Bergstraße. An einem der heißesten Tage des Jahres stimmte GGEW-Vorstand Carsten Hoffmann gestern bei der Bilanzpressekonferenz auf einen harten Winter ein. Die Preise für Strom und Gas werden in den nächsten Monaten weiter steigen, kündigte er an. Für alle, nicht nur GGEW-Kunden. Und Hoffmann hatte für die Dimensionen ein anschauliches Beispiel parat. Die Energiekosten für einen Haushalt, der pro Jahr 4000 Kilowattstunden Strom und 25 000 Kilowattstunden Gas verbraucht, könnten von bisher rund 875 Euro auf etwa 2638 Euro zulegen, eine Verdreifachung.
„Energie sparen ist deshalb das Gebot der Stunde, denn kurz- und mittelfristig wird sich daran nichts ändern“, fürchtet Hoffmann. Basis seiner Rechnung sind die aktuellen Entwicklungen auf den Termin-Beschaffungsmärkten für Strom und Gas, die schlussendlich auch bei Privatkunden aller deutschen Energieversorger ankommen. Denn auf den Beschaffungsmärkten gibt es für die Preise nur eine Richtung: nach oben.
Von Anfang 2021 bis heute legten die Preise auf dem Gas-Spotmarkt mit Liefertermin 2023 von 15 auf 135 Euro je Megawattstunde zu, 770 Prozent. Auf dem Strommarkt war es eine Steigerung von 560 Prozent.
Investoren mischen am Markt mit
Während beim Gas die Liefereinschränkungen aus Russland die Hauptursache waren, gibt es beim Stromeinkauf nach Hoffmanns Angaben nicht nur fundamentale Gründe für die Anstiege. Neben dem Einsatz von Kohlekraftwerken und dem CO2-Preis gibt es „Kräfte auf dem Markt, die partizipieren“. Gemeint sind Finanzinvestoren, die mitmischen, ohne tatsächlich Strom kaufen oder verkaufen wollen.
Noch gelingt es nach Hoffmanns Angaben, dank der Einkaufsstrategie der GGEW, die Steigerungen der Beschaffungspreise in Richtung Privatkunde abzufedern. Man kaufe Gas und Strom in Tranchen ein. Für 95 Prozent Privatkunden sei der absehbare Bedarf von 2022 schon auf Termin beschafft. „Doch die übrigen fünf Prozent auf dem Spotmarkt kosten uns das fünf- bis siebenfache“, rechnete Hoffmann vor.
Die Preissteigerungen für die Privatkunden werden in mehreren Wellen kommen. Zunächst – wie von der Bundesregierung durch die Weitergabe höherer Beschaffungspreise an Endkunden beschlossen – bereits im September oder Oktober. Doch damit nicht genug. „Die große Welle kommt zum 1. Januar 2023“, kündigte GGEW-Vertriebsleiter Rainer Babylon an.
Derzeit liege die Zahl der GGEW-Kunden, die ihre Rechnung nicht zahlen können, im üblichen Rahmen von zwei bis drei Prozent, so Babylon. Sollte das steigen, werde das auch die Liquidität der GGEW belasten. Allerdings habe die Politik bereits Gegenmaßnahmen angekündigt – etwa mit Plänen zu einem höheren Wohngeld. Früheren Angaben zufolge hat die GGEW eine gut aufgestellte Eigenkapitalseite in der Bilanz, inklusive Risikopuffer.
Gewinn durch Wind und Sonne
Der Ansicht, dass die GGEW angesichts eines um rund ein Viertel gestiegenen Jahresgewinns im Geschäftsjahr 2021 von den höheren Energiepreisen profitiert hat, widersprach Hoffmann. „Wir sind da nicht ausufernd unterwegs“, stellte er klar. Zum höheren Gewinn haben einerseits die Wind- und Photovoltaikanlagen der GGEW beigetragen. Zum Anderen habe es im vergangenen Jahr keine Corona-Effekte – etwa die Schließung von Bädern – gegeben, wie im Jahr zuvor.
