Bergstraße/Wiesbaden. „Hier hinten kann man sich leicht verlaufen“, sagt Josefine Koebe schmunzelnd. Und tatsächlich. Nachdem man vom Schloßplatz aus Haupteingang des Hessischen Landtags in Wiesbaden durchschritten und an der Pforte seinen Personalausweis gegen eine Besucherkarte getauscht hat, blickt man vom Hof aus erst einmal in ein Labyrinth aus An-, Um- und Neubauten. „Da ist der Plenarsaal“, zeigt Josefine Koebe in Richtung einer Fensterfront. Dort wird die Bensheimerin am morgigen Donnerstag bei der konstituierenden Sitzung erstmals als Landtagsabgeordnete und Mitglied der SPD-Fraktion Platz nehmen. Ihr Sitz ist in der letzten Reihe. Schließlich ist die Bergsträßer Abgeordnete erstmals ins Landesparlament eingezogen, und außerdem nur ganz knapp. Der SPD-Listenplatz 23 reichte bei der Hessenwahl am 8. Oktober gerade noch so, um den Sprung nach Wiesbaden zu schaffen.
Als sprichwörtliche Hinterbänklerin will Josefine Koebe ihr politisches Mandat trotz des Sitzplatzes jedoch nicht angehen. Das zeigte sich bereits während der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD. Die promovierte Volkswirtin und Bildungsökonomin saß für die Sozialdemokraten mit am Tisch, als es um die Absprachen im Bereich Arbeit und Soziales ging. „Da wurde zwei Wochen am Stück beraten“, erinnert sie sich an ihre erste spannende Aufgabe als künftige Landtagsabgeordnete. Gerne würde sie daher ihre beruflichen Kompetenzen gleich in zwei wichtigen Gremien einbringen: im Haushaltsausschuss und im Sozialausschuss. Im Vorfeld konnten die SPD-Fraktionsmitglieder ihre Präferenzen in einer Erst-, Zweit- und Drittwahl angeben. Wer letztlich wo mitarbeiten soll und darf, wird sich in den nächsten Tagen erst noch entscheiden.
Zwei Wunsch-Ausschüsse
Karin Hartmann würde es Josefine Koebe gönnen, wenn die Besetzung der Ausschüsse nach Wunsch verlaufen würde. Ob dies jedoch auch wirklich so klappen wird, da hat die scheidende Bergsträßer SPD-Landtagsabgeordnete aufgrund ihrer bis ins Jahr 1995 zurückreichenden Erfahrungen zumindest Bedenken. Beim Gang durch den der SPD zugewiesenen Trakt im Landtagskomplex konnte man am Dienstag Karin Hartmann in ihrem Büro begegnen. Noch bis Mittwoch um 24 Uhr ist sie Abgeordnete.
Dann geht für sie nach fast zwei Jahrzehnten (mit sechs Jahren Unterbrechung) eine berufliche Politikerinnen-Ära zu Ende. Zu ihrer Anfangszeit, Mitte der 1990er Jahre, sei es zumindest unüblich gewesen, dass parlamentarische Neulinge Plätze in den begehrtesten Ausschüssen einnahmen, erinnert sie sich. Der wichtige Haushaltsausschuss sei zumeist den Parteigranden vorbehalten gewesen. Wer lange dabei war, hatte in der Vergangenheit auch häufig das erste Zugriffsrecht. Wer erstmals ins Landesparlament gewählt wurde, dem sei nicht selten ein Platz im Petitionsausschuss sicher gewesen. „Da muss man sich durch riesige Aktenberge lesen“, sagt Karin Hartmann augenzwinkernd.
Über Josefine Koebe
- Josefine Koebe wurde am 3. Juli 1988 in Bensheim geboren. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.
- Ihr Abitur machte sie 2007 am AKG in Bensheim, an dem sie auch Schulsprecherin war.
- Nach zwei Studiengängen (International Economics und Volkswirtschaftslehre) promovierte sie an der Universität Hamburg als Volkswirtin.
- Beruflich war Josefine Koebe unter anderem Stellvertretende Leiterin des Büros der damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Christine Lambrecht.
- Nach einer Zeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Berlin wechselte sie 2021 zur Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH.
- Politisch engagiert(e) sich Josefine Koebe in den Reihen der SPD unter anderem von 2021 bis Dezember 2023 als ehrenamtliche Stadträtin in Bensheim, und bis heute als stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bergstraße und als Vorsitzende der Bergsträßer Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF).
