Frankfurt. In Zeiten der Krise und Instabilität will die Frankfurter Buchmesse ein Ort des Diskurses und Miteinanders sein. „Präsenz hilft gegen Polarisierung“, sagte Direktor Jürgen Boos gestern zum Auftakt der Bücherschau. Die gesellschaftlichen Entwicklungen und Spannungen abzubilden, sei eine der Kernaufgaben der Buchbranche und damit auch der Messe. Nur so könne man einer vergifteten Debattenkultur entgegenwirken, den demokratischen Diskurs stärken und Diversität eine Bühne geben. Und: „Die Buchmesse ist das Gegenmodell zu einer Echokammer.“
Die 74. Frankfurter Buchmesse findet nach zwei Jahren mit pandemiebedingten Einschränkungen wieder ohne größere Auflagen statt. Angemeldet sind den Angaben zufolge rund 4000 Aussteller aus 95 Ländern.
Völkerverständigung
Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sprach gestern von einem „Kulturereignis für Völkerverständigung“. In zahlreichen Debatten, Vorträgen und Lesungen geht es in dieser Woche um aktuelle politische Themen, wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Lage im Iran und in Afghanistan. So ist beispielsweise der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Veranstaltung am Donnerstag virtuell zugeschaltet.
Zur Eröffnung hatten sich unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und das spanische Königspaar angekündigt. König Felipe VI. und Königin Letizia repräsentieren das diesjährige Ehrengastland Spanien. Die Messe endet am Sonntag mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan.
Spanisches Königspaar kommt zur Buchmesse
Das spanische Königspaar ist gestern Nachmittag am Frankfurter Flughafen eingetroffen. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nahm König Felipe VI. und Königin Letizia in Empfang.
Nach Berlin ist Frankfurt die zweite Station ihres Staatsbesuches in Deutschland. Am Abend eröffnete das Königspaar die 74. Frankfurter Buchmesse, bei der Spanien in diesem Jahr Ehrengastland ist. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender werden zu dem Ereignis erwartet.
„Die Freiheit zu denken, zu lesen und zu sagen, was wir für richtig erachten, ist häufig so selbstverständlich, dass wir sie allzu oft als gegeben ansehen“, erklärte Rhein. Die Frankfurter Buchmesse rufe alljährlich ins Gedächtnis, wie wichtig diese Freiheit sei. Steinmeier und König Felipe hatten am Dienstagmorgen bereits in Berlin das Deutsch-Spanische Forum eröffnet, das unter ihrer Schirmherrschaft steht.
Für Fachbesucher beginnt die Frankfurter Buchmesse am Mittwoch, das Lesepublikum ist ab Freitag zugelassen. Die Messe endet am Sonntag mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan. dpa/
Der Vorverkauf brummte fast wie vor der Pandemie, Corona-Auflagen gibt es kaum, die internationalen Promis sind zurück: Darf sich Frankfurt auf eine Buchmesse wie früher freuen? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, glaubt man Buchmessen-Direktor Jürgen Boos: Nach „zwei sehr schweren Jahren“ werde die Buchmesse in diesem Jahr endlich wieder größtenteils physisch stattfinden. Die Branche sehne sich nach Kontakt.
„Ohne Auflagen“
Impfpass-Kontrolle, Besucher-Obergrenzen – Stand jetzt wird es auf der Buchmesse keine Beschränkungen dieser Art geben. „Wir haben die Genehmigung, diese Messe ohne Auflagen durchzuführen“, sagte Boos bei der Programmvorstellung im September. Dennoch werde man alles tun, eine sichere Messe zu ermöglichen. So sollen zum Beispiel die breiten Gänge beibehalten werden, um Gedränge zu vermeiden.
