Aussteiger - Marc Freukes hat wie vereinbart seine Jurte im Wald bei Hammelbach abgebaut / Jetzt lebt er im Bauwagen und wartet ab

Der Tipianer fühlt sich behandelt „wie der Staatsfeind Nummer 1“

Von 
Nadine Kunzig
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Hammelbach. Tyrannisiert und auf die Straße gesetzt: Marc Freukes, der Odenwald-Tipianer, fühlt sich nicht nur ungerecht behandelt, sondern auch als Staatsfeind Nummer 1. Nach sieben Jahren im Wald und im Alter von 46 Jahren wohnt er mittlerweile in einem Bauwagen auf 7,5 Quadratmetern.

Aufgrund einer Anzeige musste er seine 18 Quadratmeter große Jurte bis Ende Oktober abbauen. Dem kam er nach. Auf dem Waldgrundstück in Hammelbach steht nur noch das Fundament seines einstigen Heimes sowie das selbst gebaute Toilettenhäuschen. „Er hat, wie abgemacht, die Voraussetzungen geschaffen, dass er dort nicht mehr übernachten kann“, erklärt Karsten Krug, Baudezernent des Kreises Bergstraße, auf Nachfrage.

Einen Standort für seine Jurte hat Freukes noch nicht gefunden. Ins Auge fasste er – statt dem abgesprochenen Gelände im Bergtierpark in Fürth – ein Grundstück in einem Litzelbacher Steinbruch. Dieser wird im Rahmen des Förderprogrammes „Nationale Projekte des Städtebaus“ touristisch erschlossen, der Bebauungsplan ist rechtskräftig.

„Er würde unserer Meinung nach eine Jurte zulassen“, sagt Grasellenbachs Bürgermeister Markus Röth. Denn im Steinbruch seien auch Schutzhütten für den Steinbruchbetrieb erbaut worden.

Keine Übernachtungserlaubnis

Eine Jurte könne sozusagen als Veranschaulichungsobjekt für Marc Freukes’ Lebensweise dienen. Das sei laut Röth aber nur möglich, wenn der Odenwald-Tipianer dort nicht wohnt oder geschweige denn übernachtet.

Röth und Freukes haben zwischenzeitlich an einem Entwurf gearbeitet, damit die Jurte im Steinbruch aufgestellt werden kann. „Dieser liegt der Kommunalaufsicht seit der vergangenen Woche vor“, gibt Röth bekannt. „Wir hoffen, dass die rechtliche Einschätzung des Landratsamtes noch in diesem Jahr erfolgt“, sagt Röth. Dezernent Krug beteuert, dass das Bauamt gewillt sei, eine legale Möglichkeit für Freukes’ Jurte zu schaffen.

Daran glaubt der Odenwald-Tipianer nicht so recht. Er versteht den Aufwand nicht, der um seine alternative Art zu wohnen gemacht wird. Deswegen hat er einen 17-seitigen Brief aufgesetzt, in dem er seine Geschichte niedergeschrieben hat – mit Fragen an die Politik, der Vorgehensweise des Bauamtes, den Hintergründen, seinem Bekenntnis und seiner abschließenden Betrachtung. Der Grund? „Ich möchte verhindern, dass zukünftig Menschen in ähnlichen Lebenskrisen solchen Torturen unterzogen werden, wie ich sie erleben musste“, schreibt er darin.

Die angekündigte Zwangsräumung vom 20. August (wir berichteten) vergleicht er mit der Vertreibung und Umsiedlung der Ureinwohner Amerikas. Die Vorgehensweise des Amts begründet Freukes damit, dass mit allen Mitteln versucht werde, „eine freie, günstige und nachhaltige Lebensweise zu verhindern. Man könnte den Eindruck bekommen, als wäre ich zum Staatsfeind Nummer 1 mutiert“.

Er unterstellt, dass selbst bei den Mitarbeitern des Bauamts Skrupel gegen dieses Vorgehen vorlagen. „Aber wo kommen wir hin, wenn wir unsere eigene innere Moral angehen, unsere eigene Menschlichkeit?“, fragt der Odenwald-Tipianer. Letztere sei im deutschen Baurecht nicht verankert.

