Bergstraße. „Igelhilfe Mumbachertal“ steht in großen Buchstaben am Briefkasten; in einem Einfamilienhaus im Mörlenbacher Ortsteil ist die Pflegestelle von Nicole Wanderlingh, die sagt: „Es war kein leichtes Jahr für Igel.“ Denn der Fortpflanzungsrhythmus der Tiere ist durcheinandergeraten; normalerweise kommen die Jungen im August zur Welt. In diesem Jahr kamen sie bereits im Juli, und viele Weibchen warfen noch ein zweites Mal Mitte/Ende September. Gerade für die Jüngsten sei das zu spät, erklärt die Tierschützerin: „Sie würden den Winterschlaf nicht überleben.“ Weshalb sie ihre Kapazitäten vergrößert hat, um möglichst viele kleine, kranke Igel zu retten.
Die Jungtiere müssen vor Mäusen geschützt werden
Wanderlingh öffnet eine Schuppentür; drinnen ist es ruhig und duftet nach frischem Heu. Dicht an dicht stehen hier Ställe, in jedem hat sich ein Tier in seinen Bau verkrochen, und sie erklärt: „Sie bekommen Mehlwürmer, Soldatenfliegenlarven und sehr hochwertiges Katzenfutter ohne Getreide.“
Fünf der selbst gebauten Behausungen sind derzeit bewohnt, doch rechnet sie damit, dass die sieben anderen in der kommenden Zeit ebenfalls besetzt werden; ihr Mann plant bereits weitere sechs Unterkünfte: „Das Material ist teuer, jede kostet 100 Euro.“ Denn die Wände bestehen aus Siebdruckplatten, vorne und vor den Luftlöchern ist mäusesicherer Maschendraht gespannt – wenn die Nager hereinkämen, könnten sie Krankheiten übertragen, und das ist das Letzte, was die Schützlinge gebrauchen können. An jedem Kasten hängt ein Namensschild. Struwwelpeter ist blind. Igel würden aber von Haus aus nicht besonders gut sehen, bemerkt Wanderlingh.
Ihre Schützlinge sind allesamt klein und zu leicht. Igel, die zum jetzigen Zeitpunkt gefunden werden, sollten 600 bis 650 Gramm auf die Waage bringen, um den Winter zu überstehen: „Denn jetzt kann es täglich Minusgrade geben, und dann hören sie auf zu fressen.“ Sie verkriechen sich, fahren Atmung, Stoffwechsel und Herzschlag herunter und schlafen bis zum Frühjahr.
Im Haus gibt es einen Raum, in dem zwölf Boxen stehen; 14 Igelkinder sind darin – zwei werden jeweils von Geschwistern bewohnt. „Sie werden täglich gewogen, und ich habe ihre Medikamente und die Dosierung mit dem Tierarzt abgesprochen“, erklärt Wanderlingh. Täglich säubert sie die Boxen, desinfiziert, reinigt, legt Zeitungen aus, verteilt Heu und dosiert Futter. Es ist im Grunde ein Vollzeitjob – die Kleinsten brauchen sie rund um die Uhr. Wanderlingh ist im „Hauptberuf“ Heilerin und Hypnosetherapeutin, hat ihre Praxis im Haus; für vieles habe sie keine Zeit, bedauert die 50-Jährige und ist froh, dass ihre Enkelin gegenüber wohnt und noch Zeit für Hund Bailando und die Katzen bleibt. Seit 2018 betreibt sie ihre Pflegestelle, die als „Päppelstelle“ für zwei, drei Tiere anfing.
Die Igel werden teilweise aus Heidelberg gebracht
Wanderlinghs „Einzugsgebiet“ ist mittlerweile groß, umfasst Mannheim, Heidelberg, die Bergstraße, Bürstadt und Michelstadt. Seit die Stelle in Ludwigshafen geschlossen ist, kommen auch Tiere von dort. Ihr winzigster Patient war ein 49 Gramm schweres Baby, das jemand mitten auf einer Straße in Mannheim auflas; sie fütterte und versorgte es, bis es 273 Gramm wog – dann wurde das Igelchen krank. „Er hat es nicht geschafft, schuld war ein unspezifischer Keim“, seufzt die Helferin. Wie geht sie mit Todesfällen um? Vielleicht hilft ein Zahlenvergleich; sie schätzt, dass sie allein in diesem Jahr 50 Igel hatte: „Und es ist noch kein Ende in Sicht.“
Über Igel und ihre Helfer
Seit Kurzem gehören Igel zu den streng geschützten Arten und stehen auf der Roten Liste.
