Bergstraße. Nicht um die Herausarbeitung von Unterschieden, sondern um den Zusammenhalt aufgrund gemeinsamer Werte werde es gehen, kündigte Viktoriya Ordikhovska, Integrationsbeauftragte des Kreises Bergstraße an, als sie am Mittwochabend vor knapp 50 Teilnehmern das Interreligiöse Dialogforum im ehemaligen Hotel am Bruchsee eröffnete. Die vom Kreis und der „Initiative: Vielfalt. Jetzt!“ gemeinsam organisierte Plattform für den Austausch über aktuelle gesellschaftliche Themen setzt eine Tradition fort, die noch am Ende des vergangenen Jahrhunderts mit einer jährlichen Workshopreihe der Akademie für politische und soziale Bildung „Haus am Maiberg“ in Trägerschaft der Diözese Mainz begonnen worden war – die Einrichtung wurde 2022 geschlossen.
Die diesjährige Veranstaltung widmete sich dem Thema „Die Rolle der religiösen Gemeinden in der modernen Gesellschaft“. Landrat Christian Engelhardt verwies bei der Begrüßung auf den wichtigen Wert der staatlich geschützten Religionsfreiheit, aber zugleich auf die gleichwohl aus der christlichen Religion abgeleiteten gesellschaftlichen Werte, die in Deutschland für jedermann verpflichtend seien. Engelhardt ging auf die Migration als polarisierendes gesellschaftliches Thema ein, das Sorgen erzeuge, die auch im interreligiösen Dialog eine Rolle spielten. Auch mit Blick auf den Ort der Veranstaltung betonte der Landrat, dass der Zustrom von Geflüchteten deutlich gesunken sei – das Bruchseehotel war vor rund zwei Jahren vom Kreis für die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine gekauft worden, wird nun aber nicht mehr benötigt und auch die Zeltstadt in Bensheim kann jetzt - wie berichtet – abgebaut werden.
Migration als polarisierendes gesellschaftliches Thema
Den Impulsvortrag hielt Susanne Kolb, ehemals Referentin für politische Bildung am Haus am Maiberg, freiberufliche Antidiskriminierungs- und Demokratietrainerin, die berufliche und private Erfahrungen nicht nur im Rahmen der christlichen, sondern auch anderer Religionen wie dem Islam gesammelt hat. „Ich bin eine Suchende – vielleicht bin ich einfach mehrfach zugehörig“, beschrieb die Referentin sich selbst. In ihrem Vortrag beleuchtete sie verschiedene Facetten der Religionszugehörigkeit. Sei sie zum Beispiel, wie es der Landrat betont hatte, wirklich eine rein persönliche Angelegenheit? Es sei letztlich ganz unterschiedlich, wer über entscheide oder glaube, entsprechende Zuschreibungen vornehmen zu können, vom hierarchischen Oberhaupt einer religiösen Gemeinschaft oder unentrinnbaren Kastensystem des Hinduismus etwa bis zur Anmaßung eines Maxim Biller, der dem Publizisten Max Czollek abspreche, Jude zu sein, weil er als Vaterjude nicht dem jüdischen Religionsrecht entspreche.
Umgang mit Social Media
Befragt zum Umgang mit den Herausforderungen durch Social Media setzten die Vertreter der beiden christlichen Kirchen auf die persönliche Begegnung und auf Angebote in der Realität, um der virtuellen Welt echte Erlebnisse entgegenzusetzen. Beide wiesen auch auf die Notwendigkeit einer Schulung im Umgang mit Internetquellen hin, die von den öffentlichen Schulen geleistet werden müsse.
Die drei Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaften zeigten sich aufgeschlossen gegenüber den Möglichkeiten der modernen Kommunikation. Sie sahen in Social Media die Chance, vielen Menschen die spirituelle Botschaft näherzubringen, als einen Raum für Austausch und Gemeinschaft, der die persönliche Begegnung nicht ersetzt, sondern ergänzt.
