Bergstraße. So etwas kannte der 30-jährige Jan Metzger bisher nur aus den Erzählungen seiner älteren Mitsänger: Nach dem Ende der Matinée zum 75-jährigen Bestehens des Sängerkreises Bergstraße (SKB) am Sonntag im Bürgerhaus Kronepark in Auerbach gesellten sich zwei Dutzend Männerchorsänger zusammen und schmetterten spontan und ohne Probe ein paar Lieder. Die Chorleiter wechselten sich beim Dirigieren und bei der Klavierbegleitung ab, und der Verbandspräsident mischte sich unter die Sänger des Spontanchors, der nach den ersten drei Liedern zum gemischten Chor mutierte.
Die Sängerinnen und Sänger erfüllten mit Leben, was die Festredner zuvor gepriesen hatten: Gemeinschaftsgeist, Freude am gemeinsamen Singen, Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrages zur Pflege der Kultur, Zusammenhalt in Chören und Gesellschaft.
Diana Stolz hatte für ihre Ansprache den Titel eines der vorgetragenen Lieder als Leitmotiv übernommen: „Ich liebe das Leben“. Dafür stehe der gemeinsame Gesang. Die Erste Kreisbeigeordnete hielt die Laudatio in Vertretung des erkrankten Schirmherrn, Landrat Christian Engelhardt. Als Jubiläumsgeschenk brachte sie einen überdimensionalen gebackenen Notenschlüssel mit, „da dem Sängerkreis in unserer Chorwelt eine Schlüsselrolle zukommt.“
Heinz Ritsert, seit über 20 Jahren SKB-Vorsitzender, sei inzwischen „zu einer Institution geworden“. Nach der obligatorischen Begrüßung der Ehrengäste resümierte er, dass sich der Sängerkreis im Laufe der Jahrzehnte gewandelt habe. Eine Frauenquote brauche man hier nicht. Im Gegenteil: „Wir haben schon daran gedacht, einen Männerbeauftragten zu installieren“ spielte er scherzhaft auf den stetig ansteigenden Anteil der Chorsängerinnen an.
Neue Herausforderungen warten
Claus-Peter Blaschke, der Präsident des Hessischen Sängerbundes (HSB) und Vizepräsident des Deutschen Chorverbandes (DCV), war natürlich auch unter den Gratulanten. In seiner Ansprache lobte er die Chorvereine und Kreisverbände als „Basis der Chorarbeit“. Bei einem Jubiläum wie diesem müsse man bei allem Stolz auf die Vergangenheit nach vorne schauen. Schon in der nahen Zukunft könnten wieder Herausforderungen auf die Chöre warten: Eine neue Corona-Welle drohe. Und ob alle Probenräume im Winter ausreichend geheizt werden könnten, sei auch nicht sicher. Ritsert, den er einmal als „Urgestein“ im Chorverbandswesen bezeichnet hatte, überraschte seinen Verbandschef mit einer Auszeichnung: Blaschke erhielt die silberne Ehrenmedaille des Sängerkreises für seine Verdienste um den SKB. So eine Auszeichnung freue ihn natürlich. Doch wer ein Ehrenamt ausübe, um Ehrungen einzuheimsen, sei ein unglücklicher Mensch. „Wir arbeiten für die Chöre, weil es uns Spaß macht“, sagte er.
Roland Gündling, der Vorsitzender der Sängerlust Bürstadt, überbrachte die Grüße der Kreisvereine. Vier davon hatten das zuvor schon musikalisch getan und dabei alle im Sängerkreis vertretenen Chorgattungen repräsentiert: Für die Männerchöre begrüßten die „Hutbuben“ vom Liederkranz Winterkasten unter der Leitung von Jürgen Martini die etwa 200 Jubiläumsgäste. Hans Kaspar Scharf dirigierte den Frauenchor 1947 Viernheim, Andreas Meyer das Quartett des Gesangvereins Sängerkranz Zwingenberg und Ronny Ehret den Kinder- und Jugendchor Bensheim. Für den rechten Rahmen und die Bewirtung zeichnete der Gesangverein Liedertafel Auerbach verantwortlich..