- Am 8. Oktober 2023 wurde sie über die Landesliste der SPD in den hessischen Landtag gewählt. red
Josefine Koebe hofft, dass sich auch hier die Zeiten geändert haben und Fachkenntnisse eine größere Rolle spielen als Status. Ein Signal zum Generationenwechsel hatten die Sozialdemokraten ihrer Einschätzung nach kurz vor dem Pressegespräch mit dem BA bei einer rund dreistündigen Fraktionssitzung gesetzt. Der 43-jährige Tobias Eckert löst SPD-Urgestein Günter Rudolph an der Spitze der Fraktion ab. Eckert hatte sich in einer Abstimmung mit einer Stimme Vorsprung gegen Lisa Gnadl durchgesetzt, die nun Parlamentarische Geschäftsführerin der Sozialdemokraten wird.
Die Verjüngung bei den Sozialdemokraten im Landesparlament wird Karin Hartmann nicht mehr kennenlernen. Bei der vergangenen Hessenwahl war die 1959 geborene, in Grasellenbach wohnende Politikerin nicht mehr angetreten. Zusammen mit ihren Mitarbeitern entsorgte sie am Dienstagnachmittag in einem silbernen Rollcontainer alte Unterlagen. Klar schiff machen für die Nachnutzer des kleinen verwinkelten Räumchens. „Wenigstens hat es ein Fenster“, sagt Hartmann. Dass hier Josefine Koebe mit ihrem Schreibtisch einziehen wird, ist eher unwahrscheinlich. Ein speziell für Bergsträßer Abgeordnete reserviertes Büro gibt es nicht.
Ein neues Wahlkreisbüro in Bensheim
Wo sie und ihr Team künftig in dem Komplex ihre Arbeitsplätze haben werden, steht noch nicht fest. „Das ist mir auch nicht so wichtig“, sagt Josefine Koebe. Außer in den 18 Sitzungswochen im Jahr werde sie ihren beruflichen Mittelpunkt auch künftig an der Bergstraße haben. Am Rinnentor in Bensheim will sie schon in wenigen Wochen dauerhaft ein Wahlkreisbüro eröffnen und dort häufig Präsenz zeigen. Im Zentrum soll dort ein runder Tisch stehen. Dieser soll auch bei der Namensgebung des Büros eine Rolle spielen. Zusätzlich zu ihren Diäten dürfen die hessischen Abgeordneten monatlich 1400 Euro an Steuergeldern für die Arbeit im Wahlkreis ausgeben, erläutert Josefine Koebe. „Das ist deutlich erhöht worden. Früher waren das 500 Euro weniger“, ergänzt Karin Hartmann.
In dem künftigen Büro in Bensheim will Koebe möglichst häufig präsent und für Bürger ansprechbar sein. Unweit von ihrem Zuhause gelegen könnte es der vierfachen Mutter auch helfen, die Aufgaben von Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als Abgeordnete, die offiziell nur als 80-Prozent-Stelle gelte, wird die Bensheimerin zu 20 Prozent noch für ihren bisherigen Arbeitgeber, die Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH, tätig sein. Dort leitet sie die Forschungskooperationen in der Frühen Bildung und das Forschungs- und Hochschulnetzwerk. „Da habe ich in den letzten beiden Jahren viel aufgebaut. Das wollte ich nicht ganz aufgeben“, sagt sie.
Bis zum Tag nach der Hessenwahl war sich die 35-Jährige auch nicht sicher, ob es mit dem Sprung ins Parlament etwas werden würde. „Platz 23 war immer so eine Grauzone“, sagt sie. Dass die SPD am 8. Oktober mit 15,1 Prozent der Stimmen historisch schlecht abgeschnitten hat, ließ bei ihr am Wahlabend zunächst nur begrenzt Hoffnung aufkommen. Letztlich reichte Platz 23 aber doch. Einige als sichere Gewinner vorgesehne SPD-Direktkandidaten hatte sich nicht durchsetzen können.
Morgen startet Josefine Koebe offiziell in ihre neue Aufgabe als Landtagsabgeordnete. „Da muss niemand im luftleeren Raum beginnen“, erläutert Karin Hartmann. Einige Kollegen kenne man bereits über die Parteigremien. Für neue Abgeordnete und ihre Mitarbeiter würden zudem Einführungsseminare angeboten.
Über Karin Hartmann
- Karin Hartmann wurde 1959 in Heppenheim geboren und wohnt in Grasellenbach. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
- Ihr Abitur machte Karin Hartmann 1978 am Überwaldgymnasium in Wald-Michelbach.
