Die kurze Kälteperiode der vergangenen Tage scheint allmählich vorüber zu sein. Kein Vergleich war sie jedoch mit dem, was sich wettermäßig vor 94 Jahren ereignet hat.
Anfang des Jahres 1929 nämlich bibberte ganz Europa unter einer Rekordkälte. Sogar in Italien sank die Temperatur auf minus 31 Grad; die Riviera lag unter einer dicken Schneedecke. Im bayerischen Wolnzach-Hüll wurde mit 37,8 Grad ein deutscher Kälterekord aufgestellt.
Die Auswirkungen waren auch in der hiesigen Region unübersehbar. Auf dem Rhein bildeten sich seit Januar Eisschollen, die allmählich zusammenwuchsen. Am 11. Februar 1929 wurde die Schifffahrt zwischen Bingen und Worms eingestellt. Am 13. Februar erreichte die Eisdecke Frankenthal, am 14. Februar auch Ludwigshafen-Mannheim.
Die Pfälzische Rundschau beschrieb seinerzeit in einem Artikel das Geschehen: „Unaufhörlich treiben große Schollen zu Tal. Die Rheinhäfen sind völlig zugefroren und tragen eine Eisdecke bis zu einer Stärke von 60 Zentimetern. Die Schifffahrt ruht.“
In der Neuen Mannheimer Zeitung war vom „Rhein im Eispanzer“ die Rede“, das Blatt berichtete von der „Kälte-Katastrophe“ und von „Frost und Erfrieren“. Am Fastnachtsdienstag, 12. Februar 1929, war demnach der Rhein bedeckt von einer „festen Eisdecke“, und zwar „Scholle an Scholle“, so dass man an einen „Schuppenpanzer“ erinnert werde.
„Kähne und Dampfer“ lägen eingefroren am Ufer und seien „vollständig vom Eise umgeben.“ Auch der Neckar liege in „Eisfesseln“, schrieb die Zeitung.
Zehn Tage Volksbelustigung
Zunächst hatten Tausende den starren Strom vom Ufer aus bestaunt. Dann begann eine zehn Tage währende Volksbelustigung. Die Reichsbahn setzte Sonderzüge ein. Entlang der frei getretenen Wege waren Buden aufgebaut, die Glühwein, Würstchen und Brezel anboten.
Die Neue Mannheimer Zeitung sprach von einer „wahren Völkerwanderung“. Fotografen stellten bei Minus-Graden ihre dreibeinigen hölzernen Stative auf. Auch Motorrad- und sogar einige der wenigen Autofahrer, die es damals gab, wagten sich aufs Eis.
Am 20. Februar 1929 warnten die Behörden, das Eis auf Rhein und Neckar– weiter zu betreten. Am 24. Februar wurde der gefrorenen Masse mit Dynamit endgültig der Garaus gemacht; die Fische, die unter der Eisdecke bislang überlebt hatten, schwammen nunmehr obenauf. Nachdem auch ein niederländischer Eisbrecher seine Arbeit verrichten konnte, kam auch der Handel mit Waren wieder in Schwung.
Doch so sehr die Menschen auf dem zugefrorenen Rhein die Gaudi genossen – der extrem harte Winter hatte auch Schattenseiten. Philipp Breitenreicher von der Zeitgeschichtlichen Sammlung im Marchivum Mannheim berichtet anhand alter Quellen von zahlreichen Wasserrohrbrüchen, eingefrorenen Wasserleitungen oder Toten durch Erfrieren.
Zum Schutz der Kinder bis 14 Jahre seien Sporthallen zu Wärmehallen umfunktioniert sowie den Bewohnern von Barackensiedlungen vom Fürsorgeamt „besondere Kohlenzuweisungen“ bewilligt worden.
Heute eher unwahrscheinlich
Seit 1929 war der Rhein noch einmal – 1954 – so gefroren, dass man ihn begehen konnte, allerdings nur zwischen Rüdesheim und Bingen. Ein komplettes Einfrieren des Flusses wird heutzutage immer unwahrscheinlicher.
Dies liegt weniger an den Außentemperaturen; diese würden zuweilen ausreichen, dass ein Gewässer zufriert, wie man an zugefrorenen Weihern sah und sieht. Entscheidend für ein ausbleibendes Zufrieren ist die Zufuhr „erwärmender“ Stoffe in den Rhein: von Kraftwerken entlang des Flusses und von den Bergwerken im Elsass, aber auch aus ganz normalen Kläranlagen.
Eisflächen zu betreten, ist heute – juristisch betrachtet – an vielen Stellen verboten und außerdem gefährlich. „Eis sendet Signale aus, auf die man hören sollte“, warnt deshalb die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) und rät: „Dunkle Stellen verraten, dass es noch viel zu dünn ist.“ Wer es unter seinen Füßen knistern hört, sollte sich demnach flach hinlegen und vorsichtig ans Ufer robben. tin/pwr
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