Integrationsfachdienst der Diakonie

Arbeit und Behinderung schließen sich nicht aus

Arbeitgeber und Beschäftigte werden seit 30 Jahren unterstützt

Von 
Thomas Tritsch
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Über die Arbeit des Integrationsfachdienstes informierten (sitzend, v.l.) Gert Delp (Mitarbeiter Firma Heldmann), Hans-Peter Heldmann und Gabi Heldmann-Schuster, sowie vom Diakonischen Werk Bergstraße (stehend v.l.) Beate Walter-Gärtner, Susanne Hagen und Kerstin Behrens. © Zelinger

Bergstraße. Menschen mit Behinderungen stoßen auf viele Barrieren – besonders auf dem Arbeitsmarkt. Oft sind sie gut ausgebildet, aber im Vergleich zu anderen Menschen überproportional häufig erwerbslos. Beim Thema Inklusion und Beruf behindert Deutschland sich noch immer selbst. Oftmals ist es ein langer Weg zum unbefristeten Arbeitsvertrag, sofern er überhaupt gelingt.

Gert Delp ist glücklich an seiner Arbeitsstelle. Der 51-jährige ist ausgebildeter Schleifer und arbeitet seit über sechs Jahren im Granitwerk Heldmann in Lautertal-Gadernheim. Seine praktischen Kenntnisse in dem Berufsfeld haben den Chef des kleinen Familienbetriebs überzeugt. Trotz der eingeschränkten Leistungsfähigkeit kann er seine 22-jährige Berufserfahrung umsetzen. „Wir haben einen zuverlässigen, präzisen und verantwortungsvollen Mitarbeiter gefunden“, so Hans-Peter Heldmann über den Kollegen, der während eines zweiwöchigen Praktikums die betriebsinternen Abläufe kennengelernt hatte. Danach legte ihm der Chef einen unbefristeten Arbeitsvertrag vor die Nase. „Die Chemie stimmt“, so Heldmann.

Sicherlich ein Musterbeispiel, doch der Arbeitgeber würde sich wünschen, dass mehr Unternehmen behinderte oder schwerbehinderte Menschen einstellen. „Er ist ein Gewinn“, sagt er über Gert Delp, der längst zu einem festen Teil des Betriebs geworden ist.

Menschen mit schweren Behinderungen häufiger arbeitslos

Mit Blick auf die Zielgruppe des Integrationsfachdienstes (IFD) fällt auf, dass nur rund drei Prozent der jeweiligen Behinderungen angeboren sind; beziehungsweise im ersten Lebensjahr auftraten.

Der überwiegende Teil der Einschränkungen tritt erst im weiteren biografischen Verlauf auf, verursacht etwa durch eine Krankheit, einen Unfall oder psychische Belastungen.

Von den rund 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung in Deutschland, die in privaten Haushalten leben, sind knapp fünf Millionen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren.

Überdurchschnittlich gute Chancen bieten sich im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor, fast jeder dritte erwerbstätige Mensch mit Behinderung ist in diesem Bereich beschäftigt.

Feststellbar ist außerdem, dass Menschen mit schweren Behinderungen immer noch häufiger arbeitslos sind als Menschen ohne ein Handicap. Und sie sind vor allem länger arbeitslos als Menschen ohne Behinderungen. Dabei ist die Gruppe der schwerbehinderten Menschen, die arbeitslos sind, in der Regel sogar besser qualifiziert sind als diejenige der Nichtbehinderten, die arbeitslos sind.

