Bergstraße. Wenn Sozialdezernentin und Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz zur Jahrespressekonferenz des Jobcenters Neue Wege einlädt, geht es in aller Regel um einen Blick auf die geleistete Arbeit und die gesellschaftliche Entwicklung, die sich in den Leistungen für die arbeitslosen und zu unterstützenden Menschen widerspiegelt. In diesem Jahr war das allerdings etwas anders, denn die Sozialdezernentin ist „fassungslos, erschüttert und zornig“ angesichts der Informationen aus Berlin.
Angesichts der zahlreichen angekündigten Mittelkürzungen war ihr eine neutrale Bewertung der Rahmenbedingungen, wie sie sonst üblich ist, nicht mehr möglich. „Es geht nicht ohne eine emotionalisierte Bewertung“, so Stolz.
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Die Kritik ist landauf und landab auch von den Sozialverbänden zu hören und auf kommunaler Ebene sei man diesbezüglich „sehr geschlossen“, machte die Sozialdezernentin im Beisein von Melanie Marysko, Leiterin des Eigenbetriebs Neue Wege, und ihrem Stellvertreter Peter Schmiedel deutlich.
Ihr Ärger entfacht sich an insgesamt drei Themenbereichen. Das Bürgergeld, in dem sie anfangs durchaus auch gute Ansätze sah, ist für sie mittlerweile eine „Mogelpackung“, bei der Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr zusammen passen. Die Mittel für Eingliederungshilfen seien gekürzt worden. Für 2024 seien bundesweit weitere Kürzungen geplant, was für die Bergstraße eine Reduzierung um etwa eine Million Euro bedeute. Diesen geringeren Finanzmitteln stünden deutlich gestiegene Bedarfsgemeinschaften (von Dezember 2021 bis Dezember 2022 um 561 Familien auf 6988), Inflation und Kostensteigerungen auch beim Jobcenter gegenüber.
Leistungsberechtigte wieder in Arbeit zu bringen
„Das geht gar nicht“, sagt Diana Stolz und das sei auch falsch gedacht. Maßnahmen, um Leistungsberechtigte wieder in Arbeit zu bringen, sei nicht nur humanitär, sondern vor allem auch wirtschaftlich wichtig, denn die Alternative sei der Leistungsbezug. Eingliederungsmaßnahmen seien zunächst durch das Coaching und die Übernahme des Gehaltes zwar teuer, aber es lohne sich. „Es muss erst Geld in die Hand genommen werden, um perspektivisch Geld zu sparen“.
Der Bund übertrage diese Aufgabe der kommunalen Ebene, reduziere aber die notwendige Unterstützung, was sich auch negativ auf die „hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" auswirke.
„Fachlich falsch“ ist für die Sozialdezernentin auch das Vorhaben, die Gruppe der unter 25-Jährigen aus dem Jobcenter rauszunehmen und der Agentur für Arbeit zuzuordnen. Damit falle diese Gruppe aus dem steuerfinanzierten SGB II-Bezug in die SGB III-Förderung durch die Arbeitslosenversicherung. Zwischen Dezember 2021 und Dezember 2022 hat sich die Gruppe der unter 25-jährigen von 67 auf 187 mehr als verdoppelt.
Das gesamte Bild mit der familiären Situation im Blick
Für die Sozialdezernentin ist dieser Wechsel besonders wegen der unterschiedlichen Herangehensweise von Jobcenter und Arbeitsagentur falsch. Während die Arbeitsagentur ihren Schwerpunkt bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen habe, worin sie auch sehr gut, habe das Jobcenter mit dem Ansatz des Förderns und Fordern das gesamte Bild mit der familiären Situation im Blick, die mit ein Grund für Vermittlungshemmnisse sei. Aus rein fiskalischen Gründen und ohne Not werde hier ein funktionierendes System mit guten Netzwerkstrukturen auf kommunaler Ebene zerschlagen.
Die praktischen Umsetzung des Bürgergeldes
Noch nicht endgültig beschlossen, aber mit einer negativen Ahnung belegt, ist für Stolz das Thema Kindergrundsicherung. Anstatt für diesen Bereich eine neue Behörde aufzubauen, solle man sich besser ehrlich machen. Denn die angebliche Zunahme der Kinderarmut sei allein dem Zuzug der Geflüchteten aus der Ukraine zuzuordnen. Durch sie sei der Anteil der unter 25-Jährigen von 22 Prozent Ende 2021 auf 55 Prozent Ende des vergangenen Jahres angestiegen. Ohne diesen Fluchtzuzug hätte es bei der Kinderarmut sogar eine leicht abfallende Tendenz gegeben.
Andererseits könnten Kinder nicht ohne Familie betrachtet werden, ist für die Sozialdezernentin eine Gesamtbetrachtung wichtig, die auch die Eltern in Arbeit bringt. Ein gutes Konstrukt habe man aktuell mit einem Viernheimer Projekt entwickelt, wo in Zusammenarbeit mit Kitas für das Thema Kinderarmut sensibilisiert wird. Generell seien die vielen Maßnahmenpakete zur Eingliederung und Förderung der Leistungsbezieher ohne die vielen kooperierenden Träger nicht möglich, mit denen die Zusammenarbeit sehr gut laufe, wie auch Melanie Marysko und Peter Schmiedel bestätigen.
Bezüglich der praktischen Umsetzung des Bürgergeldes zum 1. Juli habe der Kreis Bergstraße seine Aufgaben gemacht, zumal ja auch nicht alles am Bürgergeld zu kritisieren sei. Aber der Zustrom an Menschen, die auf die Leistungen des Jobcenters angewiesen seien, reiße nicht ab. Deswegen werde es angesichts der geplanten Mittelkürzungen auch eine gemeinsame Aktion aller hessischen Sozialdezernenten geben.
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