Hausmacher Wurstplatten, Apfelwein, Kochkäse und Bratwurst gehören zum Odenwald wie die Juhöhe oder die Tromm. Doch immer mehr Gastwirte, die diese deftigen Spezialitäten anbieten, verkürzen ihre Öffnungszeiten oder geben sogar ganz auf, weil sie kein Personal mehr finden. Und die nächste Generation hat sowieso meistens andere Pläne für ihre Zukunft, als fast jeden Abend und sämtliche Wochenenden im Gasthaus zu arbeiten.
Das Gaststättensterben hat längst begonnen, nicht nur im Odenwald, sondern auch in den kleineren Gemeinden an der Bergstraße. So schloss zum Beispiel 2017 in Laudenbach die letzte von einstmals vier Traditionsgaststätten ihre Pforten.
Es sind vor allem die klassischen deutschen Gasthäuser, denen die Luft ausgeht. Offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht. Denn das Statistische Landesamt Hessen unterscheidet nicht nach der Art der Küche; auch der Begriff „ländlicher Raum“ ist kein statistisches Kriterium.
Dennoch: Im Kreis Bergstraße ist nach Angaben des Landesamtes die Zahl der kleinen Betriebe im Gastgewerbe (null bis neun Beschäftigte) seit Jahren rückläufig: Waren es im Jahr 2006 noch 942 Betriebe, so sank die Zahl bis 2015 auf 840. Ein Rückgang von knapp elf Prozent. Im Odenwaldkreis betrug der Rückgang in diesem Zeitraum sogar mehr als 16 Prozent.
Ländlicher Raum stark betroffen
Der Hotel- und Gastronomieverband (Dehoga) Hessen ist davon überzeugt, dass die Zahl der einheimischen Gastronomiebetriebe, die im ländlichen Raum geschlossen wurden, sogar noch deutlich größer ist. Seit 2015 sei deren Zahl von 1800 auf 1100 zurückgegangen, so eine Schätzung des Verbandes. Das wäre ein Minus von knapp 39 Prozent in drei Jahren.
Die Geschäftsführerin der Dehoga-Geschäftsstelle Südhessen, Christine Friedrich, verweist zudem auf eine aktuelle Umfrage ihres Verbandes, wonach „mehr als die Hälfte der Betriebe in den vergangenen zwei Jahren die Öffnungszeiten reduzieren musste, und rund ein Drittel die Anzahl der Ruhetage erhöhte“.
Beides trifft zum Beispiel auf das Gasthaus „Zum Talhof“ im Rimbacher Ortsteil Albersbach zu, das es seit mehr als 100 Jahren gibt. Ursula und Rainer Schaab wissen sich nicht mehr anders zu helfen: „Seit etwa fünf Jahren haben wir massive Probleme, Personal zu finden“, berichtet Rainer Schaab, der vor 35 Jahren das Lokal von seiner Mutter übernommen hat. „Früher haben wir zum Beispiel für den Service noch Abiturientinnen gefunden, die das als Nebenjob gemacht haben. Das ist heute fast undenkbar.“ Und Ursula Schaab fügt hinzu: „Heutzutage bekommen die meisten Jugendlichen von ihren Eltern doch fast jeden Wunsch erfüllt, da muss keiner mehr jobben gehen, sondern macht lieber nach der Schule gleich eine Weltreise. So ändern sich die Zeiten.“
Strenge Arbeitszeitregeln
Vor drei Jahren hätten sie deshalb notgedrungen einen zusätzlichen Ruhetag eingeführt, und Anfang Dezember 2018 wurden die Öffnungszeiten nochmals reduziert, was nach Auskunft der beiden Gastronomen auch mit den strengen Arbeitszeitregeln zusammenhängt. Seither ist das Lokal in dem kleinen Dorf Albersbach nur noch donnerstags und samstags von 12 bis 22 Uhr, freitags von 17 bis 22 Uhr und sonntags von 11.30 bis 14.30 Uhr geöffnet.
Christine Friedrich erläutert, was es damit auf sich hat: „Die tägliche Höchstarbeitszeit von regelmäßig acht, im Ausnahmefall maximal zehn Stunden ist in der Gastronomie nicht mehr zeitgemäß. Unsere Branche ist geprägt von großen Nachfrageschwankungen, aber auch von Veranstaltungen, die länger dauern oder später anfangen als ursprünglich geplant.“ Hier sei der Dehoga auf allen politischen Ebenen aktiv, um eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes zu erreichen. Eine Höchstarbeitszeit von maximal zwölf Stunden würde vielen Betrieben sehr helfen und wahrscheinlich sogar zu mehr Festanstellungen führen, ist die Dehoga-Geschäftsführerin überzeugt und verweist dazu auf ein Papier ihres Verbandes vom Frühjahr. Darin heißt es: „Die Sommer-Überstunde ist der beste Schutz gegen die Winter-Arbeitslosigkeit.“
Die Hoffnung, dass die Politik die richtigen Weichen stellt, haben Ursula und Rainer Schaab vom „Talhof“ allerdings schon fast aufgegeben. Denn in den vergangenen Jahren hätten sich die Rahmenbedingungen eigentlich immer verschlechtert.
Kein Nachfolger in Sicht
„Meine Frau sitzt fast nur noch im Büro, um den ganzen Papierkram zu erledigen“, redet sich der 64-Jährige in Rage und verweist auf die Dokumentationspflicht der Temperatur in den Kühlräumen, die minuziöse Arbeitszeiterfassung oder den Nachweis, was und wann geputzt worden ist. „Das können kleine Betriebe doch gar nicht leisten, was da gefordert wird.“ Ein paar Jahre werde er trotzdem noch weitermachen, sagt Rainer Schaab. „Aber mit 70 will ich auch nicht mehr in der Küche stehen.“ Ein Nachfolger ist allerdings nicht in Sicht. Denn sein Sohn will den Betrieb nicht übernehmen, was der Vater gut nachvollziehen kann. Und einen externen Nachfolger zu finden, der den „Talhof“ weiterführt, hält Rainer Schaab für ein aussichtsloses Unterfangen: „Die Odenwälder Bauernwirtschaften sterben aus, so schade das auch ist.“
Diese Einschätzung teilen viele seiner Kollegen, auch wenn es durchaus positive Gegenbeispiele gibt: So feierte das Gasthaus „Zum Gorxheimer Tal“ dieses Jahr sein 175-jähriges Bestehen; und die sechste Generation hat mit Nicole Krause bereits das Zepter übernommen.
Aber solche Erfolgsgeschichten werden zunehmend die Ausnahme. „Das Gaststättensterben im Odenwald wird sich noch beschleunigen“, befürchtet eine Gastronomin aus dem Weschnitztal, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Immer weniger Menschen seien bereit, abends und an den Wochenenden zu arbeiten. Deshalb ist sie davon überzeugt: „Die deutschen Gasthäuser werden das gleiche Schicksal erleiden wie viele Metzgereien und Bäckereien.“
An Nachfrage fehlt es nicht
Dabei fehlt es nicht an der Nachfrage der Gäste. Die Eröffnung der Draisinenbahn habe die Zahl der Touristen sogar in den vergangenen Jahren spürbar erhöht. Schließlich gehöre zu einem gelungenen Tagesausflug in den Odenwald auch die regionale Küche. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn es immer weniger Odenwälder Gasthäuser gibt, dürfte das früher oder später auch negative Auswirkungen auf den Tourismus haben.
Allerdings seien die Gäste heutzutage anspruchsvoller und ungeduldiger als früher, hat die Gastronomin festgestellt. Hinzu komme, dass viele eine „Geiz-ist-geil-Mentalität“ an den Tag legen. „Früher war es zum Beispiel selbstverständlich, dass Gäste fünf bis zehn Prozent der Rechnung als Trinkgeld gegeben haben. Heutzutage ist das fast schon die Ausnahme.“ Aber auch die Unsitte, einen Tisch zu reservieren und dann einfach nicht zu kommen, sei immer häufiger zu beobachten. Das alles sind nachvollziehbare Gründe, warum viele Gastwirte irgendwann das Handtuch werfen.
Ein Teufelskreis
Aber es gibt darüber hinaus hausgemachte Probleme der Branche – das weiß auch Dehoga-Geschäftsführerin Christine Friedrich: Viele Betriebsinhaber seien wegen der Personalknappheit selbst so stark ins Tagesgeschäft eingebunden, dass für strategische Überlegungen zu wenig Zeit geblieben sei. Damit sei ein Teufelskreis in Gang gesetzt worden: Wer nicht regelmäßig seine Preisgestaltung oder sein Angebot – zum Beispiel um einen Lieferservice oder Take-away – anpasst, dem fehle das Geld für notwendige Rücklagen. Wer deshalb seinen Betrieb nicht modernisieren kann, habe später wegen des Investitionsstaus kaum Chancen, einen Nachfolger zu finden. Die Schließung aus Altersgründen sei dann oft die unausweichliche Folge.
Schon 2015 stellte zum Beispiel die Zukunftsoffensive Überwald fest, dass in den sieben Jahren zuvor 24 Restaurants und Gaststätten im Überwald schlossen, aber nur sieben von einem neuen Betreiber wieder eröffnet wurden. Es ist ein Trend, der sich wohl nicht aufhalten lässt, auch wenn damit ein Stück Heimat verloren geht. /ü
„Gleiche Steuern fürs Essen
Um die Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner Wirtshäuser zu stärken, fordert der Hotel- und Gastronomieverband eine Änderung der Steuergesetze mit dem Slogan „Gleiche Steuern fürs Essen“.
Bislang ist es nämlich so, dass beim Essen im Lokal 19 Prozent Mehrwertsteuer (MwSt) fällig werden, beim Essen im Stehen oder zum Mitnehmen aber nur 7 Prozent.
Skurril wird es beim Partyservice: Beim Catering mit Porzellangeschirr werden 19 Prozent, mit Einweggeschirr nur 7 Prozent fällig.
Gerne als Beispiel genannt wird auch die Tomatensuppe: Die Tütensuppe aus dem Supermarkt wird mit 7 Prozent besteuert, die frisch zubereitete Suppe im Restaurant mit 19 Prozent.
Die Forderung des Dehoga: Der reduzierte MwSt-Satz soll unabhängig von der Art der Zubereitung und des Verzehrortes gelten. pro/ü
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