Bergstraße. Nun steht es gleich zweifach fest: Auf und am Gebäude des alten Rathauses siedeln Fledermäuse. Und zwar die europaweit unter strengem Artenschutz stehende Breitflügel-Fledermaus. Das allein ist eine gute Nachricht, denn die seltenen Tiere sind vom Aussterben bedroht. Für die Stadt Viernheim allerdings ist sie von besonderer Brisanz: Bekanntlich soll das alte Rathaus abgerissen und das Areal inklusive Parkplatz dahinter neu überplant werden. Wie Experten mehrfach bestätigten, lassen sich die Tiere nicht umsiedeln. Es zu versuchen, würde ihre Vernichtung bedeuten. Das heißt – zumindest Stand heute: Das Rathaus in der Innenstadt kann gar nicht abgerissen werden.
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Zuerst hatte der Lindenfelser Naturschützer und anerkannte Fledermaus-Experte Dirk Bernd diese Redaktion darüber informiert, am Rathaus siedle eine etwa 60 Tiere starke Kolonie dieser Art. Das war vor knapp zwei Jahren. Dirk Bernd war von dem Beschluss des Viernheimer Stadtparlaments alarmiert worden, das Rathaus solle abgerissen werden. Nach eigener Darstellung hatte er der Stadt seine Beratung angeboten, jedoch keine Reaktion darauf erhalten.
Teilabriss des ehemaligen Rathauses könnte die Lösung sein
Nach unserer umfangreichen Berichterstattung über den Sachverhalt beauftragte die Stadt die BHM Planungsgesellschaft (BHMP) in Bruchsal mit der Begutachtung des Gebäudes. Die Tiere fliegen nach der Winterruhe im Mai und Juni jeweils in der Abenddämmerung aus und sind dann zu erkennen.
Wildtier-Ökologin Julia Zarfl von BHMP bestätigte nun auf Anfrage dieser Redaktion die Darstellung von Dirk Bernd: Die Tiere leben tatsächlich dort, das haben BHMP-Mitarbeiter zweifelsfrei festgestellt. Es würden bis Ende Juli weitere Beobachtungen stattfinden und der Stadt dann das Ergebnis präsentiert werden. Wie Bernd sagt auch Zarfl, dass die Tiere nicht umgesiedelt werden können. Man werde aber an möglichen Lösungen arbeiten, um den Abriss eventuell doch zu ermöglichen. Dirk Bernd hatte im November 2022 gegenüber dieser Redaktion einen Teilabriss ins Spiel gebracht.
Der Fledermaus-Experte kommt seit Jahren nach Viernheim, um die Tiere zu zählen. So hat er die Kolonie auch vergangenes und dieses Jahr vorgefunden. Sie leben unter Metallverkleidungen auf dem Dach, zum Teil auch unter Fensterbänken. Bernd in unserem Interview von November 2022 auf die Frage, warum sich die Tiere nicht umsiedeln lassen: „Sie bleiben an Ort und Stelle in ihrer Wochenstube, wenn sie ihre Jungen bekommen. Das reicht von Frühsommer bis August. Im August spalten sich die Kolonien in kleine Gruppen auf, um andere Orte zum Winterschlaf aufzusuchen. Das sind oft Dachstühle oder Felsspalten.“
Solange es dieses Quartier gebe, kehrten die Tiere immer wieder dorthin zurück. Das sei eine richtige Tradition bei den Muttertieren, und die werde an die Jungtiere weitergegeben. Zerstöre man diese Wochenstuben, zerstöre man auch die komplette Kolonie. Die Tiere seien wegen ihrer großen Bedeutung für das Ökosystem so streng geschützt. Sie nähmen hier eine besondere Stellung ein, so Bernd weiter. Er höre immer wieder den Vorschlag, die Tiere in Kästen zu locken, um sie an anderer Stelle wieder freizulassen. Wenn die Tiere überhaupt in solche Kästen gingen, was sie nicht täten, würden sie nach der Freilassung orientierungslos verenden, erklärte Bernd.
Die Fledermäuse werden bis zu 20 Gramm schwer, Spannweite wie eine Amsel
Die Breitflügelfledermaus sei eine spaltenbewohnende Art, die bevorzugt an Gebäuden siedelt. Die Tiere seien zwischen 15 und 20 Gramm schwer und hätten eine Spannweite von rund 30 Zentimetern, ähnlich der einer Amsel. Man müsse jetzt gründlich erörtern, wie vorzugehen sei. Einen Teil des Gebäudes abzureißen und zwischen Oktober und März einen Neubau zu errichten, an dem die Tiere vergleichbare Gegebenheiten vorfänden, könne womöglich eine Option sein, erklärte Bernd.
Viernheims Erster Stadtrat und Baudezernent Jörg Scheidel erklärte auf Nachfrage, es gebe bislang nur den Befund. Alles Weitere werde besprochen, wenn BHMP ihre Begutachtung abgeschlossen und zu Papier gebracht habe. Indessen steht für den Fledermaus-Experten Dirk Bernd fest: „Im Status quo bekommt die Stadt jedenfalls keine Genehmigung für den Abriss.“
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