Nach dem Schwerbehindertenrecht besagt die Beschäftigungspflicht in Deutschland: Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen müssen fünf Prozent mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Wenn sie das nicht tun, zahlen sie eine Ausgleichsabgabe. Die Abgabe wird von den Integrationsämtern verwendet, um die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben zu ermöglichen. tr

Unterstützt wurde der Prozess vom Integrationsfachdienst (IFD) des Diakonischen Werks Bergstraße. Die Fachstelle berät Arbeitgeber und Arbeitssuchende vom ersten Kennenlernen bis zum festen Job. Auftraggeber und finanzieller Unterstützer ist der Landeswohlfahrtsverband (LWV) in Hessen. Über das Integrationsamt Darmstadt erhält Heldmann begleitende Hilfen. Auch ein Zuschuss zu den Lohnkosten kann beantragt werden. Der LWV stellt Arbeitgebern Prämien aus dem Hessischen Perspektivprogramm (HePAS) zur Verfügung, um die Chancen und Perspektiven von behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft zu verbessern.

Im Kreis Bergstraße gibt es den Integrationsfachdienst schon seit 30 Jahren. Grund für die Akteure, eine Bilanz zu ziehen. Der IFD stand im vergangenen Jahr mit fast 60 regionalen Betrieben in Kontakt, um Arbeitsplätze anbieten zu können, die den Fähigkeiten und Interessen der Menschen entsprechen. Rund 120 Klienten nutzen derzeit das berufsspezifische Beratungsangebot unter dem Dach der Diakonie an der Bensheimer Riedstraße. Dennoch erkennt die Fachbereichsleiterin Susanne Hagen noch immer erhebliche Vorbehalte von Seiten vieler Arbeitgeber: Diese Menschen seien nicht belastbar, ständig krank, kaum qualifiziert, unkündbar oder grundsätzlich nicht in interne Prozesse integrierbar. Ressentiments, die in ihrer verallgemeinernden Art aber nicht zutreffen, so die Diplom-Sozialpädagogin.

Umfassende Netzwerkarbeit

Bei der umfassenden Netzwerkarbeit des Fachdienstes habe sich immer wieder gezeigt, wie gut sich Personen mit einem bestimmten Handicap in bestehende Arbeitsprozesse eingliedern und mit ihren Kollegen zusammenarbeiten können.

Das bestätigt auch Beate Walter-Gärtner, die seit 1991 in diesem Fachbereich tätig ist, der früher auch als Psychosozialer Dienst bekannt war. Sie besetzt heute eine Vollzeitstelle, ihre Kollegin Kerstin Behrens ist seit April mit einer halben Stelle im Team, das aktiv Betriebe zum Thema anspricht und Unterstützung anbietet. Neben den bekannten großen Arbeitgebern im Landkreis gehören dazu auch viele kleine und mittelständische Unternehmen. Das Granitwerk Heldmann mit vier Beschäftigten gehört zu den kleineren. Für eine gelingende Integration sind solche Familienbetriebe aber ideal, wie auch der Inhaber betont: „Man kennt sich gut und kann flexibel reagieren“, so Hans-Peter Heldmann.

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red
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Mit vereinter Unterstützung sei die Einarbeitung sehr erfolgreich verlaufen, sagt er. Der IFD habe das Unternehmen mit begleitenden Maßnahmen unterstützt und auch dem Mitarbeiter in Krisensituationen oder bei Fragen zu beruflichen Perspektiven zur Seite gestanden. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die individuellen beruflichen Fähigkeiten und Neigungen der Klienten, deren Selbstbestimmung und Eigenverantwortung laut Susanne Hagen elementare Prinzipien jeder Begleitung sind. „Es geht hier um einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag!“

Die Pandemie habe die Arbeit des Fachdienstes ab 2020 spürbar erschwert, da viele Unternehmen keine Arbeitsplätze mehr angeboten hatten – mittlerweile hat sich die Situation aber wieder entspannt, heißt es von der Diakonie.

Zum Portfolio des IFD gehören vor allem produzierende und Dienstleistungsbetriebe, aber auch Stellen in der Verwaltung, im Pflegebereich oder in der Sparte IT bieten für viele behinderte Menschen einen geeigneten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Grundsätzlich geht es – wie immer beim Thema Beruf – darum, dass jeder Topf den passenden Deckel findet, und umgekehrt. Anspruch ist eine passgenaue und nachhaltige Vermittlung, so Beate Walter-Gärtner.

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