Den Trägerkommunen – die größte ist Bensheim – werden wie in den vergangenen Jahren auch drei Millionen Euro Dividende überwiesen. „Wir haben in stürmischen Zeiten erfolgreich gearbeitet und sind ein verlässlicher Dividendengeber für unsere Aktionäre. Derzeit fahren wir auf Sicht, wir wissen auch nicht genau, was noch auf uns zukommt“, so Hoffmann. Man stehe momentan im Spagat zwischen dem Krisenmanagement bei der Beschaffung von Strom und Gas und der Expansion bei erneuerbaren Energien, Glasfaser und Elektromobilität.
Wachstum mit Windenergie sei derzeit schwierig. Die sei zwar effektiver als Photovoltaik, allein: Es fehle an Projekten. „Wir machen Windprojekte, wenn uns Flächen zur Verfügung gestellt werden, solange machen wir Photovoltaik“, sagte Hoffmann. Eine neue Photovoltaikanlage ist in Bensheim geplant. Im Glasfasergeschäft wuchs die GGEW zuletzt in Lautertal. In der Sparte legte die Zahl der Kunden vergangenes Jahr um 16 Prozent zu. In den nächsten fünf Jahren sollen rund 30 Millionen Euro in den Glasfaserausbau investiert werden.
Bei Elektromobilität hält Hoffmann die Zahl der öffentlichen Ladepunkte in der Region für ausreichend. Das entspreche schon dem Niveau einer Großstadt. Nun stünden Angebote für private Haushalte und Firmen im Fokus. Denn dort stehen Autos häufig und könnten geladen werden. Die Expansionsfelder sollen perspektivisch das abnehmende Gasgeschäft ausgleichen.
Synergien mit Energieried
Zur Strategie gehöre aber auch externes Wachstum. So werde derzeit das Zusammengehen mit der Energieried geprüft. Der aktuelle Stand: Derzeit laufen die Bewertungen der Unternehmen und es gibt erste Überlegungen zu Standortverteilung und Synergien. Mitte September soll dann ein Plan den jeweiligen Aufsichtsräten präsentiert werden. Vorher will Hoffmann „keine Ergebnisse preisgeben“. Die gibt es allerdings schon bei der Übernahme einer Tiefbaufirma, dem Unternehmen Karl Sommer aus Biblis mit seinen sieben Mitarbeitern. Bei dieser Übernahme gehe es darum, die Wertschöpfungskette der GGEW zu verlängern, auch um die Glasfaserstrategie zu unterstützen und bei der Störungsbeseitigung zu helfen. „Die Kapazitäten auf dem Bau-Markt sind sehr gering“, fügte Hoffmann einen weiteren Grund an.
GGEW in Zahlen
Für das Geschäftsjahr 2021 meldet die GGEW:
Umsatz: 224,7 Millionen Euro (Vorjahr: 221,7 Millionen Euro)
Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen: 13,4 Millionen Euro (Vorjahr: 11,5 Millionen Euro)
Gewinn vor Zinsen und Steuern: 6,6 Millionen Euro (Vorjahr: 4,6 Millionen Euro)
Jahresüberschuss: 2,6 Millionen Euro (Vorjahr: 2,1 Millionen Euro)
Dividende: 3,0 Millionen Euro (unverändert)
Eine Dividende, die höher ist als der Gewinn, spricht üblicherweise dafür, dass aus der Substanz eines Unternehmens ausgeschüttet wird, sprich die Dividende nicht verdient wurde.
Bei der GGEW verhält es sich anders. Das Unternehmen erhält einen Verlustausgleich für die Schwimmbäder, der in die Rücklagen eingeht. Davon wurde für 2021 ein Teil für die Dividendenzahlung entnommen.
Die Substanz wurde hingegen weiter gestärkt, das Eigenkapital wuchs um 1,6 Millionen Euro.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-die-grosse-welle-der-preissteigerungen-von-strom-und-gas-kommt-zum-1-januar-2023-_arid,1977477.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html