Bergstraße. Die sich in den letzten Jahren gerade bei privaten Anlegern etablierende Aktienkultur in Deutschland hält der schwierigen Marktlage stand. Das Interesse an einer langfristigen Vermögensbildung und aktienbasierten Anlageformen dauert an. Die Menschen lassen sich offenbar nicht mehr so schnell durch Börsenturbulenzen verunsichern und verstehen, dass kurzfristige Schwankungen am Aktienmarkt in der langfristigen Betrachtung wenig Relevanz haben.
Diese Entwicklung wird auch durch die jüngsten Marktbewegungen im Kontext mehrerer globaler Krisen nicht in Frage gestellt, wie eine aktuelle Umfrage vom Deutschen Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung zeigt.
Schwankungen und Kursverluste
Die Stimmung im Bensheimer Musiktheater Rex hat diesen Trend bestätigt. Dort waren am Donnerstag rund 160 Besucher zu Gast, um sich über die aktuelle Situation zweier börsennotierter Unternehmen aus erster Hand zu informieren.
Beim Wertpapierforum der Sparkasse Bensheim in Zusammenarbeit mit der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) waren bei der achten Ausgabe zwei der ganz großen Player vertreten, die auch noch eine räumliche Nähe aufweisen: BASF und SAP sind nicht nur in der Region geboren, sie arbeiten auch seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen zusammen.
Eine unterhaltsame und informative Dialogreihe
Das Format der Sparkasse bleibt eine spannende Dialogreihe, bei der erfahrene und potenzielle Anleger aus nächster Nähe die Ohren spitzen und kritische Fragen über die Perspektiven bei der Unternehmensentwicklung stellen können.
Mit der Resonanz auf die Rückkehr des Wertpapierforums nach zweijähriger Corona-Pause (die letzte Veranstaltung fand 2019 an gleicher Stelle statt) waren die Gastgeber überaus zufrieden, wie Vorstandsmitglied Birgit Kissel im Rex betonte, wo das Publikum diesmal eine völlig andere Performance erlebt hat: Es ging um Investor Relations, also um die Kommunikation des Unternehmens mit den Teilnehmern am Kapitalmarkt. Eine naturgemäß eher nüchterne Angelegenheit, die sich aufgrund der Bühnenqualitäten seiner Protagonisten aber als eine ebenso unterhaltsame wie informative Finanz-Show präsentierte.
„Wir möchten die Aktienkultur in Deutschland weiter verbessern“, so Birgit Kissel, die mit Andreas Schmidt aus dem Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger einen erfahrenen wie kritischen Moderator nach Bensheim eingeladen hatte. Die Anlegervereinigung hat das Ziel, die Rechte und Interessen der Minderheitsaktionäre zu stärken.
Beide betonten, dass die Auswahl keine offizielle Kaufempfehlung darstelle. Es gehe den Machern vor allem darum, einen genauen Blick auf die Geschäfts- und Börsenentwicklung von spannenden Unternehmen zu bieten, die mehr oder weniger auch in der Region verortet sein sollten.
Und wie das immer bei aktienbezogenen Veranstaltungen der Fall ist, wies man auch in Bensheim darauf hin, dass die zukunftsgerichteten Aussagen, die dort zu hören waren, allein auf den gegenwärtigen Einschätzungen und Prognosen basieren und nicht als Garantien zukünftiger Entwicklungen und Ergebnisse zu verstehen sind. Das Risiko gehört zum Aktienmarkt dazu.
Doch die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im November - recht unerwartet - deutlich verbessert. Mit den laufenden Geschäften sind die meisten Unternehmen zwar weniger zufrieden, doch der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate scheint sich zu mildern. tr
Im Jahr 2017 etwa wurde ein cloud-basiertes Kollaborationsnetzwerks gestartet. Beide Konzerne gehören traditionell zu den besten Pferden auf dem deutschen Aktienmarkt. Doch auch sie haben in der vergangenen Dekade mit enormen Schwankungen und Kursverlusten zu kämpfen.
Der BASF macht vor allem die Energiekrise zu schaffen. Der deutliche Anstieg der Erdgas- und Strompreise setzt die chemischen Wertschöpfungsketten unter Druck. Um diese Mehrkosten abzufedern, wurden bereits Preiserhöhungen umgesetzt, so Andrea Wentscher, IR-Managerin bei BASF SE und erste Ansprechpartnerin für Privatanleger.
