Bergstraße. Die Saison der Quartals- und Halbjahresberichte ist vorbei und bei vielen Unternehmen kann man schon sehen, wohin die Reise im zweiten Halbjahr gehen wird. Und um es mal so zu sagen: Die besten Monate des Jahres haben einige der börsennotierten Unternehmen womöglich schon hinter sich.
Die Großwetterlage an den Börsen zeigt sich wie das Sommerwetter derzeit auch – ziemlich uneinheitlich. Rückläufige Inflationsdaten aus den USA haben den Aktienmärkten zuletzt Auftrieb gegeben. Der nachlassende Preisdruck könnte auf ein absehbares Ende der Zinserhöhungen durch die Notenbank hindeuten. Berücksichtigt man die bislang gestiegenen Zinsen, dann haben die Bewertungen an den Märkten teils schon kritische Niveaus erreicht, vor allem US-Technologiewerte, wie Eduard Baitinger von Feri Investment Research erklärt. Kommt es hier zu einer Korrektur, dürfte das die Börsen generell belasten.
Im Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers legte das Depot Bergstraße/Südhessen zuletzt um rund vier Prozent zu. Was vor allem am kräftigen Kursanstieg der Aktie des Darmstädter Merck-Konzerns liegt. Der machte seinen Einbruch vom Juli fast wett. Das Depot Rhein-Neckar kam hingegen nicht von der Stelle und im Depot Rhein-Main haben Kursgewinne von Fraport und Fresenius ein Plus von fünf Prozent bewirkt.
Jahreshoch nicht gehalten
Trotz der jüngst reduzierten Jahresziele für die Life-Science-Sparte habe sich die Merck-Aktie überdurchschnittlich gut entwickelt, meint Analyst Brian Balchin vom Analysehaus Jefferies. Im kommenden Jahr sei eine Erholung zu erwarten. Ähnlich sieht das Emily Field von der britischen Investmentbank Barclays. Zwar werde sich das Halbleitergeschäft des Konzerns erst im kommenden Jahr erholen, das werde aber durch mehr Transparenz für die Sparte Life Sciences mehr als ausgeglichen. Hier dürfte es im kommenden Jahr sogar zu einer starken Erholung kommen.
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Die Aktie des Elektrotechnikkonzerns TE Connectivity mit seinem großen Standort in Bensheim hat ihr Jahreshoch nicht halten können. Es ging wieder bergab mit dem Kurs. Zwar läuft das (Bensheimer) Geschäft mit der Ausrüstung von Elektroautos hervorragend. Die beiden anderen großen Sparten Industrie und Kommunikation machen jedoch Sorgen und lasteten zuletzt auf den Quartalszahlen.
Jungheinrich als stabile Säule
Ebenfalls abwärts ging es mit dem Aktienkurs von Dentsply Sirona, dem größten Arbeitgeber an der Bergstraße. Die jüngsten Quartalszahlen spiegelten auch die angespannte Lage in Deutschland wider. Konzernweit gab es ein kleines Umsatzplus. Zwar stand unter dem Strich ein Gewinnplus, das aber nur durch einen Steuereffekt zustandekam. Operativ ging der Gewinn zurück.
Der Gabelstaplerhersteller Jungheinrich, ebenfalls mit einem Standort in Bensheim, erweist sich seit Jahresbeginn als stabile Säule des Depots Bergstraße/Südhessen. Und könnte das auch bleiben. Peter Rothenaicher von der Baader Bank weist darauf hin, dass die im Frühjahr erhöhte Gewinnprognose für 2023 sehr konservativ aussehe.
Das Sorgenkind des Depots bleibt die Aktie des Zwingenberger Biotechnologieunternehmens Brain. 30 Jahre nach der Gründung und sieben Jahre nach dem Börsengang ist das Unternehmen wirtschaftlich gesehen alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Aktionäre und Börsenanalysten warten noch immer auf schwarze Zahlen und damit den Beleg, dass die wissenschaftlich hochinteressanten Aktivitäten auch ein betriebswirtschaftliches Geschäftsmodell hergeben.
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen.
Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
Im Depot Rhein-Neckar hat sich die BASF-Aktie trotz gegenteiliger Analystenschätzungen recht gut gehalten. Und das auch nach schlechten Halbjahreszahlen und einer gekappten Jahresprognose. Die Nachfrage bleibe schwach und die Inflation hoch, meint Analyst Peter Spengler von der DZ Bank. Mengen und Preise seien rückläufig. Er erwarte kurzfristig keine Wertaufholung der BASF-Aktie. Und auch Geoff Haire von der Schweizer Großbank UBS ist skeptisch. Im Downstream-Geschäft stünden die Gewinne weiter unter Druck. Risiken und die niedrige Cashflow-Rendite hält er nicht für angemessen eingepreist.
Analysten sehen Potenzial bei SAP
Optimistischer sind die Börsenexperten beim Softwarekonzern SAP. Toby Org von der US-Bank JPMorgan glaubt, dass Wachstumsgeschichte des Segments S/4Hana intakt sei. Die Aktie der Walldorfer bleibt wegen ihres überdurchschnittlichen Kurspotenzials sein „Top Pick“ im Softwaresektor. Das sieht Knut Woller von der Baader Bank ähnlich. Im bisherigen Jahresverlauf habe die Lizenzentwicklung die Markterwartungen übertroffen. Der Migrationszyklus der Kunden hin zu Abomodellen weise eine solide Dynamik auf.
Der stabile Anker im Depot Rhein-Neckar ist die Aktie des Schmierstoffkonzerns Fuchs Petrolub. Und Anil Shenoy von der britischen Investmentbank Barclays sieht für den Ausblick sogar weiterhin Luft nach oben. Zumal schon das operative Ergebnis im zweiten Quartal die Erwartungen übertroffen haben, wie Oliver Schwarz vom Analysehaus Warburg Research ergänzt.
Das Depot Rhein-Main verdankt sein Plus der letzten Wochen vor allem dem Gesundheitskonzern Fresenius und dem Flughafenbetreiber Fraport. Operativ verbessere sich Fresenius unter dem neuen Management, so Analyst Falko Friedrichs von Deutsche Bank Research. Das gelte vor allem für das große und wichtige Segment Kabi (Infusionen). Auch scheine die Konzernführung mit Verkäufen aus dem Beteiligungsportfolio voranzukommen. Hassan Al-Wakeel von der britischen Investmentbank Barclays ist ebenfalls von Kabi und auch von Helios (Kliniken) angetan. Er hob seine Schätzungen für das operative Ergebnis an, das liege nun am oberen Ende der Unternehmenszielspanne und er sehe trotzdem weitere Aufwärtschancen.
Passagierplus zu erwarten
Die Fraport-Aktie legte jüngst kräftig zu. Die Gründe: In diesem Jahr könne das Betriebsergebnis am oberen Ende der Prognosespanne landen und damit die Rekordmarke von 2019 knacken, sagte Finanzvorstand Matthias Zieschang. Auch für 2024 gab er einen optimistischen Ausblick: Am größten deutschen Flughafen sei ein Passagierplus von zehn Prozent realistisch. Nach einem Anstieg um gut ein Fünftel auf rund 60 Millionen Menschen in diesem Jahr würden danach um die 65 Millionen Fluggäste 2024 in Frankfurt abfliegen oder ankommen und mit Einkaufen oder Restaurantbesuch den Umsatz des Betreibers ankurbeln. „Wir erwarten sehr gutes und solides Wachstum 2024“, sagte Zieschang. Das sehen nicht alle so. Graham Hunt vom Analysehaus Jefferies hält den deutlichen Kursanstieg für übertrieben und verwies auf die Risiken einer Konjunkturabschwächung in Europa und Asien.
Wenig Bewegung bei Banken
Wenig getan hat sich trotz höherer Zinsen und damit besserer Ertragsaussichten bei den Aktienkursen von Deutscher Bank und Commerzbank. Da nutzt es auch wenig, wenn Analysten Positives hervorheben. Mate Nemes von der Schweizer UBS erwähnt, dass die Deutsche Bank beim Investmentbanking der Deutschen Bank die Erwartungen übertroffen habe. Auch das harte Kernkapital habe positiv überrascht. Allerdings weisen einige seiner Kollegen auf ein mittlerweile jahrelanges Problem hin: die hohen Kosten. Kian Abouhossein von der US-Bank JPMorgan lobte in seiner ersten Reaktion zum Quartalsbericht der Commerzbank die Zinseinkünfte. Überzogene Erwartungen seien aber wohl teilweise noch höher gewesen.
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