Bergstraße. Hoher Besuch in Bensheim: Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ist am Freitag mit dem mit 25 000 Euro dotierten Karl- Kübel-Preis ausgezeichnet worden. Die in der Stadt ansässige Karl-Kübel-Stiftung für Kind und Familie würdigt damit nach eigenen Angaben das außergewöhnliche und vielfältige Engagement des 82-Jährigen für Familien insbesondere in seiner Heimat Bangladesch. Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler erhielt 2006 den Nobelpreis für seine Idee, Mikrokredite ohne Sicherheiten vor allem an Frauen zu vergeben, damit sie sich aus ihrer Armut befreien können. Dazu gründete er die Grameen Bank. Ein funktionierendes System, das mittlerweile weltweit nachgeahmt wird.
Der mit 15 000 Euro dotierte und einmalige Jubiläums-Sonderpreis zum 50-jährigen Bestehen der Stiftung in diesem Jahr ging an Sara und Sali Nuru.
Die Geschwister unterstützen mit ihrem 2016 gegründeten Kaffeelabel Frauenprojekte in Äthiopien. Mit dem nach Dietmar Heeg benannten Medienpreis wurden bei der Veranstaltung im Musiktheater Rex am Nachmittag erstmals Preise in drei Kategorien vergeben, wie Stiftungsratsvorsitzender Matthias Wilkes vor rund 120 Gästen erläuterte.
„Familie zählt!“ lautet das Motto im Jubiläumsjahr der Stiftung, die nach ihrem Gründer, dem Unternehmer Karl Kübel benannt ist und derzeit weltweit rund 80 soziale Projekte im In- und Ausland unterstützt. Zu den bisherigen Preisträgern zählen der Sänger Peter Maffay, der SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp und Königin Silvia von Schweden. Aufgrund der Pandemie musste die bereits für 2021 vorgesehene Verleihung verschoben werden, da Yunus eine Ausreise aus Bangladesch damals nicht möglich war.
Kleinstkredite für Frauen
Mit seiner Idee trete der diesjährige Preisträger in die Fußstapfen des sozial engagierten Stiftungsgründers, so der Stiftungsratsvorsitzende. Die von ihm 1983 gegründete Grameen Bank vergibt Kleinstkredite an Frauen, so dass sie sich selbst – etwa über die Gründung eines kleinen Gewerbes – selbst aus der Armutsspirale befreien könne. Damit habe er das Finanzwesen revolutioniert.
Denn eine wirklich friedliche Welt sei laut Wilkes nur dann denkbar, wenn kein Kind mehr verhungern müsse. Aktuell stirbt durchschnittlich alle 13 Sekunden ein Kind durch Unterernährung. Yunus habe durch den von ihm entwickelten Mikrofinanz-Gedanken dafür gesorgt, dass viele arme Familien wieder eine Perspektive sehen. Sein Name stehe beispielhaft für die Förderung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung von unten.
Medienpreise für zwei Journalistinnen mit viel Empathie
Wie stark Familie und unternehmerisches Engagement für Eltern und Kinder zusammenhängen, unterstrichen auch die beiden Medienbeiträge, die am Freitag mit dem Dietmar Heeg Medienpreis ausgezeichnet wurden.
In der Print-Reportage „Ein Kleid für Laura“ erzählt die Hamburger Journalistin Anne Klesse, warum Sandra und Christian Brunner „einzigNaht“ gegründet haben: ihre Tochter, die an einer seltenen Genkrankheit leidet, die sich in Kleinwüchsigkeit äußert. Weil es für sie keine schönen Kleider gab, setzte sich die Mutter selbst an die Nähmaschine. Der Beitrag wurde mit 4000 Euro belohnt.
Der zweite Beitrag stammt von der Münchener TV-Journalistin Dominique Klughammer. In ihrer Dokumentation „Die Chancen-Schneiderin“ porträtiert sie Sina Trinkwalder, die mit ihrer Textilfirma „Manomama“ Menschen eine Chance gibt, die auf dem klassischen Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können. Das Preisgeld beträgt 6000 Euro. tr
In ihrer Laudatio würdigte Wilkes` Stellvertreterin Kerstin Humberg den Preisträger als „Weichensteller und Hoffnungsgeber“. Wie Karl Kübel sei er ein Pionier in der sozialunternehmerisch geprägten Entwicklungszusammenarbeit. Besonders die Praxis, die Kredite fast ausschließlich an Frauen zu vergeben, sei überaus erfolgreich, weil die Mütter zuvorderst in die Gesundheit und Bildung ihrer Kinder investieren würden. Über 99 Prozent der Kredite werden zurückgezahlt.
