Rhein-Neckar. Halleluja, was für eine Stimme! „Oh, Happy Day“, schallt es durch die Weinheim Galerie – vom Untergeschoss bis hinauf in die Ladenstraße. Tosender Applaus brandet auf, als der letzte Ton erklingt. „Das ist pures Gold“, wird Otto Nitschke später über die 57-jährige Gospelsängerin sagen, die sich am Samstag in der Weinheim Galerie so stimmgewaltig präsentiert. Doch jetzt geht es vor der Kameralinse des Produktionsleiters der UFA Talentbase Schlag auf Schlag.
Hunderte Menschen sind zum großen Casting in das Shopping-Center gekommen, wo in den ehemaligen Räumen von „Kult“ grell die Scheinwerfer leuchten. Eine lange Schlange hat sich schon zum Start der Aktion gebildet. Unter den ersten Kandidaten ist die elfjährige Milana, die extra mit ihrer Mutter Eleonora Wilhelm aus Wiesbaden gekommen ist, um sich vorzustellen. Das bildhübsche Mädchen mit den langen blonden Haaren tanzt, singt – und träumt von einer Karriere vor der Kamera.
Diesen Traum teilt sie mit den anderen Bewerbern, die sich in Weinheim in den großen Pool an Komparsen, Kleindarstellern, Schauspielern, Sängern, Tänzern oder Moderatoren aufnehmen lassen wollen, aus dem sich die UFA bedient. Der Bedarf der „Universum Film AG“ – das wohl traditionsreichste und bekannteste Film- und Fernsehunternehmen Deutschlands – ist riesig. Wie sonst ist es zu erklären, dass die UFA Talentbase jährlich zwischen 65 und 80 Castings in Deutschland, Österreich und der Schweiz veranstaltet? Für Formate wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Alles was zählt“, „Unter uns“ oder „Lenßen hilft“ werden Talente gesucht – aber auch für neue Produktionen.
Immer auf der Suche nach „frischen Gesichtern“
Die UFA ist immer auf der Suche nach „frischen Gesichtern“. Manche Bewerber stammen aus Weinheim oder der näheren Region, viele aus Frankfurt. Kaum ein Weg ist zu weit: Monica aus Karlsruhe, Nora aus Heilbronn, Charlotte, die in der Garde tanzt. Normale und spleenige Typen – wie der Mann mit der Nummer 93, der mit Cowboyhut „New York, New York“ schmettert.
Wer aus der Masse herausstechen will, darf nicht schüchtern sein und braucht Mut zur Selbstdarstellung. „Hau mal einen raus“, fordert der redegewandte Produktionsleiter einen jungen Mann mit markanten Gesichtszügen auf. Der lässt sich nicht lange bitten, hat sich mit dem Lana-Del-Rey-Titel „Summertime Sadness“ jedoch etwas zu viel vorgenommen.
Mit der Nummer 90 auf der Brust tritt Sadie Spencer vor die blaue Wand und auf den Teppich, der heute für alle zur Bühne wird. Die zehnjährige Mörlenbacherin hat bereits Schauspielerfahrung in der Theater-AG der Jugendmusikschule Weschnitztal gesammelt und mag gern „zickige“ Rollen, wie sie schmunzelnd erklärt. Das passt zur Lieblingsserie von Mama Daniela, die ebenfalls nicht abgeneigt ist, im Showgeschäft mitzumischen. Mutter und Tochter in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – das wäre doch was! Nur die kleine Hailey hat mit ihren acht Jahren so gar keine Ambitionen. Dabei wäre sie noch nicht einmal die jüngste Bewerberin.
Gecastet wird ab einem Alter von sieben Jahren
Gecastet wird ab einem Alter von sieben Jahren. Bei Bewerbern unter 16 – und davon gibt es am Samstag viele – muss ein Erziehungsberechtigter vor Ort eine Einverständniserklärung unterschreiben. Mit 75 Jahren unter den ältesten Teilnehmern ist Inge Pagenberg-Kern. Sie zählt sich selbst zu den „Spätberufenen“, wie sie vor der Casting-Kamera sagt. Eine Karriere strebt die Hemsbacherin zwar nicht mehr an, „aber ein Auftritt als Komparsin – warum nicht?!“.
Egal ob jung oder älter – wer hier ins Rampenlicht tritt, hat Hoffnungen und Träume im Gepäck. Ob sie erfüllt werden, entscheidet sich nicht in Weinheim, sondern in Berlin oder Köln, wo die Serien produziert werden. Nach den Castings werden die Fotos und Videos bearbeitet und den Redakteuren der UFA-Produktionen als digitale Sedcards zur Verfügung gestellt. Fällt ihnen eine Kandidatin oder ein Kandidat besonders auf, klingelt vielleicht bald das Telefon.
Bis zum Samstagabend sind es exakt 283 Menschen, die sich um einen Auftritt bewerben. „Wir mussten sogar einige wegschicken, weil es zeitlich einfach nicht gereicht hat“, erklärt Otto Nitschke nach fünf langen Castingstunden.
Bleibt nur noch die Frage: War denn in Weinheim ein Rohdiamant dabei? „Da waren einige interessante Talente“, findet der Produzent und fügt hinzu: „Aber Menschen wie diese Gospelsängerin – die sind selten und kostbar.“ ik
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