Auf 60 Kilometern immer IM FLUSS

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Die Weschnitz, sie hat Jahrhunderthochwasser erlebt – und im vergangenen Jahr mit der Wiedervereinigung der Arme „Alte und Neue Weschnitz“ bei Lorsch eine der größten Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte. Zum internationalen Tag der Flüsse, der am Sonntag begangen wurde, hat sich die Redaktion mit dem Geschäftsführer des Gewässerverbandes Bergstraße, Ulrich Androsch (BILD: Lotz), unterhalten. Sein größtes Anliegen: Das Bewusstsein der Menschen sollte sich wieder verstärkt dem Gewässer zuwenden. Er vermisst eine Wertschätzung für diesen wichtigen Part der Natur. „Gerade in der dicht besiedelten Metropolregion brauchen die Menschen zur Naherholung nicht nur den Wald, sondern auch das Gewässer.“ Doch die Weschnitz ist – wie alle Gewässer im Kreis Bergstraße – künstlich kanalisiert, sie verschwindet in Verdolungen, hinter zugewachsenen oder auch zubetonierten, unzugänglichen Uferbereichen; sie ist zu „100 Prozent naturfern“, wie sich der Fachmann ausdrückt.

EU-Verordnung wird sichtbar

Im Rahmen der Europäischen Wasserrahmenrichtline verpflichtet die Europäische Union die zuständigen Kommunen und Verbände, ihre Fließgewässer in einen guten, naturnahen Zustand zu versetzen – möglichst bis 2027. Hierfür ist in Hessen vorgesehen, bei mindestens einem Drittel aller Gewässerstrecken einen guten ökologischen und morphologischen Zustand herzustellen oder zu sichern. Am Beispiel der Weschnitz entspricht das rund 20 Kilometern.

Auswirkungen der Verordnung sind im Odenwald bereits an verschiedenen Stellen sichtbar geworden: So wurde die Weschnitz in Rimbach, im Bereich des Haywoodplatzes, im vergangenen Jahr für die Bürger wieder zugänglich gemacht. Es gibt einen kleinen Kiesstrand, das Wasser schlängelt sich beschaulich um eine künstlich angelegte Insel, die mit Weiden bepflanzt ist. Auch in Birkenau kommen die Bewohner ihrem Flüsschen wieder ganz nah. Hinter dem Rathaus führen Treppen zur Weschnitz, mit Steinen ist eine kleine Bucht angelegt, eine Brücke führt darüber. Weitere Öffnungen sind in Planung, sagt Androsch, beispielsweise in Mörlenbach. In Rimbach – bei der Martin-Luther-Schule – laufen die Arbeiten dazu an. Renaturierungsmaßnahmen im großen Stil liefen und laufen aber nicht im Odenwald, sondern auch in Einhausen. „Die Menschen sind begeistert von der Nähe zur Natur“, berichtet Androsch von positiven Rückmeldungen aus den Kommunen. Die Gewässerzugänge dienen in erster Line dem Erleben und Wahrnehmen, sagt Androsch.

Ein Jahrhundertprojekt

Als ein „Jahrhundertprojekt“ bezeichnet er die Renaturierung der Weschnitzinsel bei Lorsch, die im Frühjahr abgeschlossen worden ist. Im Rahmen des 3,2 Millionen Euro teuren Projektes wurden die beiden Arme der Weschnitz auf einer Länge von knapp drei Kilometern zusammengelegt und Wiesenflächen auf einem Areal von 80 Hektar renaturiert. Geschaffen wurde ein Rastgebiet für Zugvögel und ein Rückzugsort für bedrohte Bodenbrüter. Androsch berichtet von einem riesigen Schwarm Kiebitze, den er bei der Rast im Bereich der Weschnitzinsel beobachten konnte.

