Bergstraße. Herr Schepp, wie viele Jahre haben Sie im Forstbetrieb gearbeitet?
Ralf Schepp: Es sind 41 Dienstjahre. Zusammen mit Studium und Praktika sind es 45 Jahre.
Von Ihrem Beginn an bis heute – wie hat sich der Wald verändert?
Schepp: Wir können unterscheiden zwischen den Wäldern im hessischen Ried und denen im östlichen Teil, also die Wälder an der Bergstraße, im vorderen Odenwald. Das Forstamt betreut ja Wälder, die bis nach Fürth im Odenwald reichen. Der Wald im Ried hatte ja schon zu meinem Anfang 2002 deutlich gelitten unter der Grundwasserabsenkung. Die meisten Standorte hatten Grundwasseranschluss . . .
. . . Grundwasseranschluss heißt, die Wurzeln konnten das Grundwasser erreichen?
Schepp: Ganz genau. Es gibt einen waldökologischen Grundwasseranschluss, der besagt, die Wurzeln müssen zumindest zeitweise das Grundwasser erreichen können. Und das ist seit Anfang der 1970er Jahre nicht mehr der Fall gewesen. Mit allen Folgeerscheinungen: Ältere Bestände, die zuvor Anschluss hatten, starben teilweise großflächig ab. Und das zieht sich bis heute weiter.
Was war der Grund für die Grundwasserabsenkung?
Schepp: Die wichtigsten Wasserwerke hat man im Wald gebaut, und zwar schon seit Ende des 19. Jahrhunderts, wie etwa das Bürstädter Wasserwerk. Man hat ganz bewusst den Wald gewählt, einfach weil dort das Wasser eine deutlich bessere Qualität hat. Auf landwirtschaftlicher Fläche besteht immer die Gefahr des Nitrateintrags. Also war die Standortwahl schon sinnvoll. Jetzt haben wir die ganzen Werke im Wald, angefangen vom Käfertaler Wald, bis Gernsheim und Allmendfeld, und die ziehen alle Grundwasser. Und seit den 1960er Jahren ganz erheblich erhöhte Fördermengen.
Warum?
Schepp: Der Bedarf ist stark gestiegen, weil viele Siedlungen und Industriebetriebe gebaut wurden in dieser Zeit des Booms. Dazu kommt der Großraum Frankfurt, der mit riesigen Mengen hiesigen Wassers versorgt wurde und wird. Das führte zum Absinken des Grundwassers auf bis zu fünf Meter und mehr.
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Wenn Sie sagen bis zu fünf Meter – wo müsste das Wasser stehen, damit die Wurzeln es erreichen können?
Schepp: Bei höchstens drei Metren, optimal sind Stände zwischen einem und zwei Metern.
In jüngeren Jahren kam zu diesem Absaugen auch noch die Hitze dazu.
Schepp: Ja, das eine ist der steigende Verbrauch seit den 1960er Jahren. Das andere sind die klimatischen Veränderungen seit den 1990er Jahren, höhere Temperaturen im Durchschnitt, mehr Ereignisse mit Spitzenwerten, Trockenphasen, in denen es seit April drei Monate lang nicht geregnet hat. Ganz massiv sind diese Veränderungen seit 2003 zu beobachten.
Was ist zu tun, um den Wald wieder gesund zu machen – sofern Sie das überhaupt für möglich halten?
Schepp: Noch einen Schritt zurück: Als damals große Flächen abstarben, hat man den Wald wieder verjüngt. Entweder über Naturverjüngung wie bei den Kiefern am Bürstädter Wasserwerk, oder man hat künstlich wieder Kulturen geschaffen. Das war zum Beispiel im Jägersburger Wald so.
Was heiß Naturverjüngung?
Schepp: Ein Baum wirft in regelmäßigen Abständen seine Samen ab. Wenn also Eicheln herunterfallen und da genug Licht, Wasser und Nährstoffe sind, dann können sich Keimlinge entwickeln und auf Dauer alte Eichen ersetzen. Aber das funktioniert auch nur unter den zuvor genannten ökologischen Voraussetzungen.
Funktioniert Naturverjüngung denn überhaupt noch? Die ökologischen Voraussetzungen verschlechtern sich ja zusehends.
Schepp: Wenn Bestände sehr schnell und umfassend absterben, funktioniert es eben nicht. Und das beobachten wir seit den massiven Klimaveränderungen verstärkt. Wir sehen die natürlichen Waldgesellschaften immer seltener. Andere Pflanzen ersetzen sie.
Welche?
Schepp: Es sind invasive Arten, die oft standortfremd sind, und wegen der ökologischen Veränderungen große Vorteile haben. Da ist zum Beispiel die amerikanische Traubenkirsche, die gerade in Viernheim ganz massiv auftritt und eine sehr hohe Verjüngungspotenz besitzt.
Ist das gut, es sind doch auch Pflanzen?
