Bensheim. Bensheim. Mit nur wenigen Klicks können wir im Internet so gut wie alles bestellen oder buchen: Kleidung, Möbel, die perfekte Ferienwohnung für den Urlaub oder Unterhaltungspakete von Streamingdiensten. Mit ebenso wenigen Klicks ist schnell auf jedem dieser Portale ein Kundenkonto angelegt. Über soziale Medien stehen wir weltweit mit unseren Freunden und der Familie in Kontakt. Aber was passiert eigentlich mit all diesen Accounts, wenn wir tot sind?
Für die Hinterbliebenen ist es nicht einfach, Zugang zu allen Plattformen zu erhalten, auf denen die verstorbene Person angemeldet ist - geschweige denn, sie zu löschen oder in einen sogenannten Gedenkzustand zu versetzen. So kann es also passieren, dass man noch jahrelang Benachrichtigungen von Facebook und Co. am Geburtstag des Toten erhält, oder dass ein Streaminganbieter Angehörigen Rechnungen über weiterlaufende Abos zuschickt.
Der Bergsträßer Frederic Heigel ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Plattform „Userwill“, die sich genau dieser Problematik annimmt: „Wir nehmen Angehörigen die Last ab, im Todesfall Onlinekonten zu suchen und jedes Unternehmen einzeln per Online-Formular, E-Mail oder Post zu kontaktieren“, erklärte der 23-Jährige bei einem Vortrag, organisiert vom Hospizverein Bergstraße.
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Mit wenigen Klicks ist es möglich, die Onlinekonten, die nach dem Tod gelöscht oder in einen Gedenkstatus versetzt werden sollen, mit der App zu verknüpfen. So können sich Angehörige eine Menge Bürokratie und emotionale Belastung sparen. Das Projekt kommt an: Seit der Gründung 2020 haben Heigel und sein Team zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien erhalten, seit Kurzem sind sie offiziell für den diesjährigen Deutschen Engagementpreis nominiert.
Um zu verstehen, was genau Angehörigen und Sterbenden wichtig bei der Regelung des digitalen Nachlasses ist, knüpften die jungen Gründer von Anfang an Kontakte mit dem Hospizverein Bergstraße und führten Gespräche mit Sterbenden, deren Freunden und Familie und den Betreuern. Für Menschen, die im palliativen Bereich tätig sind, und Betroffene ist die Nutzung von „Userwill“ kostenlos. „Uns ist es wichtig - auch wenn wir mittlerweile von einem Verein zu einem Unternehmen gewachsen sind, in erster Linie den Menschen zu helfen, die in einer schweren Lebensphase sind.“
Bei seinem Vortrag gab Heigel auch unabhängig von der Plattform viele Tipps, wie man noch zu Lebzeiten seinen digitalen Nachlass regeln kann. Zunächst erklärte er, was überhaupt zum digitalen Nachlass gehört. „Im Prinzip alles, was in der Online-Welt passiert: Fotos und Dokumente, die in Clouds gespeichert sind, E-Mail-Konten oder Streamingdienste.“
Wenige Menschen kümmern sich um ihren digitalen Nachlass
Einer Umfrage des Vereins Bitcom e.V. zufolge haben 63 Prozent der Befragten nicht festgelegt, was nach ihrem Tod mit ihren Onlinekonten oder auch Geräten wie Handys passieren soll. Dabei wird das Thema immer wichtiger: denn immer mehr Menschen nutzen das Netz für immer mehr Dienstleistungen. „Das Thema Tod muss enttabuisiert werden, damit sich die Menschen ohne Angst damit befassen“, sagte Heigel. Mit dem Konzept von „Userwill“ möchten die Gründer auch viele junge Menschen erreichen. Denn: „Plattformen wie TikTok etwa informieren Nutzerinnen und Nutzer nicht über die Möglichkeit, ein Konto im Todesfall zu löschen.“
Wie belastend es sein kann, nicht an die Profile eines Verstorbenen heranzukommen, zeigt etwa ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 2018: Die Eltern eines jungen Mädchens, das Suizid begangen hatte, wollten anhand ihrer Chatnachrichten nachvollziehen, welche Beweggründe das Mädchen für ihre Entscheidung hatte. Das Urteil damals: Auch der digitale Nachlass geht an die Angehörigen über. Rechtlich ist die Sache also eigentlich klar.