Die Wasserqualität der Weschnitz sei gut, sagt Androsch. Durch die Landwirtschaft oder Klärwerke gebe es zwar erhöhte Werte bei den Nitraten und Phosphaten, die sich aber nicht in einem bedenklichen Bereich befänden. Darüber hinaus gelangen sogenannte Spurenstoffe wie Hormone, Süßstoffe oder Rückstände von Arzneimitteln in das Gewässer. Diese werden vom Menschen verursacht und können von den Kläranlagen nicht – oder nur mit sehr hohem Aufwand – wieder aus dem Wasser herausgefiltert werden. Aufgrund dieser Mikroverunreinigungen seien Renaturierungen nicht überall möglich, da die Spurenstoffe sonst ins Trinkwasser geraten könnten.

Signalkrebs bereitet Sorgen

Auch er hat in der Weschnitz eigentlich nichts verloren, lässt sich aber nicht mehr verdrängen: der amerikanische Signalkrebs. Er hat sich für die ursprünglich in der Weschnitz lebenden Steinkrebse zu einer echten Bedrohung entwickelt. Sie infizieren den Steinkrebs mit einer Pest, die tödlich endet. Um zu verhindert, dass sich der Signalkrebs, der ein hervorragender Kletterer ist, im Oberlauf der Weschnitz verbreitet, wird Reduktionsfang betrieben. Am Rückhaltebecken in Fürth-Krumbach ist gerade eine sogenannte Seuchensperre errichtet worden, sagt Androsch. Weitere sind geplant und sollen verhindert, dass sich der amerikanische Einwanderer weiter ausbreitet.

Freuen hingegen würden sich die Fachleute über die Rückkehr der Lachse – die Weschnitz ist ein Lachsvorranggebiet. Noch bis vor 150 Jahren war das Gebiet zwischen Birkenau und Rimbach ein Laichgebiet für diese Fischart. Doch wegen der Stauanlagen entlang der Weschnitz können die Lachse das Flüsschen nicht mehr passieren. Durch spezielle Fischtreppen könnten die Wehranlagen aber umgangen werden.

Androsch berichtet von einem besonderen Projekt: Vor wenigen Jahren wurden zwischen Birkenau und Rimbach 4000 Junglachse in der Weschnitz ausgesetzt. Sie verbleiben für zwei Jahre vor Ort, ehe sie sich um die Reise um die Welt begeben. Ein Teil der Tiere kam auch wieder zurück, was den Fachmann optimistisch stimmt. „Die Weschnitz ist tauglich, um hier wieder Lachse anzusiedeln.“ Die Weschnitz, ein Gewässer, das nicht nur am Tag der Flüsse Aufmerksamkeit verdient hat.

Die Weschnitz: Zahlen und Fakten

Die Weschnitz ist 58,9 Kilometer lang. Sie ist ein rechter Nebenfluss des Rheins und fließt durch Hessen und Baden-Württemberg.

Das Flüsschen entspringt im Grasellenbacher Ortsteil Hammelbach und mündet in der Nähe des Kernkraftwerkes Biblis in den Rhein.

Der Name „Weschnitz“ wird auf Visucius zurückgeführt, den Namen eines keltischen Flussgottes.

Im Frühjahr 1995 richtete das Jahrhunderthochwasser an vielen Stellen im Weschnitztal gravierende Schäden an. In den Ortslagen von Birkenau bis Fürth kam es damals zu erheblichen Überflutungen.

Besonders die Gemeinde Rimbach war von dem Hochwasser stark betroffen, zerstörten die Wassermassen doch das Hallenbad.

In der Folge dieses Ereignisses wurden überall im oberen Weschnitztal – neben diversen kleineren Maßnahmen – mehrere Standorte für Hochwasser-Rückhaltebecken (HRB) geprüft und geplant. Sieben Rückhaltebecken gibt es insgesamt, das jüngste („Rimbach II“) ist 2015 am Steinigen Weg eingeweiht worden. ank/ü

"In der Metropolregion brauchen die Menschen zur Naherholung ...

"In der Metropolregion brauchen die Menschen zur Naherholung nicht nur den Wald, sondern auch das Gewässer." Ulrich Androsch

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