Bergstraße. Der August bescherte Aktionären weltweit ein knackiges Sommergewitter zum Monatsanfang. In einem insgesamt durch Rezessionsängste belasteten Börsenumfeld dürfte eine überraschende Entscheidung der japanischen Notenbank der akute Auslöser gewesen sein. Denn die Bank of Japan hatte ihre Leitzinsen jüngst erneut erhöht, auch um den Verfall der Landeswährung Yen zu stoppen. Andere große Zentralbanken hatten dagegen mit dem Ziel, die hohe Inflation infolge der Corona-Pandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine zu bekämpfen, die Leitzinsen schon in den vergangenen Jahren stark angehoben – und waren inzwischen dazu übergangen, das Zinsniveau wieder zu senken, um die unter hohen Zinsen leidende Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Während also in Japan die Zinsen angehoben wurden, wetteten Investoren bereits auf überraschende oder deutliche Zinssenkungen der Federal Reserve in den USA – eine gefährliche Gemengelage, weil sich Investoren im Niedrigzinsland Japan Geld geliehen hatten und in einem Hochzinsland wie die USA investiert. Mit der Anhebung der Zinsen in Japan und schwachen Wirtschaftsdaten in den USA gab es zwei Trends, die für die Spekulanten in die falsche Richtung zeigten und tiefe Krater in die Portfolios dieser Investoren gerissen haben dürften. Um solche Verluste aufzufangen, mussten Vermögenswerte wie Aktien in großem Umfang verkauft werden – einer der Auslöser für den Kursrutsch an den Börsen, der auch an den meisten Wertpapieren von Unternehmen aus der Region nicht spurlos vorüberging.
Im Aktienranking des BA waren es in den letzten Wochen erneut besonders die großen Einzeltitel, die den Wert des Depots beeinflussten. Unter dem Strich steht so für das Depot Bergstraße/Südhessen ein Minus von anderthalb Prozent und im Depot Rhein-Main ein Minus von fast sieben Prozent. Die Papiere aus dem Depot Rhein-Neckar blieben gut behauptet.
Pharma-Riese erweist sich als robuster Anker
War das Depot Bergstraße/Südhessen vor Monatsfrist noch vom Darmstädter Merck-Konzern kräftig nach unten gezogen worden, so erwies sich der Pharma-Riese in der jüngsten Krise als robuster Anker, der durch Zuwächse im Geschäft mit Arzneien und Halbleitermaterialien gestützt wurde. Deutsche Bank Research und die Schweizer Großbank UBS haben ihr Kursziel für Merck KGaA nach besser als erwartet ausgefallenen Quartalszahlen angehoben. Er bleibe positiv gestimmt für die Pharma- und Spezialchemie-Aktie, schrieb Deutsche-Bank-Analyst Falko Friedrichs. Der Schweizer Analyst Matthew Weston betont die starke Entwicklung der Electronics-Sparte im zweiten Quartal.
Merck legte im Depot als einziger Titel zu. Die Kursverläufe sowohl von Gabelstapler-Hersteller Jungheinrich als auch des Elektrotechnikkonzerns TE Connectivity dagegen spiegeln den Einfluss des Sommergewitters an den weltweiten Börsen wider.
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
- Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen.
- Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
- Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
- Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
Unter diesen Einflüssen zu leiden hatte auch die Aktie von Dentsply Sirona, die sich allerdings schon seit einem Jahr auf Talfahrt befindet. Der Hersteller für Dentalprodukte und -technik hat für seinen großen Standort in Bensheim „unverändert in Teilen der Produktion bis voraussichtlich Ende September“ Kurzarbeit angekündigt. Das hatte eine Unternehmenssprecherin anlässlich der Veröffentlichung von Quartalszahlen mitgeteilt. Der Gesamtkonzern, der seinen Sitz in den USA hat, meldete für das abgelaufene Quartal einen Verlust von vier Millionen Dollar. Der Umsatz schrumpfte um vier Prozent auf 984 Millionen Dollar. Als Gründe nannte Konzernchef Simon Campion laut einer Mitteilung eine geringere Nachfrage im Segment Connected Technology Solutions. Dazu zählt die Ausrüstung von Zahnarztpraxen mit Behandlungsstühlen, Röntgengeräten und anderen Produkten, die in Bensheim produziert werden.
Die Aktien des Zwingenberger Biotechunternehmen Brain kommt und kommt nicht auf die Beine. Noch immer fehlt der Nachweis, dass das Geschäftsmodell nachhaltig profitabel ist. Hatte sich der Kurs vor einigen Wochen noch leicht erholt gezeigt, fiel er mit dem Einbruch an den Börsen wieder in Richtung auf sein Allzeit-Tief.
SAP kann den Rückschlag schnell ausgleichen
Ähnlich wie im Depot Bergstraße/Südhessen erwies sich auch im Depot Rhein/Neckar ein einzelnes Wertpapier als stabiler Pfeiler – in diesem Fall der Softwarekonzern SAP, dessen Aktie den börsenweiten Rückschlag vom Monatsanfang schon wieder so gut wie ausgeglichen hat. Analysten wie Mohammed Moawalla von der US-Investmentbank Goldman Sachs oder Knut Woller von der Baader Bank, die ihre Ziele für SAP angehoben haben, unterstützen die positiven Erwartungen.
