Bergstraße. Nach Beginn der Maßnahmen gegen die Coronaviren wurde in den vergangenen drei Jahren auch die Grippe (Influenza) erheblich eingedämmt. Das Tragen einer Mund-Nase-Maske in der Bevölkerung hatte die Verbreitung der Erreger enorm reduziert: Bundes- und hessenweit kam es 2021 zu einer deutlichen Verringerung der gemeldeten Fälle. Im Kreis Bergstraße wurde damals nur ein Fall registriert, im Vorjahr waren es noch 368.
Im vergangenen Kalenderjahr stiegen die registrierten Fälle auf 539 an. In diesem Jahr sind bislang – Stand Mittwoch – 140 Menschen erkrankt. Bundesweit sind es momentan fast 60 000. Eine Statistik, die eine hohe Dynamik aufweist und sich täglich verändert, betont die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz. Die Gesundheitsdezernentin machte jetzt erneut auf die Bedeutung einer Influenzaimpfung aufmerksam. Ein Schutz, der während der Pandemie etwas in Vergessenheit geraten war.
Denn durch den massenweisen Gebrauch der Gesichtsmasken ab 2020 war man zwar besser geschützt, doch hatte das Immunsystem auch weniger Gelegenheit, gegen bestimmte Erreger und Erregergruppen einen Abwehrmechanismus aufzubauen beziehungsweise zu erhalten. Mit der Folge, dass viele Menschen jetzt besonders empfänglich für Erreger sind. Der Kreis appelliert daher an Risikopatienten und ältere Menschen ab 60 Jahren, das aktuelle Impfangebot wahrzunehmen. Impfstoffe stehen derzeit ausreichend zur Verfügung, wie Ärzte und Apotheker bei einem Pressegespräch im Landratsamt betonten.
Hochsaison von Mai bis September
In der Regel steigen die Fallzahlen im September mit Beginn der Erkältungszeit wieder an, wenngleich der Höhepunkt der Welle meist erst zum Jahresende registriert wird. Dann erstreckt sich die Saison in der Regel bis Mitte Mai. So lange zirkulieren die Viren in Regionen der nördlichen Erdhalbkugel. Grund genug, sich rechtzeitig gegen die gefährlichen Eindringlinge zu schützen, sofern man zu den „Kunden“ zählt: die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine Impfung für Menschen ab 60, die dann einen hochdosierten Impfstoff erhalten.
Warum? Mit zunehmendem Alter nimmt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems ab, sodass Infektionen häufiger schwer verlaufen. Ältere Menschen haben daher ein erhöhtes Risiko, aufgrund einer Komplikation im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Die meisten Todesfälle durch Influenza betreffen ebenfalls diese Altersgruppe. Die reduzierte Immunantwort älterer Menschen führt außerdem dazu, dass die Impfung weniger wirksam sein kann als bei jüngeren Erwachsenen. Deshalb wurden für diese Gruppe spezielle Impfstoffe entwickelt, wie der Heppenheimer Apotheker Oliver Saur erläutert.
Genügend Impfstoff vorhanden
„Die Hochdosis-Impfstoffe haben im Vergleich zu Standard-Impfstoffen eine geringfügige, aber signifikant bessere Wirksamkeit bei Senioren“, so Saur. An der Bergstraße sei das vierfach-dosierte Serum derzeit in ausreichender Menge verfügbar. Gleichzeitig betonen die Fachleute, dass für jüngere Menschen der herkömmliche inaktivierte (quadrivalente) Influenza-Impfstoff einen ausreichenden Schutz bei in der Regel geringeren möglichen Nebenwirkungen bietet. Dieses normal dosierte Vakzin ist im Landkreis ebenfalls verfügbar.
Wer jetzt einen Impftermin vereinbart, ist also im doppelten Sinn auf der sicheren Seite. Der Heppenheimer Internist Jens Braun bestätigt dies. „Wir kaufen zunächst nur so viel Impfstoff, wie wir voraussichtlich verbrauchen werden“, so der Allgemeinmediziner. Ein Überschuss, der am Ende in die Tonne wandert, wolle man vermeiden. Viele Praxen ordern in der Regel im Laufe der Saison nach. Auch Braun empfiehlt eine Impfung ab sofort.
Zielgruppe sind Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens, etwa chronischer Krankheiten der Atmungsorgane, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Leber- oder Nierenerkrankungen sowie Diabetes oder Stoffwechselkrankheiten.
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Aber auch chronische neurologische Grundkrankheiten wie zum Beispiel Multiple Sklerose erfordern einen guten Grippeschutz durch Auffrischungsimpfungen, so Jens Braun. Hinzu kommen außerdem Frauen ab dem zweiten Drittel (14. bis 26. Woche) ihrer Schwangerschaft. In Risikoschwangerschaften, etwa wenn die Schwangere Diabetes hat oder stark übergewichtig ist, ist der Piks auch im ersten Drittel möglich.
