Bergstraße. Weder die Zuschauer noch die Schauspieler wussten, wie die Szene enden würde. Ein verliebtes Pärchen auf emotionaler Achterbahnfahrt: Dafür ließ sich jeder Darsteller vom Publikum ein bestimmtes Gefühl zuschreiben, das er auszuleben hatte. Je nachdem, wie das Gespräch verlief, wechselten sie sich in den Rollen ab, wodurch witzige Stimmungskontraste aufkamen. Ein anderes Mal spielten zwei der Akteure eine inhaltlich zusammenhängende, improvisierte Geschichte, durchliefen dabei aber die unterschiedlichsten Genres - vom Krimi über Horror, Bauerntheater, Romanze und Komödie bis hin zu Science-Fiction.
Spannung gepaart mit Komik
"Erst schlapp gelacht, dann nachgedacht": Bei der Präventionsveranstaltung mit dem Theaterensemble Requisit war der Titel Programm. Die Veranstaltung, organisiert von den Sozialpädagoginnen Christine Ludwig und Edith Eckert und dem Präventionsteam der Bensheimer Heinrich-Metzendorf-Schule, bestand aus einer Vorstellung des Improvisationstheaters im ersten Teil und anschließenden Gesprächsrunden zum Thema Sucht und Abhängigkeit im zweiten Teil.
Ungefähr 100 Auszubildenden aus verschiedenen Berufszweigen boten die fünf Darsteller des Ensembles eine kurzweilige, interaktive Show. Nach einer Einführung in das Format des Improvisationstheaters, bei dem es darum geht, ganz ohne Skript und nur auf Grundlage einer handvoll spontan gewählter oder vom Publikum per Zuruf vorgegebene Begriffe zu schauspielern, improvisierten sie sich munter durch eine Reihe von Szenen.
Nora Staeger - die Leiterin der Theatergruppe moderierte - ließ sich von den Zuschauern Anstöße für die jeweilige Szene geben. Mal durften die rein willkürlich gewählt werden, mal bat sie einen Beruf, einen Gegenstand oder eine Farbe. Mitunter waren auch zwischendurch kleine Einwürfe verlangt. Etwa, indem ein Darsteller per Handzeichen das Publikum um ein passendes Ende für den gerade ausgesprochenen Satz bat.
Dass der Ausgang der Szenen völlig offen war, machte nicht nur die große Spannung der Aufführung aus, sondern auch ihre Komik. Bei der Mitgestaltung der Stücke hatten die jungen Erwachsenen große Freiheiten. Verboten war bewusst lediglich alles, was mit den Themen Drogen und Sucht zu tun hat. Das sollte ermöglichen, mit den Darstellern zunächst vertraut zu werden, um sie zum einen als Künstler zu sehen und sich zum anderen mit ihnen als Menschen zu identifizieren. Denn in den anschließenden Gesprächsrunden berichteten die Ensemblemitglieder von ihren persönlichen Erfahrungen mit Sucht und Abhängigkeit - Aufklärungsarbeit aus nächster Nähe: Alle Darsteller von Requisit sind selbst ehemalige Abhängige, die inzwischen "clean" sind und in dem Theater eine Gemeinschaft gefunden haben, die die Möglichkeit zur Wiedereingliederung bietet und sie vor Rückfällen bewahren soll.
In den drei Gesprächsgruppen, betreut von je einem der Schauspieler, durften die Schüler rund zwei Stunden lang freiheraus Fragen stellen. Zugleich fand eine weitere Gesprächsrunde statt, an der sich Ensemblemitglieder, die Lehrer der teilnehmenden Klassen sowie Mitglieder des Präventionsteams und die Sozialpädagoginnen Ludwig und Eckert beteiligten. Außer den Erfahrungsberichten der Darsteller, die nur als Beispiele dienten, wurden viele allgemeine Phänomene im Zusammenhang mit Sucht und Abhängigkeit thematisiert: von den sozialen und persönlichen Ursachen über typische Verhaltensmuster bis hin zu Strategien der Prävention und der Rehabilitation. Zu den wichtigsten Erkenntnissen des Lehrergesprächs gehörte unter anderem, dass Vorbeugung im Schulalltag stets eine Rolle spielt. Bereits in der Haltung, die Lehrer ihren Schülern gegenüber an den Tag legen, haben sie großen Einfluss auf deren Selbstbewusstsein, verdeutlichte Nora Staeger. Oft seien es gerade unerfüllte soziale Bedürfnisse, die ersatzweise mit Suchtmitteln zu stillen versucht werden. Damit es nicht dazu kommt, könnten Lehrer durch ein offenes Ohr, Vertrauen und die richtigen Worte viel bewirken.
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