Justiz - 2020 starben drei Menschen bei einem Unfall im Kreis Bad Dürkheim / Jetzt muss sich ein 29-Jähriger verantworten

Ein Bibliser steht nach einem Unfall mit drei Toten vor Gericht

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Agnes Polewka
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Die Staatsanwaltschaft hat Daniel M. wegen fahrlässiger Tötung und eines verbotenen Autorennens angeklagt. © Bernhard Zinke/ü

Frankenthal/Biblis. Im großen Sitzungssaal des Frankenthaler Landgerichts wird es ganz ganz still: Ein 30 Jahre alter Mann sitzt im Zeugenstand. Seine Stimme bricht ab, immer wieder atmet er tief durch. Schnauft. Er holt Luft. Und spricht weiter, das Gesicht schmerzverzerrt. Er erzählt, wie er am 19. September 2020 zwischen Weisenheim am Berg und Kirchheim im Kreis Bad Dürkheim sein Auto stoppte. Dichter, weißer Qualm sei über den Weinbergen aufgestiegen. Ein Unfall mit zwei Fahrzeugen. „Ich bin zu dem Kleinwagen gerannt“, sagt er. Er wollte helfen. „Ich habe versucht, die Menschen im Auto anzusprechen.“ Doch die Insassen reagierten nicht. Zwei Frauen und ein 15 Monate alter Junge. Ihr Tod wird später noch an der Unfallstelle festgestellt.

Im hinteren Teil des Wagens habe er dann ein Baby schreien gehört und die hintere Tür geöffnet. „Ich hatte Angst, es aus der Babyschale zu nehmen“, erinnert sich der Mann aus Grünstadt. Weil er das kleine Mädchen nicht verletzen wollte. Steffen Kirchners kleines Mädchen.

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Kirchner sitzt neben seinem Anwalt auf der Seite der Ankläger im Gerichtssaal, neben Oberstaatsanwalt Wolfgang Seifert. Er tritt als einer von drei Nebenklägern in dem Prozess auf, in dem der Unfall verhandelt wird, der sein ganzes Leben verändert hat. Bei dem seine Frau und sein Sohn sowie eine gute Freundin starben und den seine Tochter schwer verletzt überlebt hat. Der 35-Jährige trägt ein schwarzes Shirt mit einem Foto-Aufdruck. Darauf ist seine Tochter Nora Luna zu sehen. Vor dem Grab ihrer Mutter und ihres Bruders.

„Es ist schwer“

Zum ersten Mal begegnet Kirchner jetzt dem Mann, der für das, was passiert ist, verantwortlich sein soll: Daniel M. aus Biblis. Die Staatsanwaltschaft hat ihn wegen fahrlässiger Tötung und eines verbotenen Autorennens angeklagt. Sie wirft dem Mann, der mit einem Beifahrer unterwegs war, vor, seinen Jaguar XF im Sportmodus auf eine Geschwindigkeit von etwa 150 Stundenkilometern beschleunigt zu haben, in einer Rechtskurve sei er dann auf die linke Spur gedriftet – mit rund 120 km/h. Dabei soll er frontal mit dem Wagen zusammen gestoßen sein, in dem Kirchners Familie und die Freundin des Paares unterwegs waren.

Der Zeuge atmet durch, bevor er weiter die Unfallstelle beschreibt. Er erinnert sich, wie sein Blick zum Angeklagten wanderte, zu Daniel M. und seinem Beifahrer, etwa 50 bis 100 Meter entfernt. „Der Beifahrer hat laut geschrien, auf Knien hat er immer wieder auf den Boden geklopft und ,was ist da passiert’ gerufen.“ Der 29-jährige Jaguar-Fahrer habe versucht, seinen Freund zu beruhigen und sich dann an den Rand des Wingerts gesetzt.

Daniel M. hält seinen Blick gesenkt. Zu Beginn des Prozesses hat er eine Straßenverkehrsgefährdung und die fahrlässige Tötung der drei Unfallopfer eingeräumt – nicht aber den Vorwurf des illegalen Autorennens. Es ist das erste Mal seit dem Unfall im September 2020, dass er sich überhaupt geäußert hat.

Verschwommene Erinnerungen

Zunächst spricht er über sich selbst. Über die Mutter, die ihn und seine Brüder verlassen hat, als er noch ein Kind war. Über den Vater, bei dem er aufgewachsen ist. Über die Großeltern, die wichtige Bezugspersonen in seinem Leben gewesen sind. Über seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker bei der BASF, wo er bis heute arbeitet.

Mit 21 Jahren dann der Führerschein. Das erste Auto, ein gebrauchter Audi, das zweite, ein noch schnelleres Modell. Ein Unfall 2015, der mit Punkten in Flensburg und einer Geldstrafe geahndet wurde. Daniel M.s Antworten werden kürzer. Einsilbiger. Mehrere Male sei er geblitzt worden. Einmal fuhr er so schnell, dass er mit einem einmonatigen Fahrverbot belegt wurde. Dann der Jaguar.

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Während Daniel M. spricht, bleibt Steffen Kirchners Blick kurz an ihm hängen. Es ist ein harter Tag für den Hinterbliebenen. Vor dem Sitzungssaal scharen sich in jeder Pause Journalisten um den 35-Jährigen, bitten ihn um eine Einschätzung. Um ein Statement. Um Worte. Für etwas, für das Worte fehlen.

Daniel M. bezeichnet sich als „entspannten“ Autofahrer. „Ich weiß nicht, warum ich so schnell gefahren bin – gerade dann, gerade dort“, sagt der 29-Jährige, der am 19. September 2020 mit einem Freund ein Weingut in Weisenheim am Berg besuchte. Er habe nur verschwommene Erinnerungen an den Unfall. Daran, wie er aus dem Auto stieg, den Gurt seines Freundes löste, ihm aus dem Jaguar half. An die Menschen an der Unfallstelle, die Einsatzwagen.

Der Zeuge, der mit als Erster am Unfallort war, beschreibt, wie die vier Wochen alte Nora Luna aus dem Fahrzeug befreit wurde, er atmet tief durch. „Es ist schwer“, sagt die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt. Steffen Kirchner hat seine Arme eng um den Oberkörper geschlungen. Es ist schwer, aber er will an allen Prozesstagen dabei sein. Weil er „das einfach tun muss“, sagt er.

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