Zum erweiterten Kreis der Impfkandidaten gehören Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen sowie alle Menschen, die Risikopersonen betreuen und somit gefährden könnten. Aber auch medizinisches Personal und Personen, die im Alltag ein hohes Maß an zwischenmenschlichen Kontakten haben, sollten sich impfen lassen.
Ansteckende Tröpfcheninfektion
Im Gegensatz zu einem harmlosen grippalen Infekt – hier sind andere Viren verantwortlich – kann eine Influenza ernst bis lebensbedrohlich verlaufen. Vor allem bei älteren Menschen mit besonderen Risiken sind schwere Krankheitsverläufe möglich. Die Zahl der Todesfälle, die in Zusammenhang mit der Influenza gebracht wird, schwankt stark von Jahr zu Jahr und liegt zwischen mehreren Hundert und über 20 000 Menschen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) mitteilt. Die Ansteckung erfolgt durch eine Tröpfcheninfektion, aber auch über kontaminierte Hände und Oberflächen mit nachfolgendem Schleimhautkontakt.
Die Impfung ist in der Regel gut verträglich. Es kann zu vorübergehenden lokalen Reaktionen kommen, etwa zu Schmerzen an der Einstichstelle. Schwere Nebenwirkungen sind sehr selten, so der Heppenheimer Allgemeinmediziner Reinhard Blessing, der mit Braun die Spitze des Hausärztenetzes Heppenheim bildet.
Beide weisen darauf hin, dass eine Impfung auch die Zahl derer reduziert, die infolge einer Ansteckung in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen. „Wir benötigen die verfügbaren Klinikbetten im Kreis für Patienten, die dringend stationäre Hilfe benötigen“, so Jens Braun. In den Krankenhäusern seien die Kapazitäten gerade während der Wintermonate überschaubar. Daher gehe es darum, die Quote der Infektpatienten so gering wie möglich zu halten. „Die Grundversorgung in den Kliniken muss aufrechterhalten werden“, so der Mediziner.
Sein Kollege Blessing verweist darauf, dass gemäß der Stiko-Empfehlung zwischen Corona-Impfungen und der Verabreichung anderer sogenannter Totimpfstoffe kein Impfabstand von 14 Tagen mehr eingehalten werden muss. Seit Mitte September werden in Hessen Booster-Impfungen mit dem angepassten Corona-Impfstoff durchgeführt. Die Heppenheimer Ärzte rechnen damit, dass die Zahl der Covid-19-Fälle bald auch im Kreis Bergstraße wieder erhöhen wird.
Weitere empfohlene Impfung
Der dritte Impfschutz neben Influenza und Corona betrifft eine Erkrankung, die nicht durch Viren, sondern durch Bakterien ausgelöst wird: Pneumokokken sind weltweit verbreitet und werden von Mensch zu Mensch übertragen. Je nach Region und abhängig vom Alter sind verschiedene Pneumokokken-Typen für unterschiedliche Krankheiten mit zum Teil lebensbedrohlichen Verläufen verantwortlich. Sie verursachen die Mehrzahl aller bakteriellen Lungenentzündungen.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt allen Erwachsenen ab 60 Jahren eine Impfung. Dafür ist ein Impfstoff verfügbar, der gegen mehr als 20 verschiedene Pneumokokken-Typen schützt. Wegen der begrenzten Dauer des Impfschutzes ist eine Auffrischung alle sechs Jahre ausreichend, so Reinhard Blessing. Er rät, den Turnus einer Impfung mit dem Hausarzt individuell abzuklären. „In der Bevölkerung ist diese Impfung noch immer wenig bekannt.“
Was die altbekannte „Corona-Maske“ betrifft, so raten beide Mediziner, diese effektive Art des Schutzes weiterhin zu nutzen. Nicht nur als Barriere gegen Viren im Allgemeinen, sondern vor allem als Blockade: „Wer hustet oder niest, sollte sie tragen und andere schützen.“ Es sei überraschend und bedauerlich, dass man nach der langen Corona-Hochphase in der Öffentlichkeit wieder schief angeschaut werde, wenn man eine Maske trägt, so Reinhard Blessing. Noch vor zwei Jahren war das Gegenteil der Fall.
Die Vergesslichkeit des Menschen scheint ebenfalls ein chronisches Problem zu sein – doch die Anfragen nach Covid-Impfungen nehmen auch im Kreis wieder langsam zu. „Es kommen täglich Menschen in die Praxis, die sich impfen lassen möchten“, so Jens Braun.
Seit 18. September ist der erste an die neuen Varianten von Covid-19 angepasste Impfstoff in Deutschland verfügbar. Die Stiko empfiehlt Risikogruppen, sich impfen zu lassen. Auch hier haben vor allem ältere und vorerkrankte Menschen ein Risiko, obwohl schwere Verläufe durch die Basisimmunität seltener geworden sind.
Die Auffrischungsimpfungen werden von niedergelassenen Hausärzten sowie manchen Facharztpraxen und in Apotheken durchgeführt. Eine Grippeimpfung am gleichen Tag ist unproblematisch.
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