Bergstraße. Die Arbeitsgemeinschaft der Wasserversorger im Rhein-Main-Gebiet hat untersuchen lassen, wie sich der Klimawandel auf den Grundwasserhaushalt auswirkt. Dabei hatten die Fachleute auch die Bedingungen im Ried unter die Lupe genommen. Demnach würden sich die Zeiträume für eine Neubildung von Grundwasser auf immer kürzere Abschnitte konzentrieren. Auch Ulrich Androsch vom Gewässerverband Bergstraße blickt mit Sorge auf die Entwicklung.
Herr Androsch, nach den trockenen Sommermonaten fällt endlich wieder Regen in der Region. Gehen Sie davon aus, dass in den kommenden Monaten ausreichend Grundwasser gebildet wird?
Ulrich Androsch: Die Neubildung des Grundwassers hängt von vielen Aspekten ab. Zum Beispiel davon, ob die Niederschlagsmenge gleichmäßig in den Boden sickern kann. Wenn Niederschläge in extremer Menge auf ausgetrocknete Böden fallen - was seit Jahren im Frühjahr und Sommer fast regelmäßig geschieht -, haben wir das Problem, dass Böden zu verdichtet sind und Wasser nicht gut aufnehmen können.
Die aktuellen Niederschläge haben keine Auswirkung auf den Grundwasserspiegel?
Androsch: Es dauert sehr lange, bis der Regen tatsächlich im Grundwasser ankommt. Erst wenn es im Winter und im Frühjahr regelmäßig geregnet hat, können wir von einer normalen Grundwasserneubildung sprechen. Die Verluste der Trockenperioden werden damit aber nicht mehr ausgeglichen. Es wäre am besten für die Speicher tief unter der Erde, wenn wir in den kommenden Monaten mehr Niederschlag hätten, der in moderater Menge fällt. Beeinflussen kann man das Wetter aber natürlich nicht. Wir können lediglich den Verbrauch und die Entnahme steuern.
Apropos Verbrauch. Durch die hohen Temperaturen der vergangenen Monate ist der Wasserverbrauch stark gestiegen. Wäre es nicht sinnvoll, hier noch effizienter zu werden?
Androsch: Tatsächlich bereiten nicht nur die wegen des Klimawandels veränderten Wetterereignisse Probleme. Auch die immer stärkere Entnahme von Trinkwasser für die Metropolregionen bereitet uns langfristig Schwierigkeiten. Seit Jahrzehnten wird etwa eine stetig steigende Menge Grundwasser aus dem Ried nach Frankfurt und in das Rhein-Main-Gebiet gepumpt. Das führt etwa dazu, dass der Lampertheimer Wald sehr unter Wassermangel leidet und vor allem alte Bäume absterben. Hinzu kommt die stetige Versieglung der Flächen, etwa aufgrund der regen Bautätigkeit in unserer Region. Versiegelte Fläche tragen wiederum nichts zur Grundwasserbildung bei, da Neubaugebiete künstlich entwässert werden. Das Wasser gelangt über die Kanalisation somit unter anderem in Flüsse und Bäche, was die Hochwassersituation bei dem prognostizierten Anstieg der Wetterextreme sicherlich nicht verbessern dürfte.
Es gibt Förderprogramme, die dazu beitragen sollen, versiegelte Flächen wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen.
Androsch: Das stimmt. Aber am Verhalten von Kommunen und Bürgern ändert das bisher wenig. Auch wenn aufgrund von Lieferengpässen, steigenden Kosten und Zinserhöhungen in den kommenden Monaten wohl weniger gebaut wird - unser Flächenverbrauch ist gewaltig und wirkt sich negativ auf die Bildung von Grundwasser aus. Wir sind stark auf Wachstum konzentriert. Welche Folgen das für das Ökosystem hat, wird immer deutlicher. Die Lampertheimer haben noch Glück mit ihren sandigen Böden. Die sorgen dafür, dass Regenwasser dort relativ gut versickert.
Dabei dürfte sich nicht nur der Verbrauch, sondern auch die Verschmutzung auf unser Grundwasser auswirken. Wie schätzen Sie beispielsweise den Umgang mit Wasser in der Landwirtschaft ein?
Androsch: Wenn wir weiterhin Trockenheit im Frühjahr haben und keine anderen Früchte anbauen, dürfte der Wasserbedarf in der industriellen Landwirtschaft zunehmen. Das ist ein Problem, da bisher überwiegend Grundwasser für die Felder genutzt wird. Entnommen wird aus dem oberen Grundwasserstock, der zehn bis 20 Meter in die Tiefe reicht. Dazu unterhalten die Beregnungsverbände ein Netz von Brunnen und Leitungen. Beregnet wird jedoch überwiegend nach dem Rasensprenger-Prinzip „von oben“. In der Oberrheinebene, natürlich auch im südhessischen Ried, lässt sich im Sommer beobachten, dass viele Felder mithilfe dieser veralteten Technik beregnet werden. Solche Anlagen sind extrem ineffektiv, allein weil ein großer Teil des Wassers in der Hitze verdunstet. Viel besser wäre es, die Landwirte würden auf den Feldern mit Tröpfchenbewässerung arbeiten, was sehr effektiv ist. Zudem sollte mehr Bewässerung während der Sommernächte stattfinden, weil dann weniger verdunstet. Der aktuelle Verbrauch von Wasser ist schlicht überdimensioniert. Zumal die kräftige Entnahme zur Beregnung wegen der sinkenden Wasserstände auch Nachteile für den Wald und die wenigen natürlichen Flächen mit sich bringt.
Wie verhält es sich mit chemischen Stoffen, die auf Feldern landen?
Androsch: Chemische Stoffe werden bei den meisten Agrarkulturen eingesetzt. Man denke da nur an Mais oder Kartoffeln. Das ist ein weiteres Problem. Die Pestizide und deren Abbaustoffe finden sich inzwischen überall wieder, sowohl in Oberflächengewässern als auch in den oberen Grundwasserschichten. Genau so wie auch die inzwischen ungefähr 5 000 bekannten Spurenstoffe. Dazu zählen beispielsweise Arzneimittel, Hormone oder Süßstoffe, die über Kläranlagen in das Wasser gelangen. Der obere Grundwasserstock ist deshalb für die Trinkwasserentnahme schon lange tabu. Die Aufbereitung wäre schlicht zu aufwendig. Die Wasserversorger prüfen ihr Produkt regelmäßig, und es dürfte noch viele Jahre dauern, bis unser belastetes Wasser in der heutigen Entnahmetiefe unserer Trinkwassergewinnung angekommen ist.
Aufwendig bedeutet teuer?
Androsch: Das deutsche Leitungswasser gilt als das am intensivsten geprüfteste Lebensmittel auf unserem Planeten. Kämen chemische Stoffe in der Tiefe an, wäre die Reinigung zwar machbar, aber richtig teuer. Die Erweiterung unserer Kläranlagen auf die sogenannte vierte Reinigungsstufe, das ist die Filterung mit Aktivkohle, kann dieses Problem zukünftig entschärfen. Jedoch wird es Jahrzehnte dauern, bis das in Deutschland umgesetzt sein wird. Ganz zu schweigen von anderen EU-Ländern. In weiten Teilen der Welt haben wir noch nicht einmal funktionierende Kläranlagen.
Welche Folgen hat die Trockenheit aus Ihrer Sicht für die Wälder?
Androsch: Die Wälder geraten immer stärker unter Druck. Ein Dürrejahr steckt die Natur noch weg. Ein ohnehin angeschlagener Baum stirbt, gesunde Pflanzen überleben. Jetzt haben wir aber schon das vierte Dürrejahr in Folge erlebt. Die Schäden an Bäumen und das Sterben vieler Tiere können sicher nicht ohne weiteres kompensiert werden. Unter Amphibien, Insekten und Vögeln dürften die Verluste sehr hoch sein. Die wenigen verbliebenen Populationen von Amphibien verdanken ihr Überleben ausschließlich regionalen Naturschutzverbänden. Da gibt es Menschen, die nach Feierabend ihr Auto mit Wasserkanistern beladen und bis in die Dunkelheit hinein ehemalige Feuchtbereiche und Tümpel anfahren, um Wasser auffüllen. Auf diese Weise bewahren sie die Gewässer vor dem Austrocknen. Aufnahmen von Wildkameras zeigen die Not. Bei Nacht sind dort fast alle Tierarten anzutreffen, um Wasser aufzunehmen. Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel müssten wir stärker hinterfragen, was uns der Wald und die Natur eigentlich wert sind. (wo/sm)
Gewässerverband
Der Gewässerverband Bergstraße betreut im Auftrag der Städte und Gemeinden größere Gewässer, Flussdeiche und weiteren Hochwasserschutzanlagen im Kreis Bergstraße.
Aufgaben sind, neben Betrieb und Unterhaltung der Gewässer, der Hochwasserschutz und die Umsetzung europäischer Wasserrahmenrichtlinien.
Der 54 Jahre alte Wasserbauingenieur Ulrich Androsch ist seit 2009 Geschäftsführer. wol
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