Wirtschafts-Vereinigung Bensheim

Biohacker Alexander Metzler referiert bei der Wirtschaftsvereinigung Bensheim über gesundes Leben im digitalen Zeitalter

Von 
Thomas Tritsch
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Auf sehr unterhaltsame Weise Alexander Metzler beim jüngsten „Forum in Schloss“ der Wirtschafts-Vereinigung Bensheim die Fallstricke und doppelten Böden des digitalen Alltags benannt und potenzielle Auswege erläutert. © Thomas Zelinger

Bergstraße. Beim Biohacking handelt es sich nicht um eine Extremsportart auf der Basis von geschreddertem Öko-Fleisch aus nachhaltiger Landwirtschaft. Ähnlich einem Computerhacker will der Biohacker Schwachstellen im biologischen Betriebssystem entschlüsseln, um seine körperliche und psychische Festplatte so zu optimieren, dass sie eine hohe Leistung bei weniger Abstürzen verursacht. Selbstwirksamkeit steht dabei im Mittelpunkt. Was anfangs nach noch mehr Leistungsdruck und Stress klingt, soll das genaue Gegenteil bewirken.

Das Prinzip ist uralt und denkbar einfach: Gib deinem Körper, was er braucht und wofür er geschaffen ist, und du wirst mit Energie und Widerstandsfähigkeit belohnt. Die Methoden und Hacks sind dabei vielfältig, sie können und sollten flexibel und individuell eingesetzt werden. Im Kern geht es darum, im Einklang mit der Natur zu leben. Das bedeutet ein Stück weit zur ursprünglichen, natürlichen Lebensweise zurückzukehren sowie ein Bewusstsein für den eigenen Körper zu schaffen, so Alexander Metzler.

Cannabis zwischen Medizin und Droge: Noch viele Fragen offen

Obwohl viel zur Wirkung von Cannabisprodukten geforscht wurde, sind bis heute noch viele Fragen zur molekularen Wirkung der Inhaltstoffe völlig offen. Weitere wissenschaftliche Experimente sind dringend nötig, um ein neues Licht auf die körperlichen und psychischen Prozesse zu werfen, die durch den Konsum ausgelöst werden, sagt Rolf Marschalek beim „Forum im Schloss“ der Wirtschafts-Vereinigung Bensheim. Der Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Uni Frankfurt forscht im Bereich Biochemie, Molekularbiologie, Genetik und Immunologie. Er betont: Durch gesetzliche Änderungen könnten Cannabisprodukte einen völlig anderen Stellenwert in der Gesundheitsversorgung einnehmen.

Im Spannungsfeld von Missbrauch und medizinischem Nutzen beleuchtete Marschalek in Auerbach auch die aktuelle Debatte über den Einsatz von Cannabisarzneimitteln als Therapiealternative bei Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, deren Freigabe seit 2017 gesetzlich geregelt ist. „Erst in den vergangenen Jahren wird wieder ernsthafter und intensiver über den potentiellen Nutzen in der Medizin diskutiert“, so der Biologe und Biochemiker, der in Frankfurt auch ein Kooperationsprojekt mit der Pharmazeutischen Fabrik Dr. Reckeweg in Bensheim betreibt. Produkte mit dem psychoaktiv wirkenden THC als Inhaltsstoff würden immer häufiger als Alternative zu existierenden Schmerzmitteln eingesetzt, vor allem bei Krebspatienten oder Menschen mit chronischen Schmerzen. Dennoch seien die Wirkprinzipien der Cannabis-Bestandteile und ihre auslösenden Reaktionen im Körper noch nicht zur Genüge erforscht.

Endocannabinoide spielen laut Marschalek eine wichtige Rolle bei vielen Erkrankungen, weil sie eine Art Schutzfunktion im Körper ausüben. Diese körpereigenen Cannabinoid-Rezeptoren werden vom Körper selbst produziert. Medikamente zum Eingriff in das menschliche Nerven- und Immunsystem sind derzeit kaum verfügbar, könnten aber in Zukunft eine sehr wirksame Option zur Immunmodulation und Tumortherapie darstellen. Die Entdeckung von Cannabinoid-Rezeptoren und die Identifikation ihrer körpereigenen Moleküle haben in den letzten Jahren das Tor zu einer systematischen biomedizinischen Erforschung von Cannabis weit aufgestoßen und neue Perspektiven der medizinischen Nutzung eröffnet, so der Professor, der auch die Risiken des Konsums nicht ausgespart hat. Epidemiologische Studien zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum in der Kindheit und späteren psychischen Symptomen.

Der Knackpunkt: THC ist genau jene Verbindung, die für das Missbrauchspotenzial – die Rauschwirkung – von Cannabis verantwortlich ist, ist aber aufgrund seiner Eigenschaften auch medizinisch und therapeutisch relevant. Zwischen Sucht und Linderung ist es nur ein schmaler Grat.

