Bergstraße. Minutenlange Standing Ovations beendeten am Freitagabend die Premiere des ersten der beiden Stücke der diesjährigen Heppenheimer Festspiele nach einem ebenso intensiven wie unterhaltenden Theaterabend. Zum 50-jährigen Jubiläum der Traditionsveranstaltung hatte Iris Stromberger, die die Festspiele seit der Spielzeit 2022 leitet, mit ihrem Ensemble neben einer Komödie von Michael Frayn, auf einen Theaterklassiker gesetzt: „Faust. Der Tragödie erster Teil“ gilt nicht nur als eines der bedeutendsten Werke des deutschsprachigen Theaters – es ist auch eines der bekanntesten und meistzitierten. Umso größer die Herausforderung, neben den großen Vorbildern zu bestehen und zugleich den jedermann im Ohr befindlichen Sätzen eine neue, eigene Betonung zu verleihen.
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Mit Fabian Stromberger als Faust und Sebastian Muskalla als Mephisto gelang das in beeindruckender Weise. Das Publikum konnte sie als ein dynamisches Duo erleben, das sich die Bälle der von Goethe oft komödiantisch angelegten Dialoge ideal zuspielte. Muskalla gab den Mephisto äußerst vielseitig als charismatischen Verführer mit diabolischer Lust an der Manipulation, am Spiel mit den unbedarften Menschen, zu denen auch Faust gehört. Das Publikum erlebte ganz unterschiedliche Facetten der Verstellung, zwischen denen Muskalla mühelos zu wechseln verstand. Fabian Strombergers Faust zeigte sich als ganz und gar nicht verstaubter Gelehrter, eher als ein im Grunde temperamentvoller Intellektueller, der sich vom Leben halt einfach mehr erwartet hat und damit die Sympathien des Publikums auf sich zu ziehen weiß.
Im Zusammenspiel von Mephisto und Faust kommen beide Seiten gleichermaßen überzeugend zum Tragen, die Goethe in seinem Stück zum Thema machte: Sowohl der Spaß, die Leichtigkeit, der Spott, als auch die Gedankenschwere und die Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen kommen zu ihrem Recht. Diesen Antagonismus betont Regisseurin Iris Stromberger in ihrer Inszenierung auch durch die Einbeziehung von „Zueignung“ und „Vorspiel auf dem Theater“ am Anfang des Stücks, die bei vielen Aufführungen weggelassen werden. So wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer auch auf die Person des Verfassers Goethe und dessen Erleben und anschließend auf das Wesen des Theaters gelenkt. Für dieses soll mit dem bevorstehenden Stück ein Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit, Kunst und Unterhaltung verwirklicht werden, heißt die Aufgabe.
Und dann nimmt das Drama seinen Lauf
Mephisto bringt Faust vom rechten Weg ab und fädelt die Begegnung mit dem naiven Gretchen ein, die von Faust geschwängert und verlassen wird, nachdem er ihre Mutter und ihren Bruder umgebracht hat. Sie wiederum wird als Mörderin ihres unehelichen Kindes zum Tode verurteilt, verfällt dem Wahnsinn und verweigert sich der Befreiung aus dem Kerker durch Faust. Die letzten Szenen leben in der Heppenheimer Inszenierung von dem überaus berührenden Spiel Elinor Strombergers als Gretchen, die Wahnsinn und Verzweiflung äußerst nuancenreich und bei aller Intensität niemals überzogen oder plakativ zeichnet. Am Ende stehen ihre sehr zurückgenommen gesprochenen Worte „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“ Das letzte Bild zeigt sie in der Umarmung Fausts kauernd – es entfallen in diesem fast versöhnlichen Arrangement die Worte Mephistos („Sie ist gerichtet“) ebenso wie das Urteil Gottes aus dem Himmel „Ist gerettet!“.
In weiteren Rollen überzeugen Robert Menke als Theaterdirektor, Lars Hoppe als Schüler und Nora Kühnlein als geradezu brutal gehässiges Lieschen. Marthe Schwerdtlein wird durch Margit Schulte-Tigges manipulierbar, klatschsüchtig und geldgierig charakterisiert. Stephan Müller gibt einen wunderbar bräsigen Famulus und außerdem den sich selbst bemitleidenden, in seiner Ehre beleidigten Bruder Valentin. Verschiedene Regieeinfälle verdichten die Handlung insbesondere in dem der Liebesgeschichte gewidmeten zweiten Teil nach der Pause. Choreografisch veranschaulicht sind dabei unter anderem die Walpurgisnacht und der Kampf zwischen Faust und Valentin.
Als Spielort dient das Kircheninnere von St. Peter – eine ungewöhnliche Entscheidung, die einerseits an frühere Inszenierungen des „Jedermann“ vor dem „Dom“ anknüpft und andererseits schlüssig in Bezug auf den theologischen Hintergrund des Stücks ist. Dafür setzt das Bühnenbild auf grafische Nüchternheit und ist eine einfache dunkelgraue Konstruktion, die geschickt für die einzelnen Auf- und Abtritte genutzt wird. Und es gibt noch eine originelle, die Intensität des Stücks unterstreichende Zutat: Die Handlung wird zwischen den Szenen vom Orgelspiel der Kirchenmusikerin Gabriele Roth begleitet, die von Hoffnung bis Verhängnis jeweils kurze Taktfolgen komponiert hat, in denen sie von Pentatonik bis zu chromatischer Abfolge äußerst überzeugende Töne gefunden hat.
Die Produktion ist eine „Familienunternehmung“
Die Idee, die örtliche Organistin in die Theaterpräsentation einzubeziehen, kennzeichnet die auch insgesamt sehr liebevolle Ausarbeitung durch das „Familienunternehmen“ Stromberger – Iris Stromberger, Tochter des Drehbuchautors und Schauspielers Robert Stromberger und Urenkelin des Darmstädter Mundartdichters Robert Schneider, ist die Mutter von Fabian Stromberger und die Schwiegermutter von dessen Ehefrau Elinor Stromberger. Auch ein Detail wie der Ausschank eines Biers der Marke „Faust“ vor der Vorstellung und in der Pause erfreut in diesem Zusammenhang.
So imponiert das Stück als ganz und gar nicht gedankenschweres, mit Leichtigkeit und dennoch großer Tiefe umgesetztes Theatererlebnis, das noch dazu mit großartigen schauspielerischen Leistungen beeindruckt.
Bei der Premiere vertrat Kulturstaatssekretär Christoph Degen den Schirmherrn der Veranstaltung, den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. „Der Sommer ist in Hessen Festspielzeit“, erinnerte Degen an weitere Theaterfestivals, etwa in Bad Hersfeld, Hanau, Darmstadt oder Bad Vilbel. Er begrüßte in den Reihen im Hauptschiff der Kirche einige örtliche Politprominenz, darunter Landrat Christian Engelhardt. Festspielleiterin und Regisseurin Iris Stromberger dankte der Kirchengemeinde Sankt Peter und Pfarrer Thomas Meurer für die Bereitschaft, den Kirchenraum für die Proben und die Aufführung zur Verfügung zu stellen.
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