Umwelt

"Der Rückgang der Insekten an der Bergstraße ist ein Warnsignal"

Von 
Sina Roth
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Bergstraße. Was ist denn das? Da summt und brummt es doch tatsächlich am Tellerrand – kaum zu glauben, eine Wespe. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Doch in diesem Jahr ist eine solche Begegnung schon eine Seltenheit. Gerhard Eppler (BILD: Funck) ist Nabu-Landesvorsitzender und kommt aus Heppenheim. Er hat mit dieser Zeitung über die Hintergründe und mögliche Auswirkungen gesprochen.

Gibt es in diesem Jahr tatsächlich viel weniger Wespen und Hornissen an der Bergstraße? Oder ist das Einbildung?

Gerhard Eppler: Schon bei der deutschlandweiten Insektenzählung im Rahmen des Nabu-Insektensommers vom 4. bis 13. Juni 2021 lagen die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe nur bei 40 Prozent des Vorjahres. Das heißt, es ist keine Einzelbeobachtung an der Bergstraße, sondern offenbar in vielen Teilen Deutschlands der Fall.

Wie konnte es dazu kommen, dass es so viel weniger von ihnen in diesem Jahr gibt?

Eppler: Im kühlen Frühjahr 2021 sind viele Wespen-Königinnen abgestorben, weil sie zu wenig Nahrung gefunden haben.

Die Blütezeit vieler Blütenpflanzen fand später statt. Die Wespen ernähren sich ja von Nektar und Pollen, nur für die Aufzucht der Larven im Spätsommer wird tierisches Eiweiß benötigt. Jede abgestorbene Königin bedeutet auch ein Wespenvolk weniger. Bei hoher Feuchtigkeit können außerdem die Wespennester schimmeln und die Wespenlarven absterben.

Wie sah es in den vergangenen Jahren aus – gab es da mehr Wespen und Hornissen?

Eppler: Das ist von Jahr zu Jahr verschieden. In den Vorjahren mit ihrem warmen und trockenen Frühjahr konnten sich die Wespen gut vermehren.

Wie ist Ihre Einschätzung: Wird es auch in Zukunft weniger Wespen und Hornissen geben? Und warum?

Eppler: Was die Zukunft bringt, ist immer schwer zu sagen. Der Klimawandel wird sich auswirken. Er bedeutet ja aber nicht, dass es nur gleichmäßig wärmer wird. Durch die Wärme ist mehr Energie im System, es verdunstet mehr Wasser, und Hoch- wie Tiefdruckgebiete können sich länger festsetzen. Was im Frühjahr passiert, ist wichtig für die Wespenpopulation – und natürlich auch für die Populationen anderer Insektenarten. In den vergangenen Jahren sind allerdings die Frühjahre tendenziell trockener ausgefallen. Außer der Witterung wird auch viel davon abhängen, wie wir in Zukunft mit Schadstoffen und Giften in der Landschaft umgehen.

Dass in den vergangenen 20 Jahren die Biomasse der Insekten, unabhängig von der Artzugehörigkeit, um über drei Viertel zurückgegangen ist, ist unter anderem darauf zurückzuführen, aber auch auf andere Faktoren wie die Flächenversiegelung und die Ausräumung der Landschaft. Allein von den etwa 560 Wildbienenarten in Deutschland werden bereits über 40 Prozent als bestandsgefährdet eingestuft.

Häufiger geworden ist in den vergangenen Jahren stattdessen die Gallische Feldwespe (Polistes dominulus), die ihre kleinen Nester oft auch an Gebäuden anlegt. Die Feldwespen sind aber völlig harmlos und gehen auch nie an den Zwetschenkuchen oder das Marmeladenbrot. Sie sind leicht an ihren orangen Fühlern zu erkennen.

Was bedeutet das für die Tier- und Pflanzenwelt und auch für uns?

Eppler: Jede Insektenart hat ihre eigene Funktion im Naturganzen, auch die, die uns manchmal lästig fallen.

Im Frühjahr tragen Wespen zur Bestäubung bei. Ein einziges großes Wespenvolk kann an einem Tag im Spätsommer zwischen 500 Gramm und zwei Kilogramm Insekten erbeuten. Und sie machen sich nicht nur über unser Grillsteak her, sondern spielen eine wichtige Rolle bei der Beseitigung von Aas in der Natur.

Insekten ihrerseits spielen auch eine wichtige Rolle als Nahrungsgrundlage für Vögel und Säugetiere. Für uns lästig werden übrigens ohnehin nur zwei Wespenarten: die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe. Und das tatsächlich auch nur ab dem Spätsommer, wenn sie es klassischerweise auch auf unser Stück Zwetschenkuchen und auf Fallobst abgesehen haben.

Der massive Rückgang unserer Insektenarten, unabhängig von der Artzugehörigkeit, ist ein Warnsignal für unseren Umgang mit der Natur. Der Rückgang der Biodiversität ist mindestens ebenso dramatisch wie die Klimakrise, in der wir uns bereits befinden.

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