Aber: „Erstens wissen die Angehörigen in vielen Fällen nicht, was der Verstorbene gewollt hätte, und zweitens ist oft unklar, wo derjenige überhaupt registriert war, sofern er die Daten nicht hinterlegt hat“, erklärte Heigel. Das alles herauszufinden könne einen großen emotionalen und zeitlichen Aufwand bedeuten. Als Beispiel führte er an, welche Schritte nötig sind, etwa ein Konto bei Amazon löschen zu lassen: Es genügt nicht, bei dem Unternehmen eine Sterbeurkunde einzureichen, weiter muss man noch nachweisen, dass man ein Angehöriger und dazu noch ein berechtigter Erbe ist - ähnlich sei es auch bei Facebook.
Lösungsansätze für mehr Klarheit
Was kann man nun also tun, um schon vor dem Tod Klarheit für seine Angehörigen zu schaffen? „Ganz wichtig ist die Kommunikation mit denjenigen, die im Ernstfall die Verantwortung für den digitalen Nachlass übertragen bekommen sollen. Man sollte sich in jedem Fall frühzeitig Gedanken darüber machen und in seinem Testament vermerken, wer sich darum kümmert“, empfahl Heigel. An diese Vertrauensperson könne man auch seine Daten weitergeben und bestimmte Wünsche absprechen. In manchen Sozialen Netzwerken, etwa bei Facebook, sei es auch möglich, einen sogenannten Nachlasskontakt zu hinterlegen, der auch nach dem Tod auf das Profil des Verstorbenen zugreifen kann.
Einen Passwortmanager nutzen
Als eine praktische Möglichkeit, seine Anmeldedaten zentral zu speichern, empfahl Heigel die Nutzung eines Passwortmanagers. „Damit ist an einer Stelle alles hinterlegt und mit einem Generalpasswort geschützt, das man einem Angehörigen anvertrauen kann.“ Ein Passwortmanager gewährleiste so zumindest eine einfachere Handhabe über die Accounts, der Aufwand, jeden einzeln löschen zu lassen, bleibe aber bestehen.
Eine Zuhörerin wollte an dieser Stelle wissen, ob es überhaupt nötig sei, jeden einzelnen Account zu löschen. „Manche Unternehmen löschen inaktive Konten mittlerweile nach einiger Zeit. Wenn es aber um Konten geht, die kostenpflichtig sind, ist es auf jeden Fall empfehlenswert, damit nicht am Ende die Angehörigen weiter finanziell belastet werden.“
Forderungen an die Politik
Heigel wies immer wieder darauf hin, dass auch die Plattformen hier den Nutzern gegenüber eine gewisse Verantwortung hätten. Leider gebe es aber auch im Jahr 2023 keine wirksamen politischen Instrumente, die die Unternehmen dazu verpflichten, Konten Verstorbener unkompliziert zu löschen. „Es braucht hier klare und einheitliche Lösungen und Gesetze, am besten europaweit“, forderte er. Bisher gehe jedes Land und jede Plattform anders mit dem Thema digitaler Nachlass um. „Jede Plattform sollte diese Möglichkeiten verpflichtend anbieten müssen.“
Um zu verdeutlichen, welche Bedeutung der digitale Nachlass bereits jetzt hat, fragte Heigel in die Runde, wie viele Accounts die Zuhörer haben: Bei wenigen waren es unter fünf, viele haben mehr als zehn und manche auch mehr als 20. Einige Gäste mussten zudem zugeben, selbst gar nicht genau zu wissen, wo überall sie registriert sind.
Der Referent beantwortete seinem Publikum viele Fragen über „Userwill“ - etwa zum Datenschutz: Die Plattform selbst speichert keine Anmeldedaten, sondern schafft lediglich eine Verknüpfung zu den hinterlegten Profilen. Zu Lebzeiten muss man in der App seine Identität verifizieren und eine postmortale Vollmacht unterschreiben.
Im Anschluss erhält man fünf Scheckkarten mit einem QR-Code, die man an ausgewählte Vertrauenspersonen weitergeben kann. Mit diesem Code, einem Ausweisdokument und der Sterbeurkunde kann man „Userwill“ dann in Kenntnis setzen und die Löschung der hinterlegten Konten veranlassen. „Wir werden zudem regelmäßig von den teilnehmenden Unternehmen überprüft.“ 27 Stück sind es mittlerweile an der Zahl.
Heigel und seinem Team ist bewusst, dass sie an einem sehr sensiblen Thema arbeiten. „Am Anfang war es schwer, Vertrauen bei den Leuten zu schaffen. Aber die steigenden Nutzerzahlen, die Unterstützung durch Stipendien und die vielen Auszeichnungen, die wir erhalten haben, bestärken uns in unserer Arbeit.“ ame
Weitere Informationen und Kontaktdaten gibt es unter: www.userwill.com
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