Bergstraße. Die Politik scheint dieser Tage verrückt zu spielen. Das Hin und Her von US-Präsident Donald Trump in Sachen Zölle, die erst angekündigt, dann abgeblasen werden, um dann abermals wieder avisiert zu werden, sorgen für Verunsicherung und Verluste auf dem amerikanischen Börsenparkett. Schon ist von einer Trump-Rezession die Rede, weil die US-Verbraucher angesichts des politischen Zoll-Tohuwabohu mit der Gefahr einer anziehenden Inflation ihr Geld zusammenhalten und weniger konsumieren.
Nicht weniger verwunderlich ist die Politik in Deutschland. Die einst auf liberale Wirtschaftspolitik stolze CDU wirft neuerdings mit Subventionen für Landwirte, Gastronomen, E-Auto-Fahrer, Pendler und Nahverkehr nur so um sich. Die vor der Wahl hochgelobte Schuldenbremse ist frei nach Konrad Adenauer „Geschwätz von gestern“. Solide Wirtschaftspolitik sieht anders aus. Sparen und Bürokratieabbau, scheinen schon ganz aus der Mode. Schulden sind in, und die kosten bekanntlich Geld, sprich Zins.
Kaum war das (bis auf die Verteidigung) bisher wenig sinn- und planvolle Geldausgeben bekannt, stiegen die Zinsen für Anleihen, was wiederum die bekannte Alternative zur Geldanlage in Aktien ist. Und höhere Zinsen veranlassen auch hierzulande Unternehmen und Privathaushalte (hier etwa Bauzinsen) ihr Geld zusammenzuhalten. An der Börse ist das schon deutlich abzulesen. Und so bleibt derzeit nichts verlässlicher als die täglichen (schlechten) Überraschungen aus der Politik.
Derzeit reagieren die Aktien der Region unterschiedlich auf die Geschehnisse. Hinzu kommen noch Brancheneinflüsse und hausgemachte Nöte. Unter dem Strich schnitt das Depot Bergstraße/Südhessen in den vergangenen vier Wochen mit einem Minus von zwei Prozent ab. Das Depot Rhein-Neckar verlor sieben Prozent, vor allem durch den Absturz der SAP-Aktie. Im Plus lag das Depot Rhein-Main mit drei Prozent. Hier legten vor allem die Aktien von Banken zu. Kein Wunder, wenn alle Schulden machen, sind das gute Geschäfte für Banken.
TE Connectivity leidet unter der E-Auto-Flaute
Im Depot Bergstraße/Südhessen verlor die Aktie des Elektrotechnikkonzerns TE Connectivity deutlich. Profitierte das Unternehmen im vergangenen Jahr noch vom E-Auto-Boom weltweit und meldete Rekordgewinne, leidet der Konzern nun unter der E-Auto-Flaute, ebenfalls weltweit. Am Standort Bensheim wurde für die meisten der rund 1250 Beschäftigten Kurzarbeit angemeldet. Eigentlich ein Mittel für Notlagen prompt wird in der Stadt über Mitnahmeeffekte spekuliert. TE stellt elektrische und elektronische Steckverbindungen her, die den Fluss von Daten, Strom und Signalen unter anderem in Autos steuern.
Ebenfalls bergab ging es mit dem Aktienkurs des anderen Schwergewichts an der Bergstraße, dem Dentaltechnikkonzern Dentsply Sirona. Der sieht aus Bensheimer Sicht zwar wieder besseren Zeiten entgegen. Doch der Gesamtkonzern musste kräftig Federn lassen. Im 2024er Geschäftsabschluss prangten tiefrote Zahlen von fast einer Milliarde Dollar. Größtenteils verursacht durch die Komplettabschreibung der Tochter Byte. Änderungen in der US-Gesetzgebung hatten negative Auswirkungen auf das Byte-Geschäftsmodell von Alignern (transparente Zahnschienen von Byte). Es folgte die freiwillige Einstellung von Verkauf und Auslieferung. Byte wurde abgewickelt.
Ebenfalls und erneut sank der Aktienkurs des Zwingenberger Biotechnologieunternehmens Brain. Wieder einmal hatte Brain kürzlich einen höheren Quartalsverlust gemeldet. Da half auch die neue Mittelfristprognose wenig. Der zufolge soll bis in fünf Jahren im Segment Biocatalysts ein Umsatz von 100 Millionen Euro (Vergleichswert des Geschäftsjahres 2022/2023: 55,3 Millionen Euro) erreicht werden. Die bereinigte Ebitda-Marge soll auf 15 Prozent steigen.
Einziger Lichtblick im Depot Bergstraße/Südhessen war Jungheinrich, dessen Aktienkurs seit Jahresbeginn um rund ein Viertel zulegte. Das Schlussquartal 2024 könnte den Tiefpunkt für den Auftragseingang des Logistikdienstleisters markieren, und er sei aufgrund erster, positiverer Äußerungen aus dem Industriegütersektor vorsichtig optimistisch für eine Nachfrageerholung ab der Jahresmitte, meint Analyst Alexander Hauenstein von der DZ Bank. Zu einem anderen Schluss kommt Peter Rothenaicher von der Baader Bank. Jungheinrich habe trotz erfüllter Erwartungen im vergangenen Jahr massive Kursverluste hinnehmen müssen. Aktien der Konkurrenz (Kion) hätten sich besser geschlagen. So erklärt er die Kurserholung von Jungheinrich.
