Bergstraße. Neue, nämlich größere und barrierefrei erreichbare Räume und eine neue Vollzeitstelle – ein echter Grund zum Feiern für den Verein Wildwasser Darmstadt e.V. mit seiner Außenstelle für den Kreis Bergstraße. Seit Anfang des Jahres geplant, gibt es seit dem Umzug in den ersten Stock der Promenadenstraße 14 in Bensheim insgesamt drei freundlich wirkende Räume, darunter ein großer Seminarraum für Fortbildungen und ein einladender Besprechungsraum für Einzelberatungen. Außerdem konnte die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt eine neue Kollegin einstellen. Zum Team Bergstraße gehören nun Simone Holz-Lurg, Kathrin Munding und Susanne Frank.
Seit dem Jahr 2011 gibt es die Außenstelle von Wildwasser Darmstadt an der Bergstraße. Damals war das Thema sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen durch die Aufdeckung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule in Ober-Hambach in den Fokus gerückt und zunehmend wurden Betroffene selbst gehört. Seitdem kümmerte man sich mit zwei Kräften in Bensheim um Mädchen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, und um Frauen, denen in der Kindheit und Jugend sexueller Missbrauch widerfahren ist. Aber auch Vertrauenspersonen, die betroffene Mädchen und Jungen unterstützen, finden in der Beratungsstelle Hilfe, die nun von ihrem etwas beengten Domizil unter dem Dach der Beratungsstelle des Frauenhauses in eigene Räume umgezogen ist.
Präventionsangebote weiterentwickeln
Mit der neu eingestellten Mitarbeiterin, die vom Kreis Bergstraße finanziert wird, begegnet man einem steigenden Beratungsbedarf. Zugleich sollen Präventionsangebote weiterentwickelt werden, die unter anderem der Sensibilisierung der Bevölkerung für das Problem sexualisierter Gewalt dienen. Immer wichtiger wird auch die Fachberatung von Mitarbeitenden in der Jugendhilfe, in Schulen und Kitas, unter anderem weil seit dem Jahr 2023/24 Schulen und Kitas verpflichtet sind, ein Schutzkonzept gegen sexuellen Missbrauch zu entwickeln.
Bei der offiziellen Eröffnungsfeier begrüßte Waltraud Heims, Geschäftsführerin bei Wildwasser Darmstadt, unter vielen Gästen auch Mitarbeiter der Beratungsstelle von pro familia, die schon länger im zweiten Stock desselben Gebäudes zu finden ist, und die Bensheimer Bürgermeisterin Christine Klein, deren Engagement gegen Gewalt an Frauen unter anderem in ihrem viele Jahre währenden ehrenamtlichen Vorsitz im Verein Frauenhaus Bergstraße zum Ausdruck gekommen ist.
Die Bergsträßer Beraterinnen
- Die Bergsträßer Beraterinnen von Wildwasser Darmstadt e.V. sind auf mehreren Kanälen erreichbar.
- Montags kann man von 16 bis 17 Uhr ohne Termin in die offene Sprechstunde in der Promenadenstraße 14 in Bensheim kommen, eine Möglichkeit, die häufig von Schülerinnen wahrgenommen wird.
- Der meist genutzte Weg ist allerdings die telefonische Kontaktaufnahme unter 06251/7057885 – montags und mittwochs von 11 bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 bis 17 Uhr. eba
Vermutlich rund 36 00 Personen, also jeder siebte oder achte erwachsene Einwohner des Kreises Bergstraße, seien in ihrer Kindheit mit sexualisierter Gewalt konfrontiert worden, machte Waltraud Heims die Dimension des Problems deutlich, dem man unter anderem mit den Präventionsprogrammen „Echte Schätze“ (Fortbildungstage für Erzieher und Eltern von Kindern im Alter von 4–6 Jahren), „Brich dein Schweigen“ (Kampagne mit der Polizei Südhessen und weiteren Initiativen aus der Region) und „Trau dich“ (Initiative mit Webportal für acht- bis zwölfjährige Mädchen und Jungen) begegnen möchte. Der Kreis Bergstraße sei den Anliegen von Wildwasser Darmstadt immer wertschätzend und unterstützend begegnet, auch wenn es keine bundesweiten Vorgaben gebe und es sich um freiwillige Leistungen der Kommune handele. Die Geschäftsführerin dankte dem Wildwasser-Förderverein für seine Unterstützung, dank derer zum Beispiel der Fußbodenbelag der neuen Räume finanziert werden konnte.
Der Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf fasste die Strategie des Kreises zur Einsetzung der Mittel mit dem Motto „Vielfalt statt Einfalt“ zusammen – man wolle möglichst unterschiedliche Institutionen unterstützen. Der Kreis sei selbst breitgefächert in der Prävention tätig und habe sich unter anderem auch an der Kampagne „Brich dein Schweigen“ beteiligt: Cybergrooming sei eine neue Gefahr und hier sei die Aufklärung von Schulen und Eltern wichtig. Immer noch gebe es eine hohe Dunkelziffer im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Die Ansiedlung der gut erreichbaren Beratungsstelle in der Nähe des Bahnhofs und mitten in der Stadt passe gut zu Bensheim als Stadt der Schulen. Es gebe viele Ideen, von der Istanbul-Konvention als Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen bis zum Gewaltschutzgesetz, aber: „Wir brauchen Standards“, so Schimpf. Die Kommunen allein könnten das nicht stemmen, sagte er mit Blick auf die Landesregierung, und forderte finanzielle Sicherheit für die Träger der Angebote.
Das Beratungsangebot bleibe kostenlos, unterstrich Wildwasser-Geschäftsführerin Heims in diesem Zusammenhang. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle gaben bei der Einweihungsfeier auch kurze Einblicke in die tägliche Arbeit, die auf den drei Säulen Beratung von Betroffenen und Unterstützern, Schulung und Beratung von Fachkräften und Präventionsarbeit ruht. Sexualisierte Gewalt sei facettenreich und kenne keine eindeutig definierte Grenze.
Es geht bei der Beratung nicht um die Preisgabe von Details
Wichtig sei das Bewusstsein, dass es bei der Beratung nicht um die Preisgabe von Details gehe. Man müsse auch nichts beweisen – anders als bei der Polizei. Vertraulichkeit sei eine Selbstverständlichkeit, auch bei der Fachberatung, wo es ja auch um Situationen der in Jugendhilfe, Kita oder Schule tätigen Teammitglieder untereinander gehen könne. Sexualisierte Gewalt sei nicht etwas Plötzliches, sondern strategisch geplant. Kein Kind könne sich allein dagegen wehren, doch könne man hilfreiche Grundsätze vermitteln, etwa den, dass es sowohl gute als auch schlechte Geheimnisse gebe, die man durchaus verraten könne. Auf alle Fälle sollten Erwachsene aufmerksamer werden, deshalb sind die Fortbildungsangebote den Wildwasser-Mitarbeiterinnen ein großes Anliegen.
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