Mostafa Ben-Et-Taleb nannte als eines von mehreren Beispielen die Notlage vieler Menschen während der Pandemie, wo man etwa mit Videoangeboten wichtige Aufklärung habe leisten können. eba
Wie stelle man denn eigentlich objektiv fest, welcher religiösen Gemeinschaft ein Mensch angehöre, fragte die Referentin. 4 Prozent der Menschen in Deutschland sind nach amtlichen Quellen Muslime und 46 Prozent, also fast die Hälfte aller Deutschen, sind konfessionsfrei. Ebenso viele sind Christen – doch nicht mehr als fünf Prozent der Bevölkerung praktizieren tatsächlich eine Religion – über alle Konfessionen hinweg. Susanne Kolb wies auf den interessanten Widerspruch hin, dass zwar 93 Prozent aller Befragten einer entsprechenden Untersuchung dem Recht auf Religionsfreiheit zustimmten, zugleich aber ein Drittel davon – sowohl Gläubige wie auch Nichtgläubige – die religiöse Vielfalt in Deutschland für bedrohlich hielt.
Fünf Vertreter religiöser Gemeinschaften im Podiumsgespräch
Für mehr Offenheit sorge nicht theologisches Wissen, sondern die persönliche Begegnung, verwies die Referentin auf entsprechende Studien. Leider nehme die religiöse Diskriminierung in der Gesellschaft zu: Im Jahr 2023 bezogen sich sieben Prozent der Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf das Merkmal Religion und Weltanschauung.
Die Rolle der religiösen Gemeinde in der modernen Gesellschaft sah Susanne Kolb unter anderem in der Gestaltung von Gemeinschaft und Gesellschaft – ein Umstand, der sich insbesondere in der Diaspora bemerkbar mache.
An den Aspekt der Gemeinschaft knüpfte auch das anschließende Podiumsgespräch an. Dazu begrüßte Manfred Forell, Gründer der Initiative „Vielfalt.Jetzt!“ und seit Jahrzehnten im Kampf für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus aktiv, fünf Vertreter religiöser Gemeinschaften: Für das Evangelische Dekanat Bergstraße sprach Pfarrer Hans Jürgen Basteck, für die Katholische Pfarrei Heilig Geist war Pfarrer Christian Stamm gekommen. Mostafa Ben-Et-Taleb vertrat die Bensheimer Marokkanische Kulturgemeinde, Murtaza Ahmad Mannan die Ahmadiyya Muslim Jamat Bensheim und Abdul Celil Gürbüz die DITIB Mevlana Moschee in Fürth.
Erörtert wurden unter anderem die Fragen, inwiefern die jeweiligen Gemeinden eine Rolle bei der Förderung sozialer Gerechtigkeit spielen, und wie sie Gemeinschaft fördern, ohne sich damit bewusst von anderen abzugrenzen. Ob die religiöse Gemeinde einen Schutzraum für ihre Mitglieder biete, wollte Manfred Forell auch von den Gesprächsteilnehmern wissen. Diese Rolle bejahten alle religiösen Vertreter und betonten dabei auch, dass ihr Angebot von Schutz und Hilfe grundsätzlich für alle Menschen bestehe, nicht nur für ihre Mitglieder. Mostafa Ben-Et-Taleb wies auf die offiziell anerkannte Sozialberatung durch den marokkanischen Kulturverein hin, die Migrationsthemen ebenso umfasse wie die Hilfe beim Umgang mit Ämtern und bei der Wohnungssuche und auch der Vermittlung deutscher Normen und Werte gelte.
Über den Glauben Kontakte in der Gemeinde finden
Pfarrer Hans Jürgen Basteck definierte Schutzraum sowohl im Sinne eines toleranten und offenen Miteinanders und einer Diskussion abseits anderer gesellschaftlicher Arenen als auch im Sinne des Kirchen-Asyls. Pfarrer Christian Stamm wies auf das Café für Geflüchtete im Bensheimer Franziskushaus hin und stellte fest, dass die katholische Kirche internationaler werde und dass über den Glauben viele Menschen Kontakt in der Gemeinde fänden. Der Vertreter der Ahmadiyya-Gemeinde wies auf die dort angebotene Hilfe sowohl in spirituellen als auch in weltlichen Fragen hin, die nicht nur lokal, sondern auch auf nationaler und internationaler Ebene geleistet werde, bis hin zum Khalifat ul-Masih, dem spirituellen Führer der Glaubensgemeinschaft. Abdul Celil Gürbüz von der DITIB Mevlana Moschee erklärte, dass Hilfe jederzeit auch außerhalb der Moscheezeiten geleistet werde, dabei finde jede Art von Anliegen Gehör, bis hin zu der Unterstützung, die er selbst als promovierter Psychologe geben könne.
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