Der Zeitpunkt, zu dem das Lesepublikum nach den Fachbesuchertagen auf die Messe darf, hat sich in den vergangenen Jahren stetig nach vorn verschoben. In diesem Jahr dürfen Bücherliebhaber erstmals schon am Freitagmorgen aufs Gelände – und dann auch schon Bücher kaufen. Mittwoch und Donnerstag sind die Messehallen weiterhin Fachbesuchern vorbehalten.
Rund eine Woche vor Beginn der Messe am 19. Oktober hatten sich 4000 Aussteller aus 95 Ländern angemeldet. Der Vorverkauf laufe gut, sagte eine Sprecherin, ohne Zahlen zu nennen. Boos hatte im Sommer angedeutet, die Zahlen näherten sich fast schon wieder dem Niveau vor Corona. Im letzten Jahr vor der Pandemie hatten mehr als 300 000 Menschen die Buchmesse besucht. 2021 zählte die Messe nur 70 000 Besucher, weitere 130 000 nutzen die digitalen Angebote.
Russischer Stand ausgeladen
Zur Eröffnung brachten König Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien royalen Glanz nach Frankfurt. Ihr Land ist in diesem Jahr Ehrengast der Buchmesse. Auch die Liste der Autorinnen und Autoren ist wieder internationaler. Zu den prominentesten Namen zählt Donna Leon, die keinen neuen Krimi vorstellt, sondern über ihr Leben und ihre Arbeit berichtet.
Das Thema Sicherheit
Hinter den Kulissen hat das Thema Sicherheit 2022 noch eine andere Note bekommen: Als der von Islamisten bedrohte Schriftsteller Salman Rushdie im August in den USA auf einer Bühne angegriffen und schwer verletzt wurde, dürften bei der Buchmesse die Alarmglocken geklingelt haben. Rushdie war schon mehrfach in Frankfurt zu Gast, zuletzt 2015, und zwar auf seinen eigenen Wunsch hin stets ohne Personenschutz.
Frankfurt sei „die größte internationale Kulturmesse der Welt“, sagt Boos, „Handelsplattform und Diskussionsraum zugleich“. So spiegeln sich wie in jedem Jahr auch diesmal die Debatten der Welt auf dem Messegelände. Der Gemeinschaftsstand russischer Verlage wurde wegen der Nähe der Organisatoren zum Putin-Regime ausgeladen – ukrainische Verlage dürfen sich auf einem 100-Quadratmeter-Stand mit Bühne präsentieren. Der Buchmessen-Samstag steht ganz im Zeichen ukrainischer Autoren. Die Buchmesse endet am Sonntag (23. Oktober) mit der Verleihung des Friedenspreises an den Ukrainer Serhij Zhadan.
Reaktion auf Kritik im letzten Jahr
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema Übersetzen. „Translate.Transfer.Transform“ lautet das Motto. Damit soll zum einen die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer mehr ins Rampenlicht gerückt werden. Andererseits gehe es auch um das Übersetzen im übertragenen Sinn, erklärte Boos: um die Adaption von literarischen Stoffen in andere Medien und „den kommunikativen Akt“. Erstmals ist die Plattform Tiktok Partner der Buchmesse. Unter dem Hashtag #BookTok sind Bücher bei den meist jungen Nutzern durchaus ein Thema. In Frankfurt sollen Nutzer und Anbieter real zusammenkommen.
Im vergangenen Jahr hatten Boykott-Aufrufe die Messe überschattet. Die Messe etablierte nun ein „Awareness-Team“, bei dem sich Besucher melden können, die sich – zum Beispiel wegen ihre Hautfarbe oder sexuellen Identität – auf der Messe beleidigt, ausgegrenzt oder bedroht fühlen. Kritik hatte es im vergangenen Jahr auch an der Anwesenheit rechter Verlage gegeben. Die Buchmesse bleibt bei ihrer Linie: „Es geht um die Freiheit des Wortes“, sagt Boos. „Alles, was in Deutschland nicht verboten ist, kann in Frankfurt stattfinden.“ dpa
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