Bergstraße. Ist die Afrikanische Schweinepest doch nicht so ansteckend wie befürchtet? Davon konnte man bis vor zwei Wochen ausgehen, als es im Kreis Bergstraße nur vereinzelte Fälle gab. Doch nun ist die Zahl der infizierten Tiere deutlich gestiegen: Inzwischen wurden (Stand Freitag, 4. Oktober) im Kreis Bergstraße 24 tote Wildschweine positiv auf das Virus getestet. Der erwartete Wirbel, wie es ihn anfangs um jeden Fund gab, blieb allerdings aus. Dass es so ruhig blieb, liegt laut Matthias Schimpf, dem zuständigen Dezernenten im Landratsamt, daran, dass „sich das Seuchengeschehen innerhalb der Kernzone“ abspielt. „So lange alles nördlich der B 47 bleibt, ändert sich nichts an der Lage – und an den Auflagen.“
Den Großteil dieser 24 Tiere haben Kadaver-Suchteams in den vergangenen zwölf Tagen im Wald zwischen Bürstadt, Einhausen und Biblis gefunden. Diese Mannschaften vom Training Center Retten und Helfen, kurz TCRH, aus Mosbach durchstreifen die Gegend systematisch mit Hunden. Aber auch ein Jagdpächter habe einen Fund gemeldet, und nach einem Wildunfall lag ebenfalls ein positives Ergebnis vor.
Südlich der B 47 – und damit außerhalb der Sperrzone II – hat es laut Schimpf zwar auch Funde gegeben, die Todesursachen seien aber andere gewesen. Was ihn erleichtert, denn dies würde die Lage viel komplizierter gestalten. Gleichwohl wird im Kreis Bergstraße überlegt, wie sich die Zahl der Wildschweine eindämmen lässt. Denn die Jagd auf die Schwarzkittel ist seit Monaten überall untersagt – außer in Neckarsteinach und Hirschhorn, wo Jagdpächter sogar eine Prämie von 100 Euro pro geschossenem Tier erhalten.
Ministerium bringt sogenannte „Saufänge“ ins Gespräch
Hintergrund des Jagdverbots ist, dass infizierte Tiere nicht versprengt werden sollen. Denn diese könnten die Seuche weiter verbreiten. „Einige wenige Ausnahmen haben wir nur erteilt, wo es einen Unfallschwerpunkt gab“, sagt der Kreisbeigeordnete Schimpf. Ansonsten werde fieberhaft überlegt, wie mit den Tieren innerhalb der Kernzone umzugehen – und deren Zahl zu senken – ist. Denn um Infektionsketten zu unterbrechen und die Ausbreitung der Seuche in andere Gebiete zu verhindern, sollen die Bestände deutlich reduziert werden. „Dabei arbeiten wir eng mit den Jägern zusammen.“ Überlegt wurde dabei, in bestimmten Bereichen sogenannte Kirrungen anzulegen und Wildschweine mit Futter anzulocken.
„Wir versuchen, die Tiere möglichst ortsgebunden zu halten“, erklärt Schimpf. Denn man wolle wissen, wie groß die Rotten jeweils sind und hänge dafür Wildkameras auf. Wenn darüber mehr Erkenntnisse vorliegen, werde eine „gezielte Entnahme“ mit Jägern und Fachfirma geplant. Im Gespräch sind sogenannte Saufänge, also Fallen, mit denen ganze Rotten gefangen werden können. Dies hat das Hessische Landwirtschaftsministerium bekannt gegeben.
„So lange die Jagd ruht, können sich die Wildschweine in Ruhe den Bauch vollschlagen“, sagt Dennis Nawar, Jagdpächter in Bürstadt. Er erwartet, dass die Population deutlich ansteigt, denn je besser genährt sie seien, umso mehr Frischlinge bekämen sie und könnten im Jahr darauf selbst auch wieder Nachwuchs bekommen. „Das ist wie ein Schneeballsystem. Wie wollen wir das in den Griff bekommen?“
Landwirte dokumentieren Wildschäden mit Drohnen
Thorsten Reski, der mit drei Kollegen das Feldrevier in Riedrode bejagt, macht sich ebenfalls Sorgen. „Normalerweise sind wir zwei- bis dreimal die Woche draußen unterwegs.“ Da werde nicht immer geschossen, aber oft. Doch seit fast drei Monaten gar nicht. Natürlich sollen die Wildschweine nicht versprengt werden, aber wenn nicht auf Füchse angelegt werde, sei das wiederum schlecht fürs Niederwild wie Fasane, Hasen und Rebhühner, von denen es ohnehin nicht mehr viele gebe.
Reski hatte übrigens den allerersten Schweinepest-Fall im Kreis entdeckt. Mitte Juli war das auf Einhäuser Gemarkung, als ein totes Wildschwein direkt neben seinem Weizenacker lag, der abgeerntet werden sollte. Dass es nachher kaum mehr Funde gab, wundert den erfahrenen Jäger. Selbst die Zahl von 24 Fällen seither hält er für niedrig, da in all den Wochen deutlich mehr Tiere geschossen worden wären.
Froh sind Landwirte wie Reski in Riedrode oder auch Dirk Müller in Biblis, dass die Ernte überhaupt möglich war im Kreis. „Dafür hatten wir als eine der ersten Regionen gesorgt“, bestätigt Schimpf. Voraussetzung ist, dass die Flächen zuvor mit einer Drohne abgeflogen werden. Dies passiert übrigens nicht nur, bevor der Mähdrescher aufs Feld fährt, sondern auch um Wildschäden zu dokumentieren. „Im Mais haben wir sie ganz massiv“, erklärt der Bibliser Ortslandwirt Müller. Normalerweise kommt der Jagdpächter dafür auf. „Da dieser nicht jagen darf, kann man ihn auch nicht belangen“, sagt Schimpf. Auf Antrag bei der jeweiligen Kommune gebe es nun einen Ausgleich, dafür sorge der Kreis, der das Geld später vom Land erwartet.
Da das Virus „außerordentlich lange ansteckungsfähig bleibt“, wie es beim Landwirtschaftsministerium heißt, wird die Schweinepest alle weiter beschäftigen. „Wir brauchen ein gewisses Maß an Geduld“, sagt Schimpf. Das betrifft auch das aktuelle Projekt mit den Kameras. Um die Größe der Wildschwein-Rotten bestimmen zu können, müssen diese die Kirrungen erstmal aufsuchen. Schimpf hofft, dass das klappt, wenn der Mais gedroschen ist und die Tiere wieder Hunger haben. Wobei sie in den Wäldern auch genug Eicheln finden. /ü
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