Übrigens: Jan Metzger repräsentiert als Schriftführer im Vorstand des Sängerkreises Bergstraße die jüngere Generation im Verband. Der Männerchor, in dem er bis vor kurzem sang, hat sich wegen Mitgliederschwundes gerade aufgelöst. Jetzt sucht er nach einer neuen musikalischen Heimat. Vielleicht ist er ja bei dem improvisierten Kleinkonzert nach der Matinée fündig geworden. ppp
Dachverband für 47 Vereine
Der Sängerkreis Bergstraße ist der Dachverband für 47 Gesangvereine mit fast 2000 Sängerinnen und Sängern in 76 Chorgruppen (21 Männerchöre; 15 Frauenchöre; 31 gemischte Chöre; 5 Kinder- und 4 Jugendchöre) auf dem Gebiet von Bensheim, Biblis, Bürstadt, Einhausen, Groß-Rohrheim, Heppenheim, Lampertheim, Lautertal, Lindenfels, Lorsch, Viernheim und Zwingenberg im Kreis Bergstraße sowie Reichelsheim im Odenwaldkreis.
Die meisten Chöre im Osten des Kreisgebietes sind im Sängerkreis Weschnitztal-Überwald organisiert, dem zweiten Chorverband im politischen Kreis Bergstraße. ppp
Philipp Maier war der erste Vorsitzende
Bergstraße. 1945 entstand der (politische) Kreis Bergstraße, der in seiner Kreiskonferenz „zum Wohle einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Vereine“ die Gründung des „Sängerkreises Odenwald“ und die Gründung des „Sängerkreises Weschnitztal“ beschlossen hat.
Die Bezirke Bergstraße und Ried blieben zusammen und bildeten seitdem den „Sängerkreis Bergstraße“ (SKB). In seinem Gründungsjahr startete der Sängerkreis Bergstraße bereits mit 48 Vereinen, von denen der Gesangverein Sängerkranz Zwingenberg als ältester Verein heute auf eine Vereinsgeschichte zurückblicken kann, die in die Anfänge des deutschen „Laien“-Männerchorgesangs reicht.
Philipp Maier aus Heppenheim war der erste Kreisvorsitzende nach dem Krieg, Wilhelm Strößinger aus Auerbach übernahm dieses Amt 1950. Seine Nachfolge trat 1951 Adam Kettler aus Bensheim an. 1952 wurde Ludwig Laub, Bensheim gewählt, der seinerseits 1953 von Karl Bertz aus Heppenheim als Kreisvorsitzender abgelöst wurde. Karl Bertz leitete dieses Amt zehn Jahre lang und übergab es 1963 an Peter Schmidt aus Heppenheim.
Peter Schmidt, gleichzeitig auch Vizepräsident im Hessischen Sängerbund (HSB), arbeitete 16 Jahre als Kreisvorsitzender. In seiner Amtszeit traten dem SKB sechs Vereine bei. Schmidt regte darüber hinaus die Gründung von Kinderchören an und führte 1976 erstmals das jährliche Kreis-Kinderchorsingen ein.
1979 löste ihn Ernst Gugenberger aus Wilmshausen ab, der dieses Amt 18 Jahre lang fortführte. Die große Zahl neu gegründeter Frauen- Jugend- und Kinderchöre ist das herausragende Ergebnis seiner Amtszeit.
Der heutige SKB-Vorsitzende Heinz Ritsert blickt bereits auf mehr als 20 Jahre im Amt zurück. Neben der Gründung einer eigenen Chorjugend unter dem Dach des Sängerkreises Bergstraße wurden eine Reihe von „jungen Chören“ gegründet, die sich in die große Sängerfamilie integriert haben. Die Chorjugend musste allerdings 2013 aufgelöst werden.
Dominus Kissel aus Gernsheim wurde 1949 zum ersten Kreischorleiter nach dem Kriege gewählt. Sein Amt übernahm 1950 Jakob Koch aus Frankfurt/Main, der wiederum 1954 von Helmut Jung aus Gernsheim abgelöst wurde, der dieses Amt 30 Jahre ausübte. Er setzte sich für die jährliche Durchführung des Kreiswertungssingen als Wertmesser des Leistungsniveaus der Kreischöre ein.
1985 übernahm dieses Amt Hilger Schallehn aus Mainz, ein international anerkannter und geehrter Liederkomponist. 1997 wurde Harald Sinner aus Wixhausen zum neuen Kreischorleiter gewählt. Er reformierte das Kreiswertungssingen, das nun im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfand. Dabei wurde der Titel „Leistungschor des Sängerkreises Bergstraße“ an teilnehmende Chöre bis zum nächsten Kreiswertungssingen verliehen.
Aus gesundheitlichen Gründen musste er das Amt 2008 abgeben. Als neuer Kreischorleiter wurde Gerhard Knapp aus Viernheim gewählt. Seit 2013 ist das Amt unbesetzt. ppp
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