Interview

Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht über ihr Leben nach der Politik

Die aus Viernheim stammende langjährige Bergsträßer SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesministerin spricht über Kritik an ihrem Buch „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ und die Zeit nach der Politik.

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Martin Schulte
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Christine Lambrecht beim Italiener „Salerno“ in Vierheim: „Es gibt keine Wunden.“Bild: Bernhard Kreutzer © Bernhard Kreutzer

Viernheim. Die Viernheimerin Christine Lambrecht (SPD) war nach mehreren Ministerinnen-Ämtern Chefin des Verteidigungsressorts im Kabinett von Olaf Scholz. Im Januar 2023 trat sie zurück. Das sei nicht im Affekt wegen der harschen öffentlichen Kritik an ihrer Amtsführung geschehen, sondern ein monatelanger Entscheidungsprozess gewesen. Im Interview zeigt sie sich aufgeräumt, zugewandt und gut gelaunt. Die 60-Jährige scheint wie befreit. Die Geschichte eines neuen Lebens nach der Politik.

Frau Lambrecht, wie geht es Ihnen inzwischen?

Christine Lambrecht: Mir persönlich geht es sehr gut. Und ja, ich genieße das Leben. Dennoch beobachte ich gesellschaftliche Entwicklungen. Und manchmal, muss ich sagen, auch mit Sorge.

Sie stammen aus Viernheim. Ihre politische Laufbahn begann hier in der Stadtverordnetenversammlung. Wo leben Sie heute?

Lambrecht: Mittlerweile ist mein Lebensmittelpunkt Berlin. Ich habe dort viele Freunde, und mein Sohn lebt dort. So ist die Entscheidung eben gefallen.

Zur Person

Christine Lambrecht wurde 1965 in Mannheim geboren und wuchs in Viernheim auf. Sie besuchte die Albertus-Magnus-Schule und machte 1984 ihr Abitur.

Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Mannheim sowie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Im Jahr 1982 trat Lambrecht in die SPD ein und war von 1985 bis 2001 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Viernheim. Von 1989 bis 1997 war sie Mitglied des Bergsträßer Kreistags .

Von 1998 bis 2021 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Bei den Wahlen 1998 und 2002 errang sie ein Direktmandat im Wahlkreis Bergstraße, danach zog sie über die hessische Landesliste in den Bundestag ein.

Von 2007 bis 2017 war Christine Lambrecht Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bergstraße.

Im Jahr 2019 wurde sie Bundesjustizministerin und übernahm im Mai 2020 parallel das Bundesministerium für Familie.

Zur Bundestagswahl 2021 trat sie nicht mehr an. Auf Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz wurde sie im Dezember 2021 dennoch Bundesministerin der Verteidigung . Am 19. Januar 2023 trat sie als Verteidigungsministerin zurück. red

Ich bin fassungslos. Was hat Berlin, das Viernheim nicht hat?

Lambrecht: (lacht) Das kann ich aus Viernheimer Sicht natürlich absolut nachvollziehen …

. . . das sollte ein Scherz sein.

Lambrecht: Das ist mir auch klar (lacht). Wie gesagt, es sind am Ende die Menschen, die das Leben ausmachen. In den letzten Jahren haben sich in Berlin viele gute und wichtige Freundschaften entwickelt. Und da ist die Nähe zu meinem Sohn, die mir sehr wichtig ist.

Sie sind 60. Wie alt ist der Filius heute? Wir haben unsere Kinder zur gleichen Zeit in den gleichen Viernheimer Kindergarten gebracht. Aber danach haben sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt.

Lambrecht: Genau. Er wird 25.

Sie sind immer mal in Viernheim. Auf meine Interview-Anfrage haben Sie geschrieben „ich bin gerade in der alten Heimat“. Dann ist Viernheim Heimat für Sie und Berlin Zuhause?

Lambrecht: Ja, das ist sehr schön formuliert. Hier sind ganz viele Verbindungen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Ich finde es immer wieder so schön, dass ich sofort Termine habe für Treffen mit Freundinnen und Bekannten, wenn ich herkomme. Das sind Menschen, die ich über viele Jahre begleitet habe und sie mich. Ja, Viernheim fühlt sich tatsächlich an wie Heimat.

Leben Sie allein in Berlin?

Lambrecht: Ich lebe allein. Das bedeutet aber nicht, dass ich einsam bin. Ganz bestimmt nicht.

Kommen wir zur Presse. Nach dem, was Sie teilweise mit ihr erlebt haben, war ich doch etwas überrascht, dass Sie diesem Interview zugestimmt haben.

Lambrecht: Seit meinem Rücktritt habe ich sehr wenige Interviews gegeben. Das mit Ihnen jetzt ist, glaube ich, das zweite oder dritte. Ich mache das nur dann, wenn ich das Gefühl habe, da ist jemand, der auch etwas über mich als Mensch wissen will. Mit geht es nicht darum, über olle Kamellen zu sprechen.

Olle Kamellen, Ihr Stichwort – während Ihrer Zeit im Verteidigungsministerium und auch danach sind Sie von Teilen der Medien überaus hart kritisiert worden, es ging auch ins Persönliche. So etwas hinterlässt ja wohl Spuren. Sind die Wunden verheilt?