Die SAP-Aktie leidet unter den Verlusten der US-Tech-Konzerne
Im Depot Rhein-Neckar legte die BASF-Aktie zuletzt kräftig zu. Virginie Boucher-Ferte von Deutsche Bank Research sieht die jüngste Nachrichtenlage um das deutsche Investitionspaket und einen möglichen Frieden und Wiederaufbau der Ukraine sehr positiv, auch wenn sie frühestes 2026 mit greifbaren Effekten rechnet. Georgina Fraser, Aktienanalystin der US-Investmentbank Goldman Sachs hob ihre BASF-Schätzungen für das kommende Jahr an und kappte die Investitionserwartungen. 2026 rechnet sie mit dem Durchbruch in der Barmittelentwicklung und hebt zudem das Portfoliopotenzial hervor. Unter anderem will der Konzern seine Agrochemiesparte an die Börse bringen.
Für Aktionäre des Softwarekonzerns SAP waren die letzten Wochen eine Zeit, die sie schon lange nicht mehr erlebt haben. Der Aktienkurs gab kräftig nach. Der Konzern litt kollateral sozusagen unter den Kursverlusten der großen Tech-Konzerne in den USA, wie Meta, Alphabet, Amazon und Apple. Nach einer langen Phase der Umbewertung, die zu historischen Extrema geführt hat, sieht Amin Kremser von der DZ Bank den SAP-Aktienkurs anfällig für eine ausgeprägte Korrektur. Insbesondere das US-Geschäft könnte 2025 durch die Trump-Politik eine Enttäuschung erfahren. Nay Soe Naing (Berenberg-Bank) sieht das anders. In der Software-Branche sei SAP ein sicherer Hafen. Der Übergang der Kunden zu Cloud-basierten Angeboten beschleunige sich.
Fresenius positioniert sich für strategische Expansion
Im Depot Rhein-Main haben die Aktienkurse von Deutscher Bank und Commerzbank kräftig zugelegt. Die jüngsten fiskalpolitischen Ankündigungen (Schulden) aus Deutschland und der Europäischen Union dürften die Ergebniserwartungen an Europas Banken steigen lassen, so Kian Abouhossein von JP Morgan. Dementsprechend hätten die Aktienkurse mit ihrem zu hohen Bewertungsabschlag zur US-Konkurrenz noch mehr Luft nach oben. Das beste Chance-Risiko-Verhältnis böten neben anderen die Deutsche Bank. Ebenfalls nach oben sprang der Aktienkurs der Commerzbank. Die Ziele der Bank für das laufende Jahr sollten erreichbar sein, meint Analyst Andreas Pläsier von Warburg Research. Die Zielsetzungen für 2028 seien zwar ambitioniert, aber vorstellbar. Und da ist ja noch der Übernahmeversuch der italienischen Unicredit, der den Kurs stürzt, wenngleich die Commerzbank mit hohen Ausschüttungen alles tut, um diesen zu verhindern. Unabhängig vom Ausgang des Übernahmepokers dürfte der Aktienkurs steigen. Entweder, weil die Commerzbank zu neuen Erfolgen finde oder weil die Übernahme den Preis treiben werde, heißt es bei Analysten.
Düstere Zeiten sieht Andrew Lobbenberg von der britischen Investmentbank Barclays auf die Lufthansa zukommen. Er befürchtet, „dass die goldene Gans gekocht wurde“. Und unterzog die europäischen Airlines einer Neubewertung mit Blick auf das wichtige Nordatlantikgeschäft. Die US-Arlines begründeten ihre jüngsten Gewinnwarnungen zwar mit dem Inlandsgeschäft. Lobbenberg befürchtet aber, dass dies weitere Kreise ziehen wird. Eine schwächere Verbraucher- und Geschäftsstimmung werde auch die vermögenden Kunden nicht unbeeindruckt lassen, die die Airlines mit ihrer Nachfrage durch die vergangenen beiden Jahre gebracht hätten.
Weiter aufwärts ging es mit der Aktie des Krankenhausbetreibers und Anbieters von Infusionstechnik Fresenius (Helios-Kliniken, Kabi). Mit organischem Wachstum an vorderster Stelle und einer sich bessernden Bilanz (Reduzierung des Anteils am Dialysespezialisten FMC) positioniere sich Fresenius für die nächste Phase seiner strategischen Expansion prognostiziert Analyst Christian Ehmann vom Analysehaus Warburg Research. Ins gleiche Horn stößt David Adlington von der US-Bank JP Morgan. Der Konzern mache kontinuierlich gute Fortschritte. Dies und Aufwärtspotenzial bei den Schätzungen rechtfertige eine deutlich höhere Bewertung des Unternehmens.
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen .
Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
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