kupferformen für Pudding und Sülzen, dazu Küchengeräte wie Reibeisen, Fleischwölfe, Waffeleisen, Bügeleisen, Kaffeemühlen – alles eben in Klein, das Besteck ganz besonders winzig.

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„Die Puppenküchen gingen auch immer nach den Moden der Zeit“, erläutert Eva-Maria Günther. Waren sie anfangs eher dunkel und geprägt von einem Rauchfang über offenem Feuer sowie der Haltung lebendiger Tiere wie Hühner auch in der Küche, kamen später die geschlossenen Eisenherde dazu und das zunehmende Bewusstsein für Hygiene. Also wurde nun alles heller, freundlicher, aufgeräumter.

Käse, Nudeln und Seife

Bei den Kaufläden sind wunderbar echt wirkend nachgebildete Lebensmittel – Obst und Gemüse ebenso wie Käse und Wurst bis hin zum gerade abgehackten Schweinskopf – zu entdecken, dazu unzählige verkleinerte Schachteln und Dosen vieler Marken, von denen es manche heute gar nicht mehr gibt. Maggi, Knorr und Erdal kennt man noch, 3-Glocken-Nudeln ebenso, Schwartau und Steinhäger-Flaschen, Persil und Nivea. Sunlicht-Seife etwa dagegen gibt es in der Form nicht mehr. „Es war mal der größte Seifenhersteller des Kontinents“, erinnert Rosendahl an die 1899 auf der Rheinau gegründete Seifensiederei.

Von der gibt es auch ein Original-Seifenstück in einer Vitrine, dazu Informationen zu der Firma. „Das ist der Wert der Ausstellung“, betont Rosendahl. Denn zu den schönen nostalgischen Momenten in der vom Fördererkreis maßgeblich mitfinanzierten Ausstellung will er eben nicht nur altes Spielzeug zeigen, sondern den historischen Zusammenhang herstellen. Dabei helfen Leihgaben, etwa vom Technoseum oder dem Verein Geschichte Alt-Neckarau. Die REM-Mitarbeiter sind aber auch tief in die eigenen Bestände gegangen. „Es gibt hier Dinge, die haben seit vielen Jahrzehnten das Depot nicht verlassen“, sagt dazu Christoph Lindner, Direktor vom Museum Zeughaus.

Geänderte Vorratshaltung

Zu Beginn der Ausstellung präsentiert Kunsthistoriker Andreas Krock, Sammlungsleiter Gemälde, Grafiken und Skulpturen der REM, Kinderbilder, etwa Wachsbilder berühmter Mannheimer Familien aus der Biedermeierzeit. „Mannheim hat da neben München die größte Sammlung“, verrät er. Man sieht hier die Familien Reiß, etwa die späteren Stifter Carl und Anna Reiß oder den Industriellen Ernst Röchling als Zehnjährigen, sehr streng schauend. „Man merkt ihm schon so jung die Bürde an“, so Krock.

Mit der Ausstellung will das Museum eben auch die Zeit deutlich machen, aus der das Spielzeug stammt – von 1870 bis in die 1920er Jahre, also die Epoche, als die Industrialisierung Fahrt aufnimmt, sich Arbeiterschichten ebenso bilden wie wohlhabendes Bürgertum, neue technische Errungenschaften und Erfindungen sich durchsetzen. Bis zum Ersten Weltkrieg ist Deutschland Kolonialmacht, es gibt Kolonialwarenläden und auch in der Kinder-Ausgabe Schubladen für Feigen, Datteln, Muskat und Kakao sowie andere exotische Produkte.

Die Vorratshaltung ändert sich, denn plötzlich gibt es Ölsardinen in Büchsen – natürlich auch im Kinder-Kaufladen – und Essig in der Flasche. Vorher ist Tafelessig im Laden aus einem großen Behältnis abgezapft worden. Weckgläser kommen auf und Eisschränke, gekühlt anfangs mit Eisstangen, dann per Strom.

Neben der hochkarätigen Privatsammlung sowie den begleitenden Exponaten der REM umfasst die Ausstellung zehn Puppenküchen oder Läden, die Menschen aus Mannheim und der Region zur Verfügung stellten. Dazu zählen winzige liturgische Geräte, etwa Kelche und Monstranzen, mit denen Kinder früh die heilige Messe einüben konnten. Was es alles gibt!

Redaktion Chefreporter

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