Biblis. Die Bundesregierung befeuert die Forschung für eine verheißungsvolle Technologie in Sachen Energiegewinnung. Gerade erst hat das Kabinett einen Aktionsplan beschlossen: „Deutschland auf dem Weg zum Fusionskraftwerk“ heißt das Projekt. Und eine entscheidende Rolle könnte dabei der ehemalige Kraftwerksstandort Biblis spielen. Zumindest für die hessische Landesregierung ist das nahezu alternativlos. Was genau geht da gerade in Biblis?
Was hat es mit dem Aktionsplan der Bundesregierung auf sich?
„Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, das erste Fusionskraftwerk der Welt in Deutschland zu errichten.“ Das bekräftigt ein Sprecher des Bundesforschungsministeriums. Dazu habe das Kabinett am 1. Oktober einen Aktionsplan beschlossen. In diesem Aktionsplan sind acht Maßnahmen aufgeführt. Es geht unter anderem um Fördergelder, den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, den Aufbau von Forschungseinrichtungen und die Ausbildung von Fachkräften. Dies alles soll dazu beitragen, die noch vorhandenen technologischen Hürden auf dem Weg zu einem kommerziell nutzbaren Kraftwerk zu überwinden.
Inwiefern kommt Biblis dabei ins Spiel?
Das kommt zum einen aus der Geschichte des Standorts. Hier stand eines der bedeutendsten Kernkraftwerke Deutschlands. Doch viel entscheidender: Es gibt bereits konkrete Pläne eines Start-up-Unternehmens namens Focused Energy zur Grundlagenforschung in dieser Technologie. Deshalb nimmt auch die hessische Landesregierung Biblis ins Visier. Ministerpräsident Boris Rhein hat bei einem Spitzentreffen in Biblis im Frühjahr die laserbasierte Kernfusion als „Schlüsseltechnologie für eine saubere und wirtschaftliche Energieversorgung“ bezeichnet. Biblis soll Leitstandort für diese Technologie werden. „Dafür sollen am Standort Biblis eine Demonstrationsanlage sowie später ein Kraftwerk gefördert werden“, heißt es aus der Wiesbadener Staatskanzlei.
Was sagt die Bundesregierung zu dem potenziellen südhessischen Standort?
Erst mal noch gar nichts. Die Fusionstechnologie befinde sich in einer Forschungs- und Entwicklungsphase, sagt ein Sprecher des Bundesforschungsministeriums. Erst einmal müssten kraftwerksrelevante Teiltechnologien entwickelt werden, die auch in einem kommerziellen Maßstab nutzbar seien. Dazu seien sogenannte Technologiedemonstratoren notwendig, also Anlagen, an denen Forscher die Technik mit Blick auf einen Dauerbetrieb testen können. Dazu gebe es Anforderungen an die potenziellen Standorte. Das werde in einem Vergabeverfahren untersucht. „Eine Vorabbewertung einzelner Standorte ist nicht möglich“, sagt das Forschungsministerium.
Wem gehört das Gelände und was plant der Eigentümer dort?
Eigentümer des ehemaligen Kraftwerksstandorts ist das Unternehmen RWE. Der Teil, auf dem die Zwischenlager für hoch-, mittel- und schwach radioaktive Abfälle aus dem Kraftwerksbetrieb stehen, gehört mittlerweile dem Bund. Gleichwohl geht es um eine potenziell entwickelbare Fläche von rund 100 Hektar, die per Straße, Schiene und das Stromnetz angeschlossen ist und sogar über einen eigenen Hafen am Rhein verfügt.
„Wir betrachten den Standort in einem Gesamtzusammenhang“, sagt ein RWE-Unternehmenssprecher. Das bedeutet, es gibt Ideen, aber noch wenig Konkretes. Weil auch der Landrat des Kreises Bergstraße, Christian Engelhardt, das Gelände als Gewerbefläche für nahezu einzigartig in Westdeutschland hält, hat er eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht. Für 150.000 Euro soll untersucht werden, was in dem „RWE-Industriepark“ entstehen könnte. RWE und die Gemeinde Biblis beteiligen sich mit jeweils 25.000 Euro an der Studie.
Was würde der Bergsträßer Landrat gerne dort entwickeln?
Aufgrund seiner Historie eigne sich das Gelände besonders für Unternehmens- und Forschungsansiedlungen aus dem Energiebereich. „Wir wollen es ermöglichen, dass der Standort langfristig mit hoher Wertigkeit nachgenutzt wird und ihn als Innovations- und Technologiestandort positionieren“, formuliert Christian Engelhardt.
Was will Focused Energy (FE) in Biblis erforschen?
Es handelt sich um ein Start-up-Unternehmen und eine Ausgründung aus der Technischen Universität Darmstadt. FE will in dem ehemaligen Notspeisegebäude sogenannte bildgebende Lasertechnologien (Laser Driven Radiation Sources) erforschen. Dies erlaubt einen zerstörungsfreien Blick in Brückenkonstruktionen, Schiffscontainer oder versiegelte Behälter hinein. Dieses funktioniert mit herkömmlichen Röntgenverfahren nicht. Beteiligt sind weitere Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer ILT, Photonis Germany und das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Die Anlage wird bereits aufgebaut.
Außerdem werde in Biblis der erste europäische Forschungs- und Innovationscampus als Flaggschiff für die Laserfusionsenergie entstehen, berichtet ein Sprecher. Der Campus werde strategisch darauf ausgerichtet, die Fusionstechnologie und den Kraftwerksbau durch programmatisch organisierte Spitzenforschung weiter zu bearbeiten, und das in Kooperation mit Politik und Gesellschaft, meldet FE. Das Unternehmen wurde 2021 gegründet und beschäftigt heute mehr als 100 Mitarbeiter.
Was ist Laserfusion eigentlich und wann könnte sie im kommerziellen Maßstab zur Verfügung stehen?
Laserfusion ist sozusagen das Gegenteil der Kernspaltung. Hier werden keine Atomkerne gespalten, sondern – sehr vereinfacht ausgedrückt – durch den Beschuss von hochenergetischen Laserstrahlen miteinander verbunden, fusioniert. Die Laserstrahlen beschießen zwei Millimeter dicke Kügelchen mit Wasserstoff-Kernen. Die verschmelzen miteinander und geben große Wärme ab, aus der sich Strom gewinnen lässt. Dabei entsteht radioaktives Tritium, wenn Neutronen an der Wand des Kessels einschlagen, in dem die Fusion stattfindet. Tritium hat nur eine Halbwertszeit von zwölf Jahren. Ein weiterer Vorteil: Die Außenhülle des Reaktors heizt sich so stark auf, dass sich zusätzlich grüner Wasserstoff in dem Verfahren herstellen lässt.
Über den Zeitpunkt einer kommerziellen Nutzbarkeit gehen die Prognosen indessen weit auseinander. Die Wissenschaft forscht seit Jahrzehnten an der Kernfusion. Und es ist tatsächlich erst einmal, nämlich 2022 im Labor gelungen, mehr Energie zu produzieren als durch den Laserbeschuss einzusetzen. Und dies auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, eine Pikosekunde. Gleichwohl geht das Bundesforschungsministerium davon aus, dass eine große Dynamik die Forschung nun schneller vorantreibt. Ein Kernfusionsreaktor könnte demnach ab den 2040er Jahren für den kommerziellen Gebrauch zur Verfügung stehen, schätzt das Ministerium. Ob sie am Ende auch wirtschaftlich sind, darüber gehen in der Forschung die Meinungen ebenfalls auseinander.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-ein-neues-kernkraftwerk-in-biblis-_arid,2334259.html