Energieversorgung überdenken
„Als energieintensives Unternehmen der Chemieindustrie müssen wir Rohstoffbeschaffung und Energieversorgung neu denken“, sagte sie in Bensheim. Allein vier Prozent des deutschen Gasverbrauchs gehen auf das Konto der BASF am Standort Ludwigshafen. Neben einem strikten Sparkurs entwickle man derzeit strukturelle Maßnahmen, um den Produktionsverbund der BASF in Europa mittel- und langfristig an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Dadurch wolle das Unternehmen seine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sichern und seinen Erdgasverbrauch deutlich senken. Details über das strategische Update sollen voraussichtlich im ersten Quartal 2023 veröffentlicht werden.
Milliarden-Investition in China
Rosige Perspektiven verspricht sich die BASF auch in China. Das Land gilt als Wachstumstreiber des globalen Chemiemarktes. Vor Kurzem wurde am neuen Verbundstandort im südchinesischen Zhanjiang die erste Anlage fertiggestellt.
Dort werden jährlich 60 000 Tonnen technische Kunststoffe besonders für die Automobil- und Elektronikindustrie produziert werden. Der komplette Standort soll mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgt werden, bis 2025 will man zu 100 Prozent regenerativ sein. Bis 2030 investiert die BASF dort rund zehn Milliarden Euro. Damit handelt es sich um die größte Investition eines deutschen Unternehmens in China überhaupt.
Auch die Elektromobilität dürfte dem Konzern in die Hände spielen. Denn in einem E-Auto stecken zweieinhalbmal mehr Chemikalien als in einem konventionellen Verbrenner. Das Unternehmen fertigt unter anderem Kathodenmaterialien mit einer hohen Energiedichte für Lithium-Ionen-Batterien, so Andrea Wentscher, die im Rex auch die aktuellen Aktienrückkäufe angesprochen hat.
Diese Rückkäufe seien ein weiteres Instrument, um Wert für Aktionäre zu schaffen. Denn durch den Rückkauf eigener Aktien werde verfügbares Kapital an die Wertpapierbesitzer zurückgezahlt und gleichzeitig die Kapitalstruktur des Unternehmens optimiert. „Das ist nicht die erste Krise in unserer Unternehmensgeschichte“, so Wentscher über sinkende Gewinne und die andauernde Kostenbremse. Man werde die Delle überwinden und die energetische Transformation bewältige, so die Unternehmensvertreterin.
Umstellung des Geschäftsmodells
„Transformation ist unsere DNA“, betonte Johannes Buerkle, seit 2014 verantwortlich für die Betreuung und Entwicklung der Privatanleger sowie Chefredakteur des Aktionärsmagazins „SAP Investor“. Der Softwareriese mit Stammsitz in Walldorf ist das weltweit drittgrößte börsennotierte Softwareunternehmen. Man bewegt sich in einem weitaus schnelleren Marktumfeld mit einer noch massiveren Dynamik als die BASF. Europas größter Softwarekonzern kommt beim angepeilten Wachstum des Geschäfts mit sogenannter Cloudsoftware voran. Der Umsatz in diesem Segment soll bis 2025 auf bis zu 22 Milliarden Euro steigen. „Wir werden ab 2023 in eine starke Wachstumsphase eintreten“, so Buerkle, der nach massiven Investitionen von einer „Ernte“ spricht. „Der Wendepunkt für eine höhere Rendite ist damit erreicht.“
SAP komme mit der Umstellung des Geschäftsmodells schneller voran als erwartet, so der Insider. Im dritten Quartal wuchs das Geschäft mit Clouddiensten um 38 Prozent auf knapp 3,3 Milliarden Euro, währungsbereinigt um 25 Prozent. Durch die neuen Cloudkunden, die für die Produkte in der Regel monatliche Gebühren zahlen, hat der Anteil wiederkehrender Umsätze beim Softwarehersteller 80 Prozent erreicht - ein wichtiger Wert für die Börse.
Robustes Wachstum
Allerdings wirken sich die hohen Investitionen und die Umstellung des Geschäftsmodells negativ auf die Gewinnzahlen aus. Angesichts der makroökonomischen Probleme seien das Umsatzplus und die Verbesserung der Cloudmarge aber insgesamt sehr positiv zu bewerten, sagte Buerkle in Bensheim. Mit einem robusten Wachstum der Cloudgeschäfte will der Konzern weiterhin seine Anleger erfreuen. Erst Ende September hatte die Aktie mit gerade noch gut 80 Euro ein neues Fünfjahrestief erreicht. Die befürchtete Delle im chronisch problematischen dritten Quartal ist allerdings ausgeblieben. (tr)
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