Es ist verboten, kranke oder verletzte Igel einfach aufzunehmen. Sie sollten in sachkundige Hände wie bei der Igelhilfe abgegeben werden.
Die Igelhilfe Mumbachertal finanziert sich derzeit allein aus Spenden; die Kosten sind hoch, Schnelltests zum Nachweis von Krankheiten, Labor und Medikamente sind teuer, Ställe bauen die Helfer in Eigenregie, oft auf eigene Kosten.
Wer will, kann nach Absprache Sachen spenden oder „Igelgaragen“ nähen.
Hilfen sind auch Futterstellen, Reisighaufen und „wilde Ecken“ im Garten oder sogar kleine Löcher im Zaun, denn ohne die Durchschlupfe bleiben viele Tiere in Zäunen hängen und sterben.
Spenden kann man an die Igelhilfe auf dieses Konto: IBAN:DE25 6709 2300 0008 2106 08, BIC GENODE61WNM
Die „Igelhilfe Mumbachertal“ findet man auf Plattformen wie Facebook und Instagram. /ü
Zu den Neuzugängen gehört der drei Wochen alte „Spooky“, der mit seinem Bruder an Halloween gefunden wurde. Die zwei Tierkinder haben sich in eine „Igel-Garage“, eine weiche Stoffhöhle, eingekuschelt, und als sie ihn sanft herauszieht, kommt ganz langsam das kleine Gesicht unter den Stacheln zum Vorschein. Vorsicht und Neugier kämpfen um die Vorherrschaft, und schließlich zittert seine Nase, als er in Richtung der Besucher schnuppert. Er hat Parasiten, braucht Medikamente. Aber es gibt auch Fälle, die Wanderlingh fassungslos machen, Igel mit abgefahrenen Nasen, schweren Verletzungen von Mährobotern: „Es sollte ein Nachtfahrverbot geben.“
Auch Riccios Schicksal empört sie: Der Zwerg wurde von drei Jagdhunden angegriffen, die sich regelrecht in ihn verbissen. Er hat mehrere Wunden, darunter eine große Kopfverletzung, in die sich Bakterien gesetzt haben; die Helferin fürchtet, dass der Igel noch einen langen Weg bis zur Heilung vor sich hat.
Vorträge über Igel in Kindergärten und Schulen
Neben ihrer praktischen Hilfe geht die Tierschützerin auch in Kindergärten und Schulen, hält Vorträge, bestückt ihre Accounts in sozialen Netzwerken und informiert unermüdlich. Unterstützung von öffentlichen Stellen gibt es wenig, doch bekommt sie von der Gemeinde zumindest regelmäßig Müllsäcke, denn die Hinterlassenschaften der Igel müssen teuer als Restmüll entsorgt werden. Wie auch sonst vieles ins Geld geht; über Geld- und Sachspenden führt sie penibel Buch, zahlt aber vieles aus eigener Tasche. Warum? „Igel sind eine Herzensangelegenheit von mir.“ Und die Schicksale der wehrlosen Jungtiere gehen ihr ans Herz.
Zurück zu den Kleinen: Igelin Rosi, die eine Therapie gegen Lungenwürmer erhält, hustet, und Bülent – Mannheimer wie sein prominenter Namensvetter – schläft gerade. Jetzt geht es nach nebenan, denn es ist Zeit, einen Intensivpatienten zu füttern. Shona bekommt Katzen-Aufzuchtmilch aus einer Spritze. Beim Wiegen am Morgen war er 218 Gramm leicht, es besteht der Verdacht, dass er an Giardien leidet. Er will sich nicht verkriechen, sondern liegt in einem Frotteetuch auf einer Wärmeplatte. In Wanderlinghs Hand wird er munter, nuckelt erst zaghaft an der Spritze und trinkt schließlich schmatzend. „Er will am Leben bleiben. Er kämpft“, sagt die Tierschützerin. Und hofft, dass er gewinnt. /ü
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