Weniger rosig sind die Aussichten für die BASF. Die in der ersten Jahreshälfte gestiegenen Lagerbestände dürften die Volumina der europäischen Chemiekonzerne weiter unter Druck bringen, schrieb Analyst Geoff Haire des Finanzdienstleisters UBS in einer Branchenanalyse. Die BASF-Aktie hängt im Prinzip auf dem Niveau nach dem Börsen-Rücksetzer vom Monatsanfang fest. Ähnliches gilt auch für die Wertpapiere von Energieversorger MVV, Südzucker und Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub.
Hohe Zinsen auf billiges Geld
Das unterschiedliche Vorgehen der US-Notenbank (sinkende Zinsen) und der Bank of Japan (steigende Zinsen) ergab zusammen einen gefährlichen Cocktail für die Börsen, denn es wurden auf globaler Ebene in erheblichem Umfang spekulative Geschäfte an den Devisen- und Aktienmärkten aufgelöst.
Derartige Spekulationsgeschäfte sind in der Fachwelt unter dem Begriff „Carry Trades“ bekannt. „Ich denke, dass uns gerade die Carry Trades um die Ohren fliegen“, sagt Roman Przibylla, Investmentexperte beim Wertpapierhaus Maverix Securities. Als der Yen vor wenigen Wochen auf den niedrigsten Stand gegenüber dem US-Dollar seit 1986 gefallen war, hätten sich viele Investoren Geld im Niedrigzinsland Japan geliehen und in ein Hochzinsland wie die USA investiert. Nun aber hat die Bank of Japan die Zinsen angehoben. Gleichzeitig, betont Przibylla, gab es die schwachen US-Wirtschaftsdaten, die für mögliche aggressive Zinssenkungen sprechen. Damit liefen die Spekulationen sowohl in Japan als auch in den USA in die – aus Sicht der Spekulanten – jeweils falsche Richtung, was riesige Löcher in die Portfolios vieler Investoren gerissen habe. Wenn diese Trades Verluste verursachen, müssen dem Experten zufolge Vermögenswerte wie Aktien verkauft werden.
Zu große Sorgen allerdings sollte die Auflösung der „Carry Trades“ Przibylla zufolge nicht machen: „Die aktuellen Verwerfungen deuten eher darauf hin, dass wir es momentan nur mit einem Sommergewitter und nicht mit einem Tornado zu tun haben.“ Umwälzungen dieser Art dauerten normalerweise mehrere Tage an und sorgten für erhöhte Schwankungen am Aktienmarkt.
Fachleute bezweifeln zudem, dass die USA wirklich in eine Rezession abgleiten könnten. Die jüngst aufgekommenen Ängste seien übertrieben, zeigt sich etwa Robert Greil überzeugt, der Chefstratege der Privatbank Merck Finck: „Der Arbeitsmarktbericht für Juli mag auf ein nachlassendes Wachstumstempo hinweisen, war aber aus unserer Sicht auch durch einige Sondereffekte geprägt.“ Andere Indikatoren hingegen zeigten klar positive Entwicklungen. dpa-AFX
Anders als in den beiden bisher angesprochenen Depots fehlte dem Depot Rhein-Main ein Zugpferd wie Merck oder SAP – allein die Aktie des Gesundheitskonzerns Fresenius hielt sich leicht im Plus. Die britische Investmentbank Barclays hat die Einstufung für Fresenius auf „Overweight“ mit einem Kursziel von 36,50 Euro belassen. Ein Austausch mit dem Management habe unter anderem ergeben, dass der Einsparungsplan schneller als gedacht verwirklicht werde, so Analyst Hassan Al-Wakeel. Die für 2025 vorgesehenen diesbezüglichen Ziele könnten schon in diesem Jahr erreicht werden.
Gegegnbewegung bei den Papieren der Deutschen Bank
Die Papiere von Deutscher Bank und Commerzbank bilden dagegen das Börsensommergewitter maßstabsgerecht ab – was im Falle der Deutschen Bank bereits zu einer Gegenbewegung führte. Dass diese bislang bei der Commerzbank ausblieb, könnte im Zusammenhang damit stehen, dass die in der vergangenen Woche präsentierten Quartalszahlen am Markt nicht so gut ankamen. Die Risikovorsorge war höher als vorab erwartet.
In einem stetigen Sinkflug unterwegs ist die Lufthansa-Aktie. Das Wertpapier segelt knapp über dem Jahrestief daher - und angesichts der zurückhaltenden Einschätzungen der Analysten von Goldman Sachs, Deutsche Bank oder UBS ist auch nicht mit einer baldigen Besserung zu rechnen. Preisdruck am Markt, weniger Produktivität und hohe Kosten bilden einen unverträglichen Cocktail.
Der Kurs des Flughafenbetreibers Fraport erlitt ebenfalls einen Rückfall. Der Passagierverkehr am Frankfurter Flughafen sei im Jahresvergleich um 0,5 Prozent gestiegen und im Monatsvergleich um 1,4 Prozent, schrieb Analyst Graham Hunt vom Analysehaus Jefferies. Er erinnerte zudem daran, dass der Flughafenbetreiber seine Jahresverkehrsprognose im zweiten Quartal gesenkt hatte.
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