Schepp: Zunächst mal sind sie besser als eine Versteppung, weil sie ein gewisses Waldklima erzeugen. Allerdings wird die Traubenkirsche über kurz oder lang die einzige Pflanze sein, und das eigentliche Standortpotenzial, das natürlicherweise hier vorkommt, hat keine Chance mehr. Das sind die Kiefern, Linden, Eichen, Birken, Buchen und Hainbuchen. Eine solche Monokultur kann nicht sinnvoll sein, weil viele Arten, Tiere und Pflanzen, mit den alten Wäldern in Gesellschaft leben. Das wäre dann alles vorbei.
Das Ende der vielbeschriebenen Biodiversität?
Schepp: So ist es, die geht den Bach runter. Das heißt, ich muss künstlich aufforsten, wenn ich die ursprüngliche Waldgesellschaft erhalten beziehungsweise wiederherstellen will.
Es heißt doch immer, man müsse den Wald mit standortfremden Hölzern aufforsten, die dem veränderten Klima gewachsen sind.
Schepp: Ja, das versuchen wir auch. Wir arbeiten aber im Wesentlichen immer noch mit den standortheimischen Arten, die wärmeresistenter sind, wie Kiefer oder Stileiche, die Hainbuche oder der Spitzahorn. Die Buche wird der Verlierer sein. Sie wird in der Rhein-Main-Ebene allmählich verschwinden, weil sie am meisten unter der Klimaveränderung leidet.
Nun haben Sie in Ihrer langen Dienstzeit drastische Veränderungen zum Schlechten beobachtet. Manche Ökologen sagen, der Wald sei nicht zu retten, weil der Klimawandel nicht aufzuhalten sei. Sehen Sie auch so schwarz?
Schepp: Es gibt die Klimaveränderung, und sie wird bleiben. Die Frage ist eben, ob es 1,5, zwei oder fünf Grad Erderwärmung in 100 Jahren sein werden. Wenn wir die zwei Grad schaffen, wird es zwar Veränderungen geben in der Zusammensetzung der Baumarten. Aber es wird wieder Wald etabliert werden können. Und Wald in unserem Sinne ist immer Hochwald, so wie wir ihn jetzt sehen. Er hat ein Innenklima, das merken wir, wenn wir etwa im Sommer hineingehen, es ist kühler, feuchter, angenehmer. Auch gesamtklimatisch ist der Hochwald besser. Wenn ich nur eine Heckenlandschaft habe, zum Beispiel mit dieser Traubenkirsche, erreiche ich nicht die Wirkung eines Hochwaldes.
Neu gepflanzte Bäume, auch wärmeresistentere, brauchen Wasser. Der Wasserversorger Riedgruppe Ost sagt, das Grundwasser stehe hoch genug, die Wurzeln könnten es erreichen.
Schepp: Das sehen wir nicht so. Die Wasserwerke in Hessen arbeiten nach dem Grundwasserbewirtschaftungsplan. Der ist grundsätzlich schon sinnvoll. Er sagt aber, der Grundwasserpegel darf nicht tiefer als sechs Meter gehen und nicht höher – und das ist der Punkt – als drei Meter. So soll die Fördermenge von rund 100 Millionen Kubikmetern pro Jahr, die man aus dem hessischen Ried zieht, gewährleistet werden. Damit man nicht zu tief sinkt, wurde die Rheinwasserinfiltration eingerichtet. Alles dient dem Ziel, die Fördermengen zu erreichen – und nicht dem Ziel, Bäume mit Grundwasser zu versorgen. Und um Vernässungsschäden in Landwirtschaft und Bebauung zu vermeiden, darf der Pegel drei Meter nicht übersteigen. Drei Meter sind aber zu tief für einen Baum. Der Plan hat nichts mit Waldstabilisierung zu tun.
Kritiker der Forstbewirtschaftung sagen, man solle den Wald komplett sich selbst überlassen.
Schepp: Stimmt, aber das ist eine sehr hilflose Herangehensweise. Das haben wir doch bereits ausprobiert – am Ende nur noch Traubenkirsche und kein Hochwald mehr. Aber wir in einem Ballungsraum mit 400 Menschen pro Quadratkilometer brauchen den Hochwald mit all seinen Schutz- und Erholungsfunktionen. Der Wald hat wichtige Funktionen, wie wir alle wissen. Und deshalb ist es wichtig, dass man ihm hilft. Wir müssen dem Wald helfen, ihn päppeln. Die Natur ist emotionslos und hat keinen Zeitbegriff. Den Wald zu stabilisieren und auf die Klimaveränderung vorzubereiten, dient allein uns Menschen. /sm
Über Ralf Schepp
- Der ehemalige Leiter des Bergsträßer Forstamts in Lampertheim ist 65 Jahre alt.
- Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ralf Schepp lebt in Rimbach und stammt aus Lampertheim.
- Der Diplom-Forstwirt hat in Freiburg studiert.
- Schepp blickt zu Beginn seines Ruhestands auf 41 Dienstjahre zurück. Unser Gesprächspartner ist leidenschaftlicher Jäger. mas/sm
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