Eine Studie an der Frankfurter Uni in Zusammenarbeit mit Dr. Reckeweg hat ergeben, dass bestimmte Cannabisextrakte das Überleben beziehungsweise die Vermehrung von Krebszellen beeinträchtigten oder bewirken, dass diese sogar absterben können. Laut Rolf Marschalek war dies eine der ersten Untersuchungen weltweit, die eine umfassende genomweite Analyse eines bestimmten Cannabisprodukts unter experimentell kontrollierten Bedingungen umfasst hat. Die Ergebnisse seien bemerkenswert, weil sie unter anderem positive Einflüsse auf Entzündungs- und Blutbildungsprozesse sowie Effekte auf den Fettstoffwechsel zeigen. „Diese Daten müssen in weiteren, unabhängigen Experimenten aber weiter untersucht werden.“ tr

Der Biohacker und Experte für ein gesundes, glückliches und nachhaltiges Leben im digitalen Zeitalter war einer der Redner beim diesjährigen „Forum im Schloss“ der Wirtschafts-Vereinigung Bensheim (WVB). Nach zweijähriger Pause ist das dialogische Format am Samstag wieder in Präsenzform über die Bühne gegangen. Schauplatz war das Auerbacher Schloss. Für den WVB-Vorstand begrüßte David Reckeweg-Lecompte rund 40 Teilnehmer aus der regionalen Wirtschaft.

Mehr Druck – beruflich wie privat

Die digitale Revolution hat unser Leben auf beinahe allen Ebenen massiv verändert – und zwar beruflich wie privat, so Alexander Metzler. Vieles ist komfortabler und effizienter, doch das kleine Endgerät am Ende des Arms hat seine Generation nicht in allen Facetten glücklicher gemacht, sondern auch zu weitaus mehr Informationsdruck, Erreichbarkeit und Zeitdruck geführt. Der Mensch lebt 24 Stunden lang in der subtilen Angst, etwas zu verpassen. Zurückdrehen lässt sich die technologische Uhr kaum, doch kann man lernen, die Vorzüge des digitalen Wandels zu genießen, ohne von ihm überrannt zu werden, so der Medienprofi, der beruflich viel mit Werbung, Kommunikation, Nachrichten und Social Media zu tun hat. Der Preis des Erfolgs war ein kompletter Absturz in die Depression mit Ende 20. Seither hat er sein Leben neu justiert. Die persönliche Krise hat ihn dazu motiviert dazu, die tragenden Säulen der körperlichen und mentalen Gesundheit zu erforschen und danach zu leben.

Auf sehr unterhaltsame Weise hat Metzler (Jahrgang 1975) die Fallstricke und doppelten Böden des digitalen Alltags benannt und potenzielle Auswege erläutert. Grundsätzlich geht es ihm darum, den Menschen zu helfen, ihre Gewohnheiten zu verändern. Rituale, die allerdings – das weiß der Speaker – schwer abzustellen sind. „Wir lassen uns von anderen schon vor dem Aufstehen manipulieren“, so Metzler über die (Un-)Art, bereits im Bett den Maileingang zu checken. Das System wird gleichsam von Fremden gehackt und für den weiteren Tag negativ beeinflusst. Der Experte rät zu mehr Selbstkontrolle und biografischer Autarkie, um entspannter und selbstbestimmter durch den privaten und beruflichen Alltag zu kommen.

Auch der natürliche Biorhythmus ist kein zufälliger Takt. Wer mit der Dämmerung aufsteht und seinem Körper ein wenig Bewegung gönnt, der lädt seine Akkus mit Sonnenaufgang auf und tankt frische Luft für Physis und Gehirn. Das Schlafzimmer sollte ohnehin ein Reich der Ruhe und Kontemplation sein, in dem jedes elektronische Gerät verboten ist. Das blaue LED-Licht flunkert dem Organismus Tageslicht vor, was beim Einschlafen stört. Außer Schlafen und Sex („Biohacking par excellence!“) – oder vielleicht noch Lesen – sollte im Bett eigentlich nichts anderes stattfinden, so Metzler, der seinen Artgenossen rät, sich ein eigenes Regelwerk aufzubauen und sich nicht von den digitalen Manipulatoren in Silicon Valley lenken zu lassen. Zumindest weniger als bisher. Tipp: mindestens 30 Minuten vor dem Schlafengehen auf keinen Bildschirm mehr schauen. Gesunder Tiefschlaf sei eine der Wunderwaffen des Biohackings, weil dabei die Zellregeneration auf Hochtouren läuft.

Mini-Pausen helfen weiter

Im Job ist Schlummern eher unangebracht, doch entspannende Mini-Pausen helfen dabei, Körper und Geist wieder zu erfrischen und neuen Treibstoff zu generieren. Langeweile im Wortsinn sei positiv, nicht jede ruhige Minute müsse durch digitale Ablenkungsmanöver vergewaltigt werden, so der Biohacker, der auch traditionelle Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder Atemübungen empfiehlt. Auch kaltes Duschen und Wechselbäder wirken Wunder, und mit denen hatte sich ja schon der olle Kneipp einen Namen gemacht.

Biohacking ist für Alexander Metzler ein Werkzeug unter mehreren. Mit ihm lassen sich die Säulen der individuellen Gesundheit durch einen bewussteren Umgang mit dem eigenen Körper stabilisieren, sagt er hoch über dem Bensheimer Stadtteil Auerbach. Durch das Smartphone sei der Homo Sapiens aber auf dem besten Weg vom aufrechten Gang wieder zurück zur geduckten Haltung. Eine Silhouette, die nicht nur orthopädisch problematisch ist, wie sein kurzweiliger Vortrag gezeigt hat.

Der Blick auf das Smartphone als Taktgeber des Alltags war auch danach bei vielen Zuhörern noch obligatorisch. Aber vielleicht ein wenig kritischer und bewusster als zuvor. Das erfährt man spätestens dann, wenn das Handy das nächste Mal die Bildschirmzeit beziffert.

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