- Die Diplom-Soziologin war beruflich unter anderem als Geschäftsführerin der Bergsträßer SPD-Kreistagsfraktion, im Bereich Unternehmensentwicklung/Organisationsentwicklung bei Fraport und als Leiterin des ESF- Projektes „Netzwerk wirksamer Hilfen für Alleinerziehende im Odenwaldkreis“ beim AWO Kreisverband Odenwald tätig.
- 1983 ist Karin Hartmann in die SPD eingetreten.
- Landtagsabgeordnete war sie von 1995 bis 2008 und von 2014 bis zum 17. Januar 2024.
- Seit 1993 ist sie Bergsträßer Kreistagsabgeordnete unter anderem als stellvertretende Kreistags- und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. red
Als kleine Herausforderung stellt sich die Versorgung mit der benötigten IT heraus. Da müsse noch einiges geregelt werden. „Die IT-Infrastruktur hier ist eine Katastrophe“, kann Karin Hartmann als scheidende Abgeordnete deutlicher werden. Ein eigenes - neues - Laptop hat Josefine Koebe bereits erhalten. Für die Mitarbeiter gibt es in vielen Fällen gebrauchte Geräte, die nach dem ausscheidenden von Politikern und ihren Teams natürlich erst auf Vordermann gebracht werden müssen. Die Bergsträßer Sozialdemokratin ist jedoch zuversichtlich, dass die technischen und räumlichen Fragen schon bald geklärt sein werden.
Weitaus mehr beschäftigen sie schon jetzt politische Themen, aber auch die künftige Ausgestaltung der Wahlkreisarbeit. „Ich will weg von dem typischen Wahlkampf, der drei Monate vor der Wahl beginnt“, sagt sie. Stattdessen wolle sie künftig dauerhaft für die Bürger ansprechbar sein und auch bei Haustürbesuchen in den Bergsträßer Kommunen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Ob sie künftig vom Ried bis in den Odenwald an jedem Wochenende Vereinsveranstaltungen besuchen kann, sei jedoch fraglich. Da müsse man Prioritäten setzen. Sie habe beispielsweise nur begrenzte Ressourcen für die Teilnahme an Fastnachtssitzungen. Karin Hartmann kann für ihre Nachfolgerin als SPD-Landtagsabgeordnete im Kreis nur hoffen, dass das so klappt. „Ich musste von Neckarsteinach bis Groß-Rohrheim die Bergsträßer SPD repräsentieren“, sagt sie. Die CDU habe im Landkreis mit einem Bundestagsabgeordneten, zwei Landtagsabgeordneten und dem Landrat weitaus mehr Personal, um bei Terminen Präsenz zu zeigen. Josefine Koebe will daher bewusst neue Ansätze wählen. „Ich bin da schon ein anderer Typ Politikerin.“
Eine neue Kommunikationsstrategie will die SPD auch hessenweit umsetzen. „Unser klares Ziel ist mehr Sichtbarkeit“, sagt Josefine Koebe. Die Zeit der Großen Koalition in Berlin, als vor allem der größere Koalitionspartner CDU in der Wahrnehmung der Wähler punkten konnte, ist vielen Sozialdemokraten noch schmerzlich in Erinnerung. Jetzt hat die bei der Hessenwahl geschrumpfte SPD in Wiesbaden nur drei von insgesamt elf Ministerien abbekommen.
Diese haben jedoch nach Einschätzung von Josefine eine hohe Bedeutung und damit auch Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit; insbesondere das künftig vom designierten Vize-Ministerpräsidenten Kaweh Mansoori geleitete Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Wohnen, Energie und ländlichen Raum. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst wird Timon Gremmels erhalten. Heike Hofmann wird Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales. Als Staatssekretärin wird dieser die ehemalige Bergsträßer Kreispolitikerin Katrin Hechler zur Seite stehen. Da gebe es schon Bergsträßer Verbindungen, freut sich Josefine Koebe.
Auf gute Verbindungen anderer Art, nämlich die der Bahn, sind die neue Landtagsabgeordnete und ihre Mitarbeiterin Eva Middleton ebenfalls angewiesen. Nach dem Pressegespräch müssen sie sich beeilen, um noch den nächsten Zug von Wiesbaden über Darmstadt Richtung Bensheim zu bekommen. „Unser Kleinbus, mit dem ich auch Wahlkampf gemacht habe, passt leider nicht in die Tiefgarage des Landtags“, erklärt Josefine Koebe. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten sind die begrenzten Stellplätze ohnehin nicht vorgesehen.
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