Evangelisches Dekanat

„Bergsträßer Rede“ widmet sich globalen Konflikten

Cornelia Füllkrug-Weitzel hält Ukraine-Krieg für eine Zäsur in der Sicherheitspolitik

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„Bergsträßer Rede“ des Evangelischen Dekanats Bergstraße mit Professorin Cornelia Füllkrug-Weitzel. © Thomas Zelinger

Bergstraße. Die ehemalige Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel, Politologin und langjährige Leiterin von „Brot für die Welt“, sieht im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einen systematischen Bruch mit der UN-Charta und des UN-Sicherheitsrats. Putins chauvinistischer Imperialismus fege das Selbstbestimmungsrecht der Völker regelrecht vom Tisch. Die Welt erlebe einen Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung mitten in Europa und einen gefährlichen Bruch mit den humanitären Werten Europas und den humanitären Völkerrechts an sich.

Im Rahmen der „Bergsträßer Rede“ des Evangelischen Dekanats Bergstraße widmete sie sich den globalen Auswirkungen des Kriegs auf verschiedenen Ebenen. Die Veranstaltung fand jetzt in der Bensheimer Stephanusgemeinde statt. Das Dekanat lädt einmal jährlich fachkundige Referenten ein, um zu aktuellen Fragen der Zeit Stellung zu beziehen. Dekan Arno Kreh und Präses Ute Gölz begrüßten die Gäste in der Stephanusgemeinde.

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Die Referentin (Jahrgang 1955) schlug einen Bogen von der Ukraine bis zum jüngsten Gaza-Konflikt und dem Streit um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, der in einer Auflösung der freien Republik münden wird. Die Weltordnung sei aktuell enorm bedroht, und doch würden diese Ereignisse in ihrem Ausmaß kaum wahrgenommen. Auch nicht von der deutschen Regierung, betonte sie in Bezug auf die völkerrechtlichen Verstöße in Bergkarabach.

„Welt steht am Abgrund“

Die russische Offensive auf den Nachbarn stelle eine Zäsur in der europäischen und globalen Sicherheitspolitik dar, sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel. Die Welt stehe so nah am Abgrund eines nuklearen Schlags wie lange nicht. Der Dialog zwischen Ost und West sei an einem Tiefpunkt angekommen. Das brutale Vorgehen Russlands delegitimiere systematisch das Völkerrecht mit unabsehbaren Folgen für die „Domestizierung“ künftiger Kriege.

Zu den humanitären Notlagen in der Ukraine kommen die mittelbaren Auswirkungen des Kriegs auf die humanitäre Lage von Flüchtlingen in anderen Regionen der Welt sowie auf die Welternährung in Gänze. Die Wirtschaftssanktionen und die Energiekrise haben wirtschaftliche und soziale Folgen auf Arme weltweit, so die Referentin, die 20 Jahre lang die evangelischen Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Diakonie Katastrophenhilfe geleitet hat.

Nach ihrem Studium der Evangelischen Theologie und Politikwissenschaft und ihrem Vikariat arbeitete sie von 1988 bis 1990 als Pastorin im Hilfsdienst im Referat Leitung des Berliner Missionswerks. Von 1990 bis 1992 war sie Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Menschenrechtsfragen im Kirchenamt der EKD, danach hatte sie verschiedene Leitungsfunktionen beim Berliner Missionswerk inne, zuletzt als stellvertretende Direktorin. „Der Krieg in der Ukraine bindet weltpolitische Aufmerksamkeit und militärische Kapazitäten, der akute Waffen- und Energiehunger führt zu neuen geostrategischen Prioritäten“, betonte sie in Bensheim. Dies habe kollaterale Auswirkungen auf andere – zum Teil ruhende – Konflikte um die autonome Existenz kleinerer Länder, die ähnlich wie die Ukraine in Großmachtträumen eigentlich auf der offiziellen Landkarte gar nicht existieren. Beispielhaft nannte sie Armenien und die Kurden. „Kleine Nationen werden den großen buchstäblich geopfert“, so die gebürtige Hessin.

Gravierende Verschiebungen

Insgesamt führt die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen zu globalen geopolitischen und geostrategischen Verschiebungen, die das Gesicht der künftigen Weltpolitik gravierend und nachhaltig verändern könnten. Schon jetzt verzeichne das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR einen massiven Anstieg von Migrationsbewegungen, die noch lange nicht an ihrem oberen Limit angelangt seien. Neben humanitären und wirtschaftlichen Folgen sieht sie auch entwicklungspolitische Konsequenzen, da große Geberländer stärker in militärisches Potenzial und in Waffenlieferungen als in Nahrungs- oder Bildungshilfen investieren würden.

Es gehe aber auch um die von der Völkergemeinschaft verabredeten Ziele, die auf den gemeinsamen Werten aufbauen: das Verfolgen der Sustainable Development Goals (SDGs) zur Bekämpfung von Hunger, Armut, sozialer Ungleichheit und internationaler Ungerechtigkeit würden durch die aktuellen Konflikte ausgebremst. „Der Ukraine-Krieg gefährdet die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele.“ Insbesondere jener zur Ernährungssicherung, zur Armutsbekämpfung und zur Energieversorgung.

„Wir brauchen endlich mehr internationale Aufmerksamkeit gegenüber all diesen Entwicklungen“, so Cornelia Füllkrug-Weitzel in Bensheim. Die Entwicklungsexpertin bleibt pessimistisch. tr

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