„Er erhält den Preis für die Kraft seiner Ideen und für die Konsequenz, mit der er diese umsetzt“, sagte Humberg, die für die Stiftung eine „Brücke nach Bangladesch“ sei, so Matthias Wilkes in Bensheim. Die gelernte Journalistin hat sich in ihrer Doktorarbeit mit Chancen und Risiken der Armutsbekämpfung durch soziales Unternehmertum in Bangladesch auseinandergesetzt. „Er inspiriert Menschen zum Glauben an eine positive Zukunft“.
In seiner Dankesrede wurde deutlich, dass Muhammad Yunus sich nicht mit den Zuständen abfindet, sondern die Welt aus einer anderen Perspektive neu denkt. „Ich wurde über Nacht zum Kritiker meines eigenen Expertenwissens“, betonte er im Rex. Es habe ihn frustriert und verärgert, dass die Menschen auf der Straße starben, während er als promovierter Volkswirtschaftler über Kapitalismus redete. An Armut sei aber nicht der betroffene Mensch schuld – laut Yunus ist sie ein das Produkt eines Wirtschaftssystems, in dem das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr besitzt als die restlichen 99 Prozent. Es gehe um die Maximierung von Gewinnen und um ein durch persönliche Gier angetriebenes Profitstreben.
„Wir sollten uns aber als menschliche Wesen wiederentdecken, denn wir sind keine Geldmaschinen“, so der Mann, der für seine Arbeit unter anderen mit der Presidential Medal of Freedom 2009 von US-Präsident Barack Obama und mit dem Gandhi-Friedenspreis (2000) ausgezeichnet wurde. Den Karl-Kübel-Preis verstehe er– im Duktus der Pandemie – als eine „booster dose“, also eine Art „Auffrischungsimpfung“ und Motivation für seine weitere Arbeit. Dauerhafter Frieden könne nur erreicht werden, wenn große Bevölkerungsgruppen Wege finden, um aus der Armut auszubrechen, so der Appell des Friedensnobelpreisträgers.
Andere glücklich machen
Das Preisgeld kommt seiner Stiftung zugute, die soziale Unternehmen fördert, die nach dem Motto wirtschaften, andere glücklich zu machen, hieß es von Seiten der Gastgeber, die diese Haltung auch bei Sara und Sali Nuru erkennen. Die beiden Schwestern vertreiben seit sechs Jahren biologisch angebauten und fair gehandelten Kaffee aus Äthiopien – der Heimat ihrer Eltern – und unterstützen mit dem Erlös Frauenprojekte über den Verein „nuru Women“, der mit dem Preisgeld der Stiftung unterstützt werden soll. Auch ihr soziales Projekt bietet Mikrokredite, Trainings und Schulungen, die es Frauen ermöglichen sollen, eine selbstbestimmte Existenz aufzubauen. Sara Nuru wurde 2009 als Model durch einen Sieg in einer TV-Castingshow einem größeren Publikum bekannt. Sie engagiert sich unter anderem in der Stiftung „Menschen für Menschen“. Die fünf Monate alte Tochter von Sali Nuru war in Bensheim mit dabei – und demnächst wird auch die Schwester ihr erstes Baby bekommen.
Den Slogan „Social business is family business“ setzten die beiden Schwestern vorbildlich um, so Matthias Wilkes in der abschließenden Talkrunde, in der es um die Vereinbarkeit von Familie und sozialunternehmerischem Engagement ging. Es diskutierten Muhammad Yunus, Sara Nuru, Matthias Wilkes und Fabien Matthias, der ein soziales Start-up gegründet hat, bei dem es um das Recycling von Plastikmüll zur Verwendung als Straßenbelag geht. Dafür wurde er von der Stiftung mit dem „Fairwandler“-Preis 2021 ausgezeichnet. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Tobi Vorwerk. Es moderierte Julia Tzschätzsch vom Hessischen Rundfunk, die auch Mitglied der Jury war.
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