Lambrecht: Es hat Spuren hinterlassen, aber keine Wunden. Jeder, der in die Politik geht, insbesondere auf Bundesebene, muss wissen, dass man da sehr genau beobachtet und kommentiert wird. Und wenn Fehler gemacht werden, wird man natürlich auch kritisiert. Und selbstverständlich habe auch ich Fehler gemacht. Wer macht das nicht? Allerdings lernt, wer so lange in der Politik ist wie ich, auch mit solcher Kritik umzugehen. Ich war 23 Jahre lang Bundestagsabgeordnete. Ich habe gelernt, mit sachlicher, gerechtfertigter Kritik umzugehen, und sie von unsachlicher und zum Teil falscher Kritik zu unterscheiden. Ebenso habe im Laufe der Jahre gelernt, Kritik mal mehr und mal weniger an mich heranzulassen. Und deswegen gab es keine Wunden. Ich bin auch kein Opfer. Ich habe erfahren, dass heutzutage mehr denn je in der Öffentlichkeit ausgebreitet wird, was gar nicht da hingehört.

Sind Sie misstrauischer geworden im Laufe der Jahre?

Lambrecht: Ich bin zurückhaltender geworden, ja. Wobei, das war ich eigentlich schon immer. Ich glaube, das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht unbedingt der Liebling der Presse war. Denn ich habe immer darauf geachtet, nicht zu meinen Gunsten Informationen aus der Partei oder aus anderen Zusammenhängen an die Presse weiterzutragen. Man liest ja immer wieder „aus Kreisen der Partei“. So etwas habe ich nie gemacht. Ich finde das unsolidarisch. Ich war nie Stichwortgeberin für Medien.

Zu Ihrem Buch „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ hat der Spiegel einen scharfen Verriss gebracht.

Lambrecht: Den Verriss habe ich noch nicht gelesen, aber es wundert mich nicht. Schmunzeln muss ich dennoch. Vor der Veröffentlichung hat mich ein Journalist des Spiegel mit zahlreichen Nachrichten gebeten, man könnte fast sagen, angefleht, ihm ein Vorabexemplar zuzuschicken. Er wollte unbedingt wissen, ob und in welchem Zusammenhang er oder der Spiegel von mir aufgegriffen werden. Diesen Wunsch habe ich abgelehnt, wie bei anderen Journalisten auch. Tja …

Wie meinen Sie das, es wundert Sie nicht?

Lambrecht: Es wundert mich nicht vor dem Hintergrund dessen, was zum Teil im Spiegel stand. Wenn sie etwa kolportieren, mein britischer Kollege Verteidigungsminister habe sich schriftlich über mich beschwert, weil ich Telefontermine abgesagt hätte, einen wegen eines Frisörbesuchs, dann frage ich mich schon, wie Journalisten auf so etwas kommen.

Es stimmt nicht?

Lambrecht: Es gab dieses Schreiben nicht, weil es die Beschwerde nicht gab. Meine Berater haben immer gesagt, ich solle auf solchen Quatsch nicht reagieren. Der britische Kollege hat das anders gesehen und reagiert. Er hat getwittert, dass an der Geschichte nichts wahr ist. Und dass er mit mir gut und konstruktiv zusammenarbeitet. Das hätte er ja nicht tun müssen. Und wenn Journalisten derart vorgeführt werden – darauf nehme ich in dem Buch Bezug –, dann wundert mich dieser Verriss tatsächlich nicht.

Gehen Sie einer Arbeit nach in Berlin?

Lambrecht: Ich bin ehrenamtlich engagiert. Ich engagiere mich zum Beispiel beim DFB in der Sepp-Herberger-Stiftung. Dort gibt es ein Programm zur Resozialisierung von Strafgefangenen und die Möglichkeit, da zu helfen, auch über Fußball. Ich beschäftige mich mit der Frage, was wir da für Frauen anbieten können. Wir wollen dort „Anstoß für ein neues Leben“ geben. Ich bringe mich ebenso in Frauennetzwerken ein. Ich glaube, wir erleben hier gerade einen Roll Back bei Gleichstellungsthemen, die ich für safe hielt. Aber interessierte Kräfte sind dabei, das zurückzudrehen. Deswegen ist es wichtig, dass Frauen sich ganz klar positionieren. Ich bin Juristin und will mein Wissen und meine Kenntnisse entsprechend einbringen.

Wie sehen Sie ihre Zukunft?

Lambrecht: Ich erlebe jetzt nach vielen, vielen Jahren, dass ich endlich selbstbestimmt lebe. Dass ich im Großen und Ganzen selbst entscheide, wann ich was mache. Als Bundestagsabgeordnete habe ich immer nach dem Sitzungskalender gelebt. Später als Ministerin war ich noch dazu über andere Zusammenhänge eingebunden. Das ist vorbei – und ich genieße es sehr. Ja, ich habe viele Pläne in meinem Leben. Ich freue mich, dass ich einige bereits umsetzen konnte. Ich freue mich darauf, mich für Themen zu engagieren, die mich sehr interessieren.

Politik ist absolut passé?

Lambrecht: Ich werde immer ein politischer Mensch sein. Politik ist nie passé für mich. Aber ich werde kein politisches Amt mehr anstreben. Das ist vorbei. Da ist jetzt eine andere Generation gefordert. Aber ich bin begleitend dabei und sage meine Meinung deutlich. Ich glaube, es ist gerade jetzt wichtiger denn je, sich als Bürgerin einzubringen, wie jeder andere auch. Denn die Kommunikation im öffentlichen Raum und in der Politik hat sich stark verändert. Wir müssen uns alle bemühen, Kommunikation wieder zu versachlichen, dass wir wieder mehr miteinander reden als übereinander.

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