Verzicht auf Hartz IV

„Während ich noch vor wenigen Monaten ein sicheres zu Hause hatte, ist nun meine Zukunft gefährdet. Ob die Jurte überhaupt im Steinbruch für Übernachtungen stehen darf, ist unsicher.“

Und auch seine aktuelle Behausung sei nicht das Wahre. „Ich muss auf Strom verzichten, da die Installation einer Solaranlage zu viel Aufsehen erregen und wieder zu einer Anzeige führen könnte. Schließlich ist auch das Bewohnen eines Bauwagens illegal“, ist ihm bewusst.

Er fühlt sich wie ein Schwerverbrecher. „Hat die Welt nicht schon schlimmeren Terror erlebt, als der, der von einem Mann ausgeht, der auf Hartz IV verzichtet und friedlich auf 18 Quadratmetern im Wald lebt? Von wem geht der Terror aus?“

„Lebensqualität geraubt“

Schließlich lebe er friedlich im Wald, verschwende keine Ressourcen und tue niemandem etwas. Er habe keinem etwas weggenommen. „Ganz im Gegenteil. Die Gemeinde Grasellenbach profitiert touristisch von meiner Medienpräsenz, ich habe eine nachhaltige Lebensweise gefunden. Gegen mich wird wegen einer Lappalie in unangemessener Weise behördlich vorgegangen. Ich wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt, bekam Strafzahlungen auferlegt. Während der Verfahrensdauer von drei Jahren wurden mir die Lebensqualität geraubt und erheblicher psychischer Stress zugefügt.“ Deswegen erwartet er neben der Rückerstattung der Zwangsgelder eine Zuweisung auf ein Grundstück von 100 Quadratmetern bis spätestens Ende Februar 2021, das im Umkreis von höchstens vier Kilometern von Hammelbach liegt. Auf dem Grundstück möchte er in seiner Jurte sowohl wohnen „als auch in Frieden arbeiten“.

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Hintergründe

Marc Freukes, der sich selbst als Waldmensch bezeichnet, arbeitete bis 2013 als Golflehrer.

Nach einem Burn-out und Depressionen zog er Anfang 2014 auf ein Waldgrundstück bei Hammelbach und baute sich dort ein Tipi auf.

Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Kursen für Naturinteressierte, TV-Beiträgen und Büchern über sein alternatives Leben.

Im Herbst 2017 zog er nach dreimonatiger Bauzeit in eine selbst gebaute Jurte um, die auf einem gepachteten Grundstück steht und 18 Quadratmeter groß ist. Die Kosten für die Jurte beziffert Freukes mit 1700 Euro.

Kurz darauf lag beim Bauamt des Kreises Bergstraße eine Anzeige gegen ihn vor. „Eine Baugenehmigung hatte ich nicht beantragt, da diese unter Umständen Jahre gedauert hätte und sicher abgewiesen worden wäre“, gibt der Odenwald-Tipianer zu.

Das Kreisbauamt ordnete ein Zwangsgeld in Höhe von 2500 Euro an, wenn Freukes die Jurte nicht abbaut – was er nicht tat. Er startete eine Internet-Petition für seinen Verbleib – ohne Erfolg.

Das Bauamt drohte mit einer Zwangsräumung, die am 20. August vollzogen werden sollte. Das Abrissunternehmen war an diesem Tag vor Ort, die Polizei sperrte die Zufahrtswege ab.

Zum Abriss kam es nicht, da sich Freukes und der Baudezernent des Kreises, Karsten Krug, einigen konnten. Ein Grundstück im Bergtierpark Fürth sollte die Lösung sein.

Da Freukes’ die Entfernung nach Fürth dann doch zu groß war, kam der Umzug nicht zustande.

Derzeit lebt der Odenwald-Tipianer in einem Bauwagen und hofft darauf, dass er in den Litzelbacher Steinbruch ziehen kann. Der Antrag liegt seit der vergangenen Woche